150 Jahre Zentralkomitee der deutschen KatholikenDie Stunde der Laien?

1868 wurde erstmals ein Central-Comité deutscher Katholiken ins Leben gerufen. In den eineinhalb Jahrhunderten seitdem folgte eine wechselhafte Geschichte.

ZdK-Vollversammlung mit Buchstaben
© KNA

Die Stadt“, so stand es später im amtlichen Bericht über den Katholikentag in Bamberg 1868, „prangte in schönstem Schmucke. Von allen Thürmen wehten riesige Flaggen (...) die Häuser waren mit schönen Draperien, Guirlanden, Kränzen, Inschriften, großen und kleinen weißblauen, weißrothen, weißgelben und schwarz-roth-gelben Fahnen geschmückt. Der höchst imposante Zug setzte sich um 8 Uhr von der Aula her in Bewegung und ging über den Marxplatz, den grünen Markt und die obere Brücke zum Dom.“

Der Zug, der sich am 13. September 2018 in umgekehrter Richtung vom Dom zur Aula in Bewegung setzte, war nicht ganz so imposant wie der vom 31. August 1868, hatte aber doch einen imposanten Anlass: 150 Jahre ZdK. Schließlich war unter der Rubrik „Formalien“ am 3. September 1868 in Bamberg beschlossen worden, ein Central-Comité einzurichten. Beschäftigt man sich jedoch näher mit dem Geburtstagskind, stellt man erstaunt fest, dass dieses höchstinteressante Wesen eigentlich nicht nur einen, sondern drei Geburtstage hat: 1848, 1868 und 1952. Dabei ist es keineswegs unbedeutend, welcher dieser Momente als Geburtsstunde gilt, die der Institution ZdK eine besondere Prägung verleihen konnten. Denn erstens gibt es da diverse Verästelungen, zweitens tritt an die Stelle der Institution mit einem Mal eine einzelne Person, dann, in den beiden Weltkriegen, reißt der Geschichtsfaden ganz, um anschließend wiederaufzutauchen. Drittens gibt es zuweilen solche Verflechtungen, dass es unmöglich wird, das ZdK als eigenen Akteur herauszulösen, ohne dabei einen Funktionszusammenhang zu zerstören. So verhält es sich nicht nur mit den Katholikentagen, die mit dem ZdK verbunden sind wie siamesische Zwillinge. Dasselbe gilt gegenüber den zahlreichen Vereinen, die aus den Katholikentagen heraus gegründet wurden, wie auch gegenüber der Politik, war doch das ZdK aufs Engste zunächst mit dem Zentrum und in der frühen Bundesrepublik mit der CDU verknüpft.

Wunsch nach Bündelung

Bei der Rekonstruktion der Vorgeschichte bleibt zunächst festzustellen: Eine Institution, die sich ZdK nennt, gibt es erst seit 1952. Das, was 1868 gegründet wurde, war ein CC – ein Central-Comité. Doch auch die Größe – fünf bis sieben Personen – verweist auf einen erheblichen Unterschied zum heutigen ZdK. Dieses setzt sich zusammen aus den drei Säulen: Vertretern der Räte (die es so erst seit den Siebzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts gibt), Vertretern der Verbände sowie Einzelpersönlichkeiten. Die Kontinuitäten der beiden letzten Säulen führen wiederum zurück zum Jahr 1848. Im August jenes Jahres trafen sich anlässlich des Dombaufestes in Köln Vertreter der „Piusvereine für religiöse Freiheit“, von denen sich seit März 1848 rund 400 gegründet hatten, und Mitglieder des Katholischen Clubs der Paulskirche. Es war, symbolisch gesprochen, eine Zusammenkunft von Kölner Dom und Frankfurter Paulskirche und damit ein Zusammenschluss von religiösen, nationalen und demokratischen Elementen – was sich noch 1868 in Bamberg spiegelte, als neben den regionalen und päpstlichen Fahnen die schwarz-rot-goldenen zu sehen waren.

Auf dem Treffen in Köln entstand die Idee eines organisatorischen Zusammenschlusses – woraufhin schon im Oktober 1848 die erste Versammlung des katholischen Vereines Deutschlands stattfand – das, was später als erster Katholikentag gelten sollte. Es war insofern ein Katholikentag, als hier bereits die Öffentlichkeit teilnahm, schließlich wurden mehr als 1300 Eintrittskarten verkauft. Es war aber insofern auch eine Geburtsstunde des ZdK, als abends separat die Repräsentanten der katholischen Vereine zusammenkamen.

