Gott ist ein „steiler und glatter Fels“. Er ist „unfassbar, unerreichbar, unsichtbar“. Seine Stille ist „wie sengendes Feuer“. Seiner schweigenden Majestät kann man sich nicht nähern, „ohne vor Schrecken und Furcht zu zittern“. „Gott ist ein Licht, das schweigend leuchtet und strahlt. Gott scheint und strahlt wie die Sonne. Er brennt wie ein Feuer, doch er ist unhörbar.“ Es sind Nachtgedanken, Wüstengedanken, Gedanken eines Mystikers und Einsiedlers. Kaum vorstellbar, dass ihr Urheber in Rom in einem Büro sitzt: Es ist Kardinal Robert Sarah, der Präfekt der römischen Gottesdienstkongregation. Im Interview mit dem Journalisten Nicolas Diat formuliert er dunkle, funkelnde, widersprüchliche Aphorismen, die den Leser in den Abgrund einer radikalen theologia negativa stoßen. Er ist inspiriert von Denkern wie Maurice Zundel und Thomas Merton, aber auch von den großen Mystikern der Kirchengeschichte. Wie der Mensch zu Gott gelangen kann – diese Ur-Frage der Mystik steht im Hintergrund des ganzen Buches. „Gott spricht nicht, aber seine Stimme ist deutlich vernehmbar“, lautet die paradoxe Botschaft. Zu hören ist die Stimme Gottes für Sarah nur in der Stille. Aber die Gegenwart ist laut und rastlos, überall regiert der Lärm. Um Gott zu begegnen, muss der Mensch sich darum innerlich zurückziehen. Doch in der Stille werden zunächst die inneren Stimmen laut, das„lärmende und hartnäckige Gedränge“ in der Seele. Erst wer diesen Sturm zum Schweigen bringt, kann die Stimme Gottes vernehmen – und begreifen: „Gottes einzige Macht ist, schweigend zu lieben. Er ist keiner Gewalt fähig.“ Die Gedanken münden schließlich in die Theodizeefrage: Für den Kardinal ist Gott „das erste Opfer“ des Bösen, er teilt das Leid des Menschen. Im letzten Kapitel spricht Sarah mit Dysmas de Lassus, dem Prior der Grande Chartreuse, wo die Mönche Gott im Schweigen und in der Einsamkeit suchen. Dass der Kardinal für mehr Stille in der Liturgie plädiert, ist nicht überraschend. So lobt er das leise Sprechen des Hochgebets in der Messe, wie es früher üblich war und bei den Karthäusern immer noch Brauch ist. Unter Liturgieexperten gilt Sarah als Reaktionär. Aber entspricht der Weg der Stille, den er vorschlägt, nicht der religiösen Suche vieler moderner Menschen, für die die Präsenz Gottes nicht mehr fraglos ist?