Das Musikschaffen in den drei monotheistischen Religionen Judentum, Christentum und Islam ist ein breites Feld. Den Gemeinsamkeiten, Gegensätzen und Reibungspunkten lässt sich dabei zum einen aus musikwissenschaftlicher Sicht auf den Grund gehen. Genauso bedeutsam ist es, dieses Thema aus theologischer Perspektive zu betrachten.
An einer Tagung des Ökumenischen Instituts Luzern, die vom 8. bis zum 10. November 2018 stattfand, wurde beidem viel Raum gegeben. Und dazu eingeladen, sich auf die Klangwelten der drei Religionen einzulassen.
„Da nahm Mirjam, die Prophetin, Aarons Schwester, eine Pauke in ihre Hand, und alle Frauen folgten ihr nach mit Pauken im Reigen“. Die kurze Stelle aus dem Buch Exodus (15,20) könne gut und gerne als Beginn religiöser Musik bezeichnet werden, stellte der Pianist und Musikwissenschaftler Jascha Nemtsov fest. Der Blick zurück machte für das Musikschaffen in allen drei Religionen eines deutlich: Die Musik im Gottesdienst war immer schon da. Vielleicht anders, bewegter, klangvoller. Aber immer im Bezug zum Göttlichen.
Zum Jahrestag der Reichspogromnacht vom 9. November hatten Nemtsov und der jüdische Kantor Isidoro Abramowicz die von der Professur für Dogmatik der theologischen Fakultät Luzern organisierte Tagung so eröffnet: Mit den brennenden Synagogen verschwanden vor 80 Jahren die Orgeln in weiten Teilen Europas komplett aus der synagogalen Musik. Ein Ereignis, das mit Musik nichts zu tun hatte, wirkte sich unmittelbar auf die künftige musikalische Gestaltung des jüdischen Gottesdienstes aus.
Herrschaftliche und politische Einflussnahmen veränderten das religiöse Musikschaffen aber auch schon früher und bis in die Gegenwart hinein. So verwies Wolfgang Müller, Professor für Dogmatik und Leiter des Ökumenischen Instituts an der Universität Luzern, auf Papst Johannes XXII., der sich im 14. Jahrhundert gegen die „Ars nova“