Der Wunsch nach Bündelung der Kräfte ging mit einer Institutionalisierung einher, die sich in der Vereinsgründung und der fortan jährlichen Zusammenkunft niederschlug. Angesichts der damit verbundenen logistischen Herausforderungen wurde schon 1864 vorgeschlagen, ein Zentralkomitee zu gründen, welchem die Vorbereitungen dieser Versammlungen obliegen sollten. Doch erst 1868 rief die Generalversammlung ein solches Central-Comité ins Leben und übertrug ihm die Aufgabe, „in jeder Weise überhaupt für das katholische Vereinsleben in Deutschland thätig zu sein“ und vor allem für das kommende Jahr einen „vollständigen durchgearbeiteten Plan zur Organisation der katholischen Partei Deutschlands vorzulegen“. Auch wenn zwei Jahre später das Zentrum gegründet werden sollte, war hier noch nicht an eine politische Partei gedacht, sondern an eine organisatorische Einbindung des katholischen Deutschlands – das in dem Kampf für die Interessen der Katholiken eben „Partei“ war.

Das Comité machte sich sofort an die Arbeit: Im November 1868 zirkulierten die ersten Reformpläne. Im Ergebnis wurde das Comité, welches sich nach den Worten der Delegierten „nun bereits in ausgezeichnetster Weise bewährt“ habe, komplett umgekrempelt. An die Stelle der sieben Personen trat nun ein Gremium, das sich aus bis zu drei Mitgliedern aus jeder deutschen Diözese zusammensetzte und durch weitere Kooptationen ergänzt werden konnte. Das Central-Comité expandierte: von sieben Männern im Jahr 1868 auf 40 im Folgejahr und auf 270 Personen 1871. Zusammengehalten wurden diese von einem „leitenden Bureau“, den Geschäftsführern und fünf Referenten. Schon jetzt staunten die Zeitgenossen über die „so große, so viele Mühe, Zeit und Geld kostende Organisation“.

In Anbetracht dieses Booms steht man rätselnd vor den Entscheidungen des Jahres 1872: Die Generalversammlung beschloss die Auflösung des Comités. Zwei Motive lassen sich aus den Quellen herauslesen: Erstens war im Juli 1872 aus dem Comité heraus ein neuer Verein gegründet worden, nämlich der Verein der deutschen Katholiken, der fortan die Koordination der Katholiken im Kulturkampf und daher so manches übernehmen sollte, wofür bislang das Central-Comité zuständig geworden war. Für die Katholikentage bedeutete dies zweitens, dass sie aus dem Fokus der Kulturkampfgesetze herausgenommen wurden, weil sie als „Versammlung“ weniger der Repression ausgesetzt waren als der Verein, der tatsächlich 1875 von der preußischen Regierung verboten wurde. 1890 erfolgte dann ein zweiter Anlauf mit der Gründung des Volksvereins für das katholische Deutschland, der den Vorstellungen einer zentralen Dachorganisation als „Verein der Vereine“ entsprach, der alle möglichen Initiativen bündelte und binnen kurzem zum größten Massenverein Deutschlands avancierte. Am Vorabend des Ersten Weltkriegs hatte er mehr als 800 000 Mitglieder.

Was aber wurde aus dem Central-Comité? An seine Stelle war inzwischen ein „Commissair“ getreten, in dessen alleiniger Hand fortan die Vorbereitung der Generalversammlungen lag: Karl zu Löwenstein-Wertheim-Rosenberg, der schon 1868 zum Vorsitzenden des Central-Comités gewählt worden war und seitdem mit „wenig Kompetenzen“, aber durch „große Autorität“ die Fäden in der Hand hielt. Ihm wuchs allerdings schließlich die Arbeit über den Kopf, so dass 1898 die Generalversammlung darauf drang, erneut ein Central-Comité einzuberufen. In dieses noch auf der 45. Generalversammlung 1898 in Krefeld neu gegründete „Central-Komitee für die Generalversammlungen der Katholiken Deutschlands“ wurden 16 Männer gewählt, die zum „Who is Who“ der dynamischen katholischen Gesellschaft am Ende des 19. Jahrhunderts zählten, darunter der Mönchengladbacher Unternehmer Franz Brandts und der Sozialethik-Professor Franz Hitze aus Münster, die beide acht Jahre zuvor den Volksverein gegründet hatten. Oder Lorenz Werthmann, der 1897 federführend an der Gründung des Caritasverbands für das katholische Deutschland in Köln mitwirkte. Oder Felix Porsch, unter dessen Einfluss Oberschlesien zu einer Hochburg des Zentrums geworden war. Man ahnt die zahlreichen Querverbindungen, die den Katholikentagen einen starken, modernen, sozialpolitischen Akzent gaben.

