Während die jüdischen Gemeinden in Deutschland kontinuierlich Mitglieder verlieren, wächst das jüdische Leben jenseits der Gemeinden. Aus aller Welt kommen vor allem junge Juden nach Deutschland, wo sie ihren Glauben, ihr Jüdischsein und viele andere Identitäten so frei wie fast nirgendwo sonst ausleben können. Aus dieser Vielfalt heraus sind allein in den vergangenen fünf Jahren über 40 unabhängige jüdische Vereine, Organisationen und Initiativen entstanden, schreibt die Soziologin Anastassia Pletoukhina in der ersten Ausgabe der Zeitschrift „Jalta. Positionen zur jüdischen Gegenwart“. Vor allem die 18- bis 35-Jährigen schaffen sich ihre eigenen Räume und Projekte, um ihre Freizeit zu gestalten, Gottesdienste zu feiern und sich fortzubilden.
Auch die Zeitschrift „Jalta“ ist eine Neugründung. Sie möchte die Vielfältigkeit jüdischer Perspektiven abbilden, Widersprüche aushalten und die Debatte über gesellschaftliche und politische Veränderungen vorantreiben. Die Herausgeber sind Geisteswissenschaftler mit engen Drähten in die Künste und in die intellektuelle Szene, fünf der sechs gehören zur jüngeren Generation, der emeritierte Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik ist sozusagen als Senior-Herausgeber dabei.
Die Zeitschrift soll in loser Folge erscheinen und ist nach der zornigen Jalta aus dem Talmud benannt, die sich gegen die Dummheit und Ungerechtigkeit von Männern wehrte. Durch die erste Ausgabe zieht denn auch das Thema „Selbstermächtigung“. Autorinnen schildern, wie fremd sich jüdische Feministinnen in der Frauenrechtsbewegung der Achtzigerjahre fühlten und beschreiben jüdisch-feministische Aufbrüche heute. Andere Beiträge beleuchten das Thema Migration auf wissenschaftliche, persönliche und literarische Art. Die Darstellungsformen sind so erfrischend bunt und originell wie die Zugänge zu den Themen. Ein Artikel etwa denkt über den Bedeutungswandel des deutschen Schäferhundes für Juden nach. Darauf muss man erstmal kommen. Der Lyriker Max Czollek schließlich ruft in seinem „Manifest zur Desintegration“ zur radical diversity als politischem Konzept auf und fordert ironisch-sarkastisch „die Rückgabe aller in deutschen Haushalten verbliebenen Silberlöffel“ und „reservierte Plätze in den Zügen der Deutschen Bahn“.