Die Entstehung der klassischen, mitteleuropäischen Universität ist eng mit der christlichen Theologie verknüpft, also der Reflexion von Lehre und Praxis der christlichen Religion nach den jeweiligen Maßstäben der Wissenschaft. Solche Reflexion gibt es im Christentum nach dem Vorbild des Judentums seit der Antike, und sie war schon damals ohne eine enge Vernetzung der innerchristlichen Reflexion mit zeitgenössischen Nachbarwissenschaften – neben der antiken Philosophie schon ganz früh auch die seinerzeitigen Naturwissenschaften – nicht denkbar. Ludger Honnefelder, Träger des Görres-Ringes 2016, hat wieder und wieder demonstriert, wie Theologie im Mittelalter die Idee der Universität und das Konzept des Wissen(schaft)s-Systems formte, aber natürlich auch durch die anderen Wissenschaften selbst geformt wurde.
Ursprünglich an der Ausbildung orientiert
Für die erste Stufe dieser engen Beziehung von universitärer Institutionsbildung und theologischer Wissenschaft stehen Orte wie Paris oder Oxford, aber auch Köln. Für eine zweite Stufe kommt schon Berlin ins Spiel, weil nicht nur Wilhelm von Humboldt die Idee der „Humboldtschen Universität" formte, sondern auch der Berliner Theologe Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher (1768–1834). Schleiermacher konzipierte Theologie als eine der Disziplinen, die wie Medizin oder Rechtswissenschaft an der Universität unmittelbar auf bestimmte Berufszweige und deren Ausbildungserfordernisse bezogen sind, auf die Professionen des Arztes, Richters oder Anwalts und des Pfarrers beziehungsweise Lehrers. Diese an der Ausbildung orientierten Universitätswissenschaften setzen damit bestimmte wissenstheoretische Grundlagenreflexionen anderer Disziplinen, beispielsweise der Philosophie, immer voraus; ein Gedanke, der auf Immanuel Kant zurückgeht. Natürlich beteiligen sie sich zugleich auch an dieser Grundlagenreflexion.
Das deutsche Staatskirchenrecht hat diese Begründungsfigur aufgenommen, wenn beispielsweise der Staatskirchenvertrag zwischen dem Land Berlin und der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz aus dem Jahre 2006 „für das wissenschaftliche Studium der Theologie, insbesondere für die wissenschaftliche Vorbildung der Geistlichen sowie für die Ausbildung zum Lehramt Evangelische Religionslehre" eine „Evangelisch-Theologische Fakultät an der Humboldt-Universität" garantiert. Der erwähnte Vertrag, der in Berlin Gesetzeskraft hat, garantiert nicht nur die Existenz der Institution, sondern ihre Ausstattung mit den üblichen Kernfächern der Theologie, Schwerpunkt- und Profilbildung sowie die Ausbildung in den alten Sprachen Hebräisch, Griechisch und Latein, die aufgrund der Quellentexte der Heiligen Schrift und ihrer maßgeblichen Auslegung für jede christliche Theologie konstitutiv sind.
Nun gab es, als 1810 die Universität Berlin gegründet wurde, aus damaliger Sicht wenig Gründe, nach denselben staatskirchenrechtlichen Vorgaben eine katholisch-theologische Fakultät einzurichten – es existierten, beispielsweise in Breslau, in Preußen gut funktionierende entsprechende Einrichtungen, die im dortigen Katholizismus auch den entsprechenden Hintergrund an studentischem Nachwuchs fanden und aufgrund ihrer Leistungen in Forschung und Lehre an ihren Universitäten bestens anerkannt waren.
Größere Notwendigkeit institutionalisierter Theologie
Inzwischen hat sich die religiöse Situation in Berlin und das Profil des deutschen Katholizismus dramatisch geändert. In der Stadt sind – auch wenn präzise Schätzungen sehr schwierig sind – rund sechzig Prozent konfessionslos, etwas über zwanzig Prozent evangelisch, etwas unter zehn Prozent katholisch und über sechs Prozent Muslime. Zudem ist Berlin spätestens seit 1989 eine multikulturelle Stadt mitten im Zentrum des Landes und von ganz Europa geworden.