Vor allem ahnt man, dass das Zentralkomitee dieser Zeit sich gerade nicht darauf beschränkte, „nur“ die Katholikentage vorzubereiten, sondern eine Schnitt-, wenn nicht gar Schaltstelle eines ungemein lebendigen Katholizismus dieser Zeit war, der gleichermaßen in Kirche, Gesellschaft und Politik hineinwirkte. Mit Blick auf die Verbindungen zur Politik sei nur erwähnt, dass 1908 mehr als die Hälfte aller Zentralkomitee-Mitglieder dem Zentrum angehörten. Die Wertschätzung durch das Zentrum ergibt sich aus dem Umstand, dass die Katholikentage anstelle von Parteitagen fungierten und den Kontakt zur Basis sicherten. Die Solisten in Berlin, so der Zentrumsführer Ludwig Windthorst, bedürften der Unterstützung durch den „Chor“. Meist dominierten militärische Metaphern: Die Fraktion sei das „stehende Heer“, die Katholikentage seien die „Heerschau“ über die Reserve.

Zum Präsidenten des neuen Central-Komitees wurde auf der konstituierenden Sitzung im November 1898 Graf Clemens Droste zu Vischering-Erbdroste gewählt, dessen betont freundschaftliches Verhältnis zum preußischen Königshaus symptomatisch für das Ende des Kulturkampfes war und für den neuen Schulterschluss von Kaiserreich und Katholiken stand. Aus dem Paria war zumindest ein Untermieter geworden, der sich um ein gutes Verhältnis zum Hausherrn bemühte. Hatten den früheren Vorsitzenden Papstaudienzen nach Rom geführt, reiste Droste zu Vischering zunächst einmal ins Berliner Schloss zur Audienz bei Kaiser Wilhelm. Dem entsprach die baldige Praxis der Katholikentage, nicht mehr nur dem Papst, sondern auch dem Kaiser ein Huldigungsschreiben zukommen zu lassen.

Klammheimlich verschoben sich schließlich die Prioritäten. Die „römische Frage“, das heißt die Frage nach der Stellung des Papstes, der mit der italienischen Reichseinigung sein Herrschaftsterritorium verloren hatte, weshalb sich deutsche Katholiken so vehement für den „Gefangenen im Vatikan“ eingesetzt und fleißig Spenden gesammelt hatten, verlor an Bedeutung. Unumwunden gab der Präsident des Katholikentags von 1904, Felix Porsch, zu: „Die Behandlung der römischen Frage hängt mir schon zum Halse raus.“ Hingegen wurde Wilhelm II. auf dem Katholikentag von 1911 als der „Kaiser der Katholiken“ gefeiert. Der letzte Katholikentag vor dem Ersten Weltkrieg fand 1913 in Metz statt und war von einer Rhetorik des Ausgleichs geprägt, die sich wohltuend vom nationalistischen Säbelrasseln der Zeit abhob. Aber einen Protest der Katholiken gab es zu Beginn des Krieges nicht.

Die Katholikentagsgeschichte hat es jetzt einfach: Da es nun mal keine Katholikentage im Ersten Weltkrieg und im Nationalsozialismus gab, werden diese Jahre in den Darstellungen übersprungen. Überliefert ist, dass das Zentralkomitee nach Kriegsbeginn noch zweimal zu außerordentlichen Sitzungen zusammenkam: im März 1915 in Berlin und im Juli 1916 in Frankfurt. Dann aber verstummen die Stimmen, und umso lauter werden die Fragen: Wie verhielten sich die Mitglieder angesichts eines Nationalismus, der vor den Kirchen nicht Halt machte? Schon gar nicht bei den Katholiken, die kein Interesse daran hatten, das gerade gewonnene Wohlwollen der Nation zu riskieren? Wie reagierten die Mitglieder des Central-Komitees, das sich einst eine bedingungslose Papsttreue auf die Fahnen geschrieben hatte, auf die Friedensinitiative Benedikts XV. vom August 1917? Die Leerstellen in der Literatur stehen für eine bezeichnende Sprach- und Hilflosigkeit auch der führenden Katholiken angesichts von Nationalismus und Revolution.

