Der Berliner Historiker Heinz Schilling hat 2012 mit einer Luther-Biografie den Startschuss auf dem Buchmarkt für das Reformationsjubiläum gegeben. Jetzt hat er einen Band folgen lassen, der in einer ungewohnten, originellen Perspektive auf das Jahr 1517 blickt, ausgehend von der These: „Der Anfang des 20. Jahrhunderts noch prägende konfessionelle Gegensatz zwischen Protestantismus ist in den Hintergrund getreten, ebenso die eurozentrische Geschichts- oder Epochenbetrachtung. Gewachsen ist dagegen das welt- oder globalgeschichtliche Bewusstsein, das nicht mehr dem ‚Imperialismus des Universellen‘ verhaftet ist“ (18). Dementsprechend behandelt Schilling in seinem Buch Vorgänge in der frühen Neuzeit in allen Erdteilen, im chinesischen „Reich der Mitte“ genauso wie im osmanischen Herrschaftsbereich, im indianischen Amerika in der Konfrontation mit den spanischen Eroberern genauso wie in Europa zwischen Portugal und Russland.
So entsteht ein anschauliches, jeweils mit signifikanten Details angereichertes Bild der Veränderungen in der Welt zur Zeit der Reformation. Auch die geistig-spirituellen Strömungen der Zeit wie den Humanismus, kirchliche Reformbewegungen und neue Frömmigkeitsrichtungen nimmt Schilling in den Blick. Die Aufmerksamkeit des Historikers gilt dabei auch den zunehmenden Kontakten und Verflechtungen zwischen den verschiedenen Kulturräumen.
Die Reformation als Zäsur wird in dieser Betrachtungsweise ein Stück weit relativiert: So bezeichnet Schilling die Übernahme des Kalifats durch den osmanischen Sultan als „eine der Reformation vergleichbare weltgeschichtliche Wende“ (293). Gleichzeitig würdigt er durchaus auch die Bedeutung Martin Luthers, der die beiden Reformtraditionen seiner Zeit, die intellektuell-wissenschaftliche und die spirituell-existenzielle, miteinander verknüpft habe und markiert als Konsequenz der Reformation, den Kern der „alteuropäischen Vergesellschaftung“ aufgebrochen zu haben, „nämlich die Verschränkung von Sakralem und Säkularem, Religion und Gesellschaft, Priesterlichem und Politischem“ (303) und damit eine generelle Differenzierung der Grundlagen des menschlichen Zusammenlebens im Sinne der Säkularisierung. Insgesamt liefert Schilling durch seine Sicht der Dinge einen begrüßenswerten Anstoß dazu, beim Thema Reformation einmal über den deutschen und auch über den europäischen Horizont hinauszublicken: Ein Schuss Exotik kann dem Reformationsjubiläum in diesem Sinn nicht schaden.