Wer von einem Buch mit dem Titel „Was ist deutsch?“ die Geschichte einer Nation erwartet, angefangen bei Germanen auf Bärenfellen und endend bei Laptop und Lederhose, wer Gründungsmythen hören möchte oder hochfliegende Zukunftsvisionen, der muss sich anderweitig umtum. Das Buch des Literaturwissenschaftlers Dieter Borchmeyer beginnt nicht bei Hermann dem Cherusker, sondern bei Goethe, Wagner und Thomas Mann. Borchmeyer erzählt die Geschichte einer Frage – die Frage einer verspäteten Nation nach ihrer Identität. Die Antwortversuche, so zeigt der Autor, stehen von Anfang an in einer merkwürdigen Spannung zwischen Universalismus und Exklusivismus. Es sei die „Bestimmung des Deutschen“, so schreibt Goethe 1820, „sich zum Repräsentanten der sämtlichen Weltbürger zu erheben.“ Und Thomas Mann äußert gut 100 Jahre später, das prägendste Merkmal des „deutschen Wesens“ sei die Verbindung von „Kosmopolitismus und Provinzialismus“.
Borchmeyer widmet sich dann der deutschen Mythologie, auch der Sehnsucht nach dem Süden, er beschreibt die „Erfindung der deutschen Klassik“, spricht von der deutschen Musik und – in einem besonders ausführlichen Kapitel – von der Verbindung zwischen Deutschtum und Judentum.
Die Frage nach der heutigen Rolle Deutschlands in Europa beantwortet Borchmeyer hoffnungsvoll mit dem Hinweis auf eben jenen Universalismus, der Deutschland als Kulturnation seit jeher geprägt habe. Es sei „nicht zu verkennen, dass gerade die Vorreiterrolle, die es inzwischen im Hinblick auf die Einheit Europas spielt, die relativ geringen Probleme, die es – im Gegensatz etwa zu Frankreich und vor allem zu England – damit hat, nationales mit europäischem Selbstbewusstsein zu verbinden, tief in der deutschen Geistesgeschichte verankert ist, (...) vor allem im weltbürgerlichen Nationalbewusstsein der Goethezeit, von dem dieses Buch vor allem handelte.“ Wovon das Buch allerdings kaum handelt, ist die religiöse Prägung Deutschlands, insbesondere seine konfessionelle Teilung, deren Bedeutung für Fragen der Identität doch eigentlich nicht zu unterschätzen ist.