Die Schwierigkeiten, mit letzterer zurande zu kommen, zeigten sich in den Katholikentagen der Weimarer Republik. Inzwischen stand Aloys zu Löwenstein an der Spitze des Zentralkomitees. Der Sohn des früheren Vorsitzenden und Kommissars des ZK war 1920 zum Präsidenten gewählt worden. Er trug dazu bei, den Katholikentagen der Weimarer Jahre einen möglichst unpolitischen Charakter zu geben. Ihrer Attraktivität schadete das nicht: Die Teilnehmerzahlen schnellten in die Höhe, bis 1928 in Essen 250 000 Menschen an der Abschlusskundgebung teilnahmen. Als sich das Zentralkomitee 1934 weigerte, den von Hermann Göring eingeforderten Treueeid auf den Nationalsozialismus abzulegen, war die Zeit des organisierten Katholizismus abgelaufen. Allerdings bleibt die Frage: Was wurde aus den Mitgliedern des Zentralkomitees im Nationalsozialismus? Was aus ihren Kontakten? Aus ihren Überzeugungen? Aloys zu Löwenstein zog sich auf seine böhmischen Besitzungen zurück. Weiteres ist der Literatur nicht zu entnehmen. Eine Leerstelle.

Nach 1945 setzen bald Überlegungen ein, Katholikentag und Zentralkomitee wiederzubeleben. Als 1947 das alte Zentralkomitee wieder einberufen wurde, tat es zunächst das, was früher auch hatte getan werden müssen. Man organisierte den nächsten Katholikentag im September 1948. Gleichzeitig zog sich Aloys zu Löwenstein aus dem Präsidentenamt zurück, das er für seinen Sohn Karl zu Löwenstein räumte. Vor allem aber war das Komitee mit einer Strukturdebatte beschäftigt, bis schließlich 1952 das neue, jetzt auch tatsächlich so genannte ZdK aus der Taufe gehoben werden konnte.

Demokratievorsprung der Katholiken

Jetzt entstand das ZdK, wie wir es – weitgehend – kennen: mit der Geschäftsstelle in Bad Godesberg und ihrem Generalsekretär, dem Geistlichen Direktor beziehungsweise Assistenten, und natürlich den drei Säulen von Diözesanvertretern, Verbänden und Einzelpersönlichkeiten – ähnlich, wie es schon einmal um 1870 strukturiert war. Was das Gremium von den vorangegangenen Institutionen unterschied, war die strikte Unterordnung unter die Autorität des Episkopats, die allerdings in dem neuen Statut von 1967 abgemildert wurde. Das verweist auf mehrere Spannungsbögen, nämlich den zwischen Freiheit beziehungsweise Demokratie und Autorität beziehungsweise Obrigkeit, den zwischen Laien und Klerikern, zwischen Kirche und Welt und zwischen Einheit und Vielfalt.

Die verschiedenen Geburtstage des ZdK sind wichtig, zeigen sie doch beispielhaft die Unmöglichkeit, seine Geschichte angesichts der divergierenden, widersprüchlichen Indizien für Fortschritt und Beharrung, von Demokratie und Autoritätshörigkeit auf einen einfachen Nenner oder eine simple Fortschrittserzählung zu bringen. So wie das Statut von 1952 ein Dokument der Subordination der Laien unter die Bischöfe ist, so war 1848 ein Moment von Freiheit, Demokratie, Unabhängigkeit. 1848 zählten die Katholiken zu denjenigen, die sich für eine Verfassung einsetzten, schließlich konnte gerade die Verfassung die Willkür absolutistischer Herrschaft einhegen, unter denen katholische Interessen in der Restaurationsphase nach 1815 zu leiden hatten.