Damit ist die Notwendigkeit, Theologie an den Universitäten der Stadt zu etablieren, gegenüber den letzten beiden Jahrhunderten eher gestiegen. Denn ein friedliches Zusammenleben der Religionen setzt voraus, dass nicht nur Rechts- und Religionswissenschaft über die Ordnung dieses Zusammenlebens nachdenken, sondern die Religionen selbst über ihren je eigenen Beitrag zum gesellschaftlichen Frieden und Wohlergehen vor dem Hintergrund ihrer Tradition reflektieren. So gab es gute Gründe, dass nach 1989 über die Einrichtung einer katholisch-theologischen Fakultät in Berlin nachgedacht wurde und es gibt weiterhin gute Gründe, über eine starke institutionelle Präsenz katholischer Theologie in Berlin nachzudenken. Auch wenn das entsprechende Seminar an der Freien Universität eine große Tradition hat (der bereits erwähnte Name von Ludger Honnefelder ist nur einer der prominenten Theologen, die dort lehrten), spricht manches dafür, wenn man an der Humboldt-Universität die Möglichkeiten enger Kooperation und friedlichen Wettbewerbs schafft, wie sie auch zwischen den Theologischen Fakultäten beider Konfessionen in Frankfurt, Mainz, München, Münster oder Tübingen herrschen.
Die seinerzeitige Bundesministerin für Forschung, Annette Schavan, hat mit einer großen Förderinitiative 2011 die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass endlich auch jüdische und islamische Theologie die Reflexion ihrer eigenen Religion nach wissenschaftlichen Maßstäben an den Universitäten durchführen können – im Blick auf das Judentum war das schlichte Wiedergutmachung, denn solche Reflexion wurde vor 1933 aus bekannt schlimmen Motiven vor den Türen der deutschen Universität gehalten und nach 1933 um Leib und Leben gebracht.
Für die Zwecke der aufgrund der genannten Förderinitiative gebildeten Einrichtungen wurden genau die Bedingungen des deutschen Rechts angewendet, die auch für die christlichen Kirchen gelten: Es handelt sich um Institutionen vor allem zur Ausbildung von Geistlichen und Religionslehrkräften, bei denen die Religionsgemeinschaften ein Einspruchsrecht gegen die Besetzungsvorschläge der Wissenschaft haben, wenn eine Lehre im Sinne der Religionsgemeinschaft für die Ausbildung auf den genannten Berufsfeldern nicht gewährleistet ist.
Die Humboldt-Universität als Ort der Theologien
Insbesondere bei der islamischen Theologie entstehen allerdings (was nicht verschwiegen werden soll), erhebliche Schwierigkeiten: Es gibt noch viel zu wenig akademisches Personal, das unseren universitären Maßstäben entspricht und eine Ausbildung in deutscher Sprache anbieten kann; auch fehlt ein einziger Ansprechpartner in der Gestalt christlicher oder jüdischer Organisationen. Das Modell eines aus verschiedenen islamischen Verbänden gebildeten Beirates an dieser Stelle ist nicht ohne Probleme, es genügt, den Namen des Verbandes DITIB zu nennen.
Natürlich gibt es keine Alternativen zur Institutionalisierung einer islamischen Theologie an deutschen Universitäten, schon deswegen, weil Religionslehrkräfte und Geistliche auf akademischem Niveau ausgebildet werden müssen und nicht weiter einfach aus der Türkei importiert werden können. Insofern ist es sehr erfreulich, dass der Berliner Senat den Universitäten die finanziellen Mittel für ein vergleichsweise gut ausgestattetes Institut angeboten hat.
Damit ergibt sich jetzt die Chance, die Humboldt-Universität unbeschadet aller gewachsenen Traditionen anderswo zu dem Berliner Ort zu machen, an dem im Idealfall beide christlichen Konfessionen, aber auch das Judentum und der Islam ihre Religion nach den Maßstäben der Wissenschaft zum Zwecke der Ausbildung reflektieren.
Natürlich nicht in einer multireligiösen Mischfakultät, in der bekanntlich alle Katzen grau sind, sondern genau nach den Bedingungen des deutschen Religionsverfassungsrechts. Denn separate Einrichtungen genau auf dieser rechtlichen Basis sind so wohl geordnet, dass sie heiter und zum Wohle der Wissenschaft und Gesellschaft ganz eng untereinander und mit anderen Wissenschaften kooperieren können. In diesem Sinne hat das Professorium der Theologischen Fakultät kürzlich beschlossen, eine Arbeitsgruppe einzurichten, die prüfen soll, welche Formen der Zusammenarbeit hier zukünftig möglich sind. Es wäre also sehr wünschenswert, wenn der Senat auch für die katholische und jüdische Theologie Geld in die Hand nehmen könnte und sich die Katholische Kirche zu einem größeren Engagement in Berlin entschließen könnte. Die evangelisch-theologische Fakultät der Humboldt-Universität wäre über solche Schwester-Organisationen nur glücklich.
Selbstverständlich könnte man dann auch über institutionelle Formen der Zusammenarbeit nachdenken, wie sie beispielsweise in Gestalt von interdisziplinären Zentren an deutschen Universitäten seit langem üblich sind und anderswo auch schon erprobt werden.