Doch der revolutionäre Moment war höchst flüchtig. Erstens schlug sich auch bei den Katholiken das nieder, was sich in der Revolutionsentwicklung des Deutschen Bundes 1848 zeigte: Nach dem revolutionären Aufbruch obsiegten Kräfte der Ordnung. So sind schon die Berichtsbände von 1849 in einem anderen Duktus verfasst. Zweitens waren die Katholiken der Kirchentage, die so vehement gegen staatliche Bevormundung ins Feld zogen, eilfertig bereit, den absolutistischen Anspruch des Papstes zu akzeptieren. Autoritäre und patriarchalische Gottesbilder und Ordnungsvorstellungen wurden somit – bei Laien und Klerikern, bei Arbeitern und Aristokraten – zum Leitbild von Formen staatlicher, familiärer, beruflicher und kirchlicher Über- und Unterordnung. Was hier im 19. Jahrhundert ausgeprägt und entwickelt wurde, wirkt nach bis auf den heutigen Tag.

Die katholische Kirche gilt allgemein nicht als Hort der Demokratie. Mit umso größerer Freude registriert man das Engagement der Katholiken für eine Verfassung 1848 und liest vom „Demokratievorsprung“ der Katholiken am Ende des Kaiserreichs – bedingt durch das langjährige Einüben demokratischer Verhaltensmuster in Gremien und Vereinen. Gerade das Zentralkomitee konnte hier ein Vorreiter sein, schließlich mussten Mitglieder und Präsidium gewählt werden. Aber was für Wahlen waren das, wenn von 1868 bis 1968 (bis auf eine Zwischenzeit von rund 20 Jahren) der Vorsitz bei der Familie zu Löwenstein lag? Mehr als 100 Jahre lang blieb das Präsidium in den Händen der katholischen Hocharistokratie, und es verwundert vor diesem Hintergrund nicht, dass nicht nur Kardinal Michael von Faulhaber, sondern auch der ZK-Präsident Aloys von Löwenstein 1922 nicht nur mit der Republik, sondern auch mit dem Katholikentagspräsidenten Konrad Adenauer haderte, der sich für die Republik in die Bresche geworfen hatte.

Wie positionierten sich die Männer des Central-Komités am Ende der Weimarer Republik und zu Beginn des NS? Dass auch die Katholiken nicht nur aufrechte Widerstandskämpfer gewesen waren, zeigte sich im Übrigen – auch hier sind Katholikentage Spiegel der Zeit – in den Sechzigerjahren: So stellte sich heraus, dass Willi Geiger, Verfassungsrichter in Karlsruhe und Präsident des Bamberger Katholikentags 1966, nicht nur eine linienförmige Dissertation geschrieben, sondern in den Vierzigerjahren als Staatsanwalt an Todesurteilen des Bamberger Sondergerichts beteiligt gewesen war. Auch musste 1968 der Präsident des ZdK Karl zu Löwenstein zurücktreten, als herauskam, dass er einen NS-kritischen Verwandten denunziert hatte.

Das Verhalten seines Vaters Aloys gilt als untadelig, schließlich hatte er kompromisslos die Forderungen Görings nach einem Treueid abgewiesen. Aber wie hatte er sich gegenüber jenen katholischen, vorwiegend westfälischen Adeligen verhalten, die 1931 offen für eine Annäherung auch der Kirche an den Nationalsozialismus eingetreten waren? Hätte es nicht doch mehr Gelegenheiten gegeben, die aufkommende Gefahr von rechts zu problematisieren und sich stärker für die Demokratie – ungeachtet all ihrer Schwächen ‒ einzusetzen?

Komplexes Verhältnis zur Hierarchie

Von Anfang an gab es bei der Bewegung des Laienkatholizismus eine unkomplizierte Kooperation mit Geistlichen, die auch nie zu knapp auf Katholikentagen und im Central-Comité vertreten waren, aber eben nicht in ihrer Rolle als Geistliche, sondern als Delegierte ihrer Verbände. Komplexer ist das Verhältnis zur Hierarchie. Hier kam es zu signifikanten Veränderungen. Im 19. Jahrhundert waren die Generalversammlungen der deutschen Katholiken schon deshalb unabhängige Veranstaltungen, weil sich die deutschen Bischöfe erst nach den Laien zusammengeschlossen hatten, wobei die Unterwürfigkeitserklärungen, die in dieser Zeit von den Laienkatholiken an die Bischöfe geschickt wurden, kaum auf Aufmüpfigkeit schließen lassen.

Konflikte gab es vermutlich deshalb nicht, weil man im Kampf gegen den gemeinsamen Feind zu sehr aufeinander angewiesen war. Nichts mobilisierte die deutschen Katholiken so wie ein vom preußischen Staat in Bedrängnis gebrachter Bischof. Doch die integrierenden gemeinsamen Feindbilder (preußischer Staat und Sozialismus) implodierten, und in den Weltkriegen wurden die Strukturen des Laienkatholizismus gelähmt beziehungsweise zerschlagen. Nach 1945 nutzten die Bischöfe dieses Vakuum und ihr in der Orientierungslosigkeit der Nachkriegszeit gewachsenes Prestige, um die Laienarbeit in ihre Programme zu integrieren.

Davon zeugt die Debatte um die Katholische Aktion in der Nachkriegszeit, und davon zeugt das Statut des ZdK von 1952, das in Paragraph 1 die Verhältnisse klärt: „Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken ist der von der Autorität der Bischöfe getragene Zusammenschluß der im Laienapostolat der katholischen Kirche in Deutschland tätigen Kräfte.“ Liest man die im Umfeld entstandenen Texte, fällt erstens auf, wie oft die Kleriker betonen, dass das ZdK dem „Rufe unserer Oberhirten“ folge. Zweitens wird in den Texten des zum Generalsekretär des ZdK ernannten Priesters Franz Hengsbach kaum etwas dermaßen intensiv unterstrichen wie „das Vertrauen der Hierarchie zur Mitarbeit der Laien“. Wer derart Kühnheit und Vertrauen beschwört, beschwört automatisch Fragen danach herauf, wer eigentlich welche Angst und welches Misstrauen hatte und warum?

Seitdem ist viel passiert. Das Konzil hat die Rolle von Laien auf eine andere Basis gestellt, und nach dem neuen Statut von 1974 ist das ZdK nicht mehr von „der Autorität der Bischöfe getragen“, sondern ein von der Deutschen Bischofskonferenz „anerkanntes Organ“, mit dem im Rahmen der Gemeinsamen Konferenz regelmäßige Kontakte bestehen. Aber immer noch scheint es immer wieder Haltungen und Emotionen zu geben, die einer Kooperation auf Augenhöhe entgegenstehen. Inwieweit beeinträchtigt dieser Webfehler von 1952, der den Laienkatholizismus unter die Autorität der Bischöfe stellte, ein kooperatives Agieren in wechselseitigem Respekt, welches doch gerade heute so wichtig wäre?

Die massiven, persönlichen Verletzungen, die damit zu tun hatten, dass die Laien 1999 einen Verein gründeten, der Bischöfen und Vatikan nicht passte, nämlich „Donum Vitae“, hätten wohl unterbleiben können, wenn man den Laien grundsätzlich ein unabhängiges Urteilen und Handeln zugestanden hätte. Dass sogar Präsidentenwahlen des ZdK von den Bischöfen torpediert werden können und dass jede Änderung des Statuts der Zustimmung der Bischofskonferenz bedarf, scheint jedenfalls nicht in diese Zeit zu passen.

Ein ähnlich irritierendes Bild ergibt sich beim Blick auf die Stellung der Frau. Hier hat zumindest das ZdK seinen ursprünglichen Webfehler beseitigt, der ein Webfehler beider Ursprungsinstitutionen war: der Kirche und des Parlamentarismus. Frauen waren die Verliererinnen der Entwicklung von Gender-Vorstellungen im Klerus und Bürgertum des 19. Jahrhunderts. Insofern waren Frauen auch auf den Generalversammlungen der Katholiken zwar zugelassen, aber nur als Hörende, und selbst das nicht in den internen Sitzungen. Die Katholikentags- und ZK-Geschichte des 19. Jahrhunderts ist eine Geschichte von Männern. Allerdings hatte schon ein Redner auf der Generalversammlung 1899 in Neiße die „Frauenfrage“ thematisiert und gemahnt: „Die katholischen Männer Deutschlands müssen die Frauenbewegung ernster nehmen und mehr mit ihr rechnen.“ Dabei ist schon anhand der demaskierenden Heiterkeit, die sich die Zuhörer laut der Mitschrift der Rede an Stellen gönnten, wenn von Frauen die Rede war, die nicht heiraten konnten oder wollten, oder auf das Heimkommen des Mannes warteten, erkennbar, dass es sich um ein Männergremium handelte.

Mit dem Wahlrecht in der Weimarer Republik stand den Frauen der Weg in das Zentralkomitee offen. Vier von ihnen, die jeweils die wichtigsten katholischen Frauenverbände repräsentierten, wurden 1920 hineingewählt. Auch gab es zwei Frauen, die 1921 und 1922 Vizepräsidentinnen der Katholikentage waren. Immerhin standen hinter ihnen und ihren Verbänden Hunderttausende Frauen. Um dieses Potenzial für die katholischen Aktivitäten zu rekrutieren und den spezifischen Bedarfslagen der Katholikinnen zu entsprechen, waren seit Beginn des 20. Jahrhunderts, nachdem auch Frauen gesetzlich die Vereinsfreiheit zugebilligt worden war, zahlreiche Vereine gegründet worden: neben dem Katholischen Frauenbund unter anderem die Missionsvereinigung katholischer Frauen und Jungfrauen, Arbeiterinnenvereine oder „Mädchenschutzvereine“. Bis zur gleichberechtigten Präsenz von Frauen im ZdK war es allerdings ein weiter Weg.

Wirklich ausgewogen war das Geschlechterverhältnis – anders als angekündigt – auch nach 1952 im ZdK lange nicht. Es solle, hieß es in den Planungen 1952, „peinlich“ auf ein Gleichgewicht geachtet werden: „zwischen Klerikern und Laien, zwischen Männern und Frauen, zwischen Nord und Süd“. Nirgends ist dieses Soll erfüllt worden, aber bei dem Genderverhältnis tut sich am meisten: Mit Rita Waschbüsch gab es immerhin eine Präsidentin, inzwischen ist das Präsidium geschlechtergerecht aufgestellt, und vor den Vollversammlungen eruieren ZdK-Frauen die für sie wichtigen Themen.

Weltliche und binnenkirchliche Themen nicht trennbar

Die Frauenthematik zeigt zweierlei: Erstens, dass es unmöglich ist, „weltliche“ und „binnenkirchliche“ Fragen strikt voneinander zu trennen – auch wenn dies die Laien schon 1848 vollmundig zugesichert hatten. Vorstellungen von Gender- und Familienordnungen tangieren Welt und Kirche. Und gerade deshalb werden Männer und Frauen, die von der Gleichberechtigung der Geschlechter überzeugt sind, nicht ruhen, bis auch innerkirchlich diese volle Gleichberechtigung hergestellt ist. Das ZdK spielt hier eine wichtige Rolle, könnte aber noch mutiger sein.

Die „Frauenfrage“ verweist aber ihrerseits auf einen weiteren Aspekt: den nicht immer unproblematischen Umgang des Zentralkomitees mit Vielfalt. Es gelang schon im 19. Jahrhundert deshalb besonders gut, als „Einheit“ aufzutreten, weil divergierende Stimmen ausgeschlossen wurden. Das galt für das Jahrzehnt nach 1840 für die Deutschkatholiken, was schon deshalb nicht unwichtig ist, weil sich hier besonders viele Frauen artikulierten. Und das galt in den Jahren nach 1870 für die Altkatholiken. Beide Bewegungen speisten sich aus der katholischen Aufklärung und dem Widerstand gegen römischen Zentralismus beziehungsweise Unfehlbarkeitsanspruch. Auf den Generalversammlungen der Katholiken Deutschlands waren sie unerwünscht. Eine Debatte fand nicht statt. Dabei hatten nicht nur viele Bischöfe, sondern auch das inzwischen arrivierte katholische Bürgertum in Deutschland mit dem neuen Dogma größte Schwierigkeiten.

In einer Resolution bekannten die Mitglieder der Generalversammlung von 1871 in „unerschütterlichem Gehorsam“ ihren „freudigen Glauben an das Dogma des unfehlbaren Lehramts des Papstes in Sachen des Glaubens und der Sitten“. Die unstrittige Solidarität mit dem Papst ließ keinen Platz für Dissidenten oder diejenigen, die man dafür hielt.

Reformtheologen wurden in den Jahren nach 1920 ebensowenig zu den Katholikentagen eingeladen wie Politiker, deren polarisierende Wirkung gefürchtet wurde – selbst wenn sie (wie Josef Wirth) der katholische Reichskanzler der Republik waren. Noch in der Debatte über den Nato-Doppelbeschluss wurden Pax Christi und der BDKJ wegen ihrer oppositionellen Haltung nicht eingeladen. Katholikentage, so galt offenbar immer noch die Devise von Aloys zu Löwenstein, sollten die Einheit des deutschen Katholizismus stärken und nicht stören.

Daraus ist erstens die Frage abzuleiten, ob es nicht wichtig wäre, auch im ZdK zu einer Kultur der offenen Auseinandersetzung zu kommen, in der sich divergierende Ansichten stärker abbilden können. Dies führt weiter zu dem ungleich problematischeren Aspekt der Repräsentation im ZdK: Was oder wen repräsentiert das Gremium überhaupt? Spiegelt es die Meinungsvielfalt im deutschen Katholizismus? Wer fühlt sich noch vom ZdK vertreten? Wie viele Katholiken kennen es überhaupt? Was tun, wenn die Basis bröckelt, weil der Zulauf zu den Verbänden schwindet und die Attraktivität der Räte schmilzt, so dass sich die Katholiken in den Bistümern dort gar nicht repräsentiert sehen?

Verbände und Vereine waren die modernen Manifestationsformen des 19. Jahrhunderts. Rätestrukturen waren im Katholizismus die moderne Partizipationsform des 20. Jahrhunderts. Was sind die Rekrutierungs-, Arbeits- und Artikulationsformen des 21. Jahrhunderts? Bezüglich der Dynamik kann man erneut vom 19. Jahrhundert lernen: Was da innerhalb kürzester Zeit mit dem Volksverein auf den Weg gebracht wurde mit den modernsten Mitteln der Zeit, ist schon beeindruckend. Etwas davon blitzte erst bei der Gründung von Donum Vitae und jüngst bei dem Engagement der Hamburger Schulgenossenschaft auf. Vielleicht geht der Weg in Richtung von Initiativen wie dieser.

Im Übrigen erinnert auch diese Thematik an das 19. Jahrhundert, so wie man ohnehin erstaunt feststellt, wie sehr die damaligen Schwerpunktsetzungen auch heute noch aktuell sind. Die brennendste Thematik im Sachbereich „Kultur“ war damals ohne jeden Zweifel die „Schulfrage“. Nur eben unter umgekehrtem Vorzeichen. Laien und Bischöfe, die Seit an Seit für die Expansion der Bekenntnisschule stritten, würden sich heute im Grab umdrehen, wenn sie den Erklärungen lauschen müssten, mit denen Gremien und Bischöfe Schulschließungen rechtfertigen. Es ist sicher nicht verkehrt, sich über die Bedeutung katholischer Schulen in Deutschland noch einmal ernsthaft Gedanken zu machen.

Nicht minder aktuell ist die „soziale Frage“. Wenn etwas die Katholikentage des 19. Jahrhunderts wie ein roter Faden durchzieht, dann ist es die Hinwendung zu den in Bedrängnis Geratenen, den sozial Marginalisierten, den Armen. Entscheidende Impulse zur Entwicklung dessen, was als „katholische Soziallehre“ bekannt werden sollte, kamen aus diesem Kreis. Die Caritas als Institution wurde begründet, aber auch als gelebte Praxis immer wieder angemahnt. Bei der Entwicklung der Sozialversicherungsgesetzgebung wirkten Vertreter des Zentralkomitees an entscheidender Stelle mit. Die zahlreichen Initiativen des Volksvereins richteten sich an die unteren Gesellschaftsschichten. Auch wenn es nicht gelang, der Sozialdemokratie das Wasser abzugraben, trugen diese Ansätze doch dazu bei, eine sozial viel gerechtere Welt zu gestalten.

Auch das Verhältnis zwischen Staat und Kirche ist ein Dauerthema des Laienkatholizismus, für das man heute ebenso Spezialisten braucht wie für das Verhältnis zwischen Gesellschaft und Religionen. In dem interkonfessionellen und interreligiösen Dialog hat das ZdK bereits erhebliche Expertise gewonnen, die es einzusetzen gilt in den kommenden Debatten, die ohne Zweifel das 21. Jahrhundert prägen werden. Wenn die Bischöfe sich nicht einig sind, wenn die päpstliche Autorität infrage gestellt wird und der Klerus durch den Missbrauchsskandal als Moralagentur diskreditiert ist, dann schlägt womöglich jetzt die „Stunde der Laien“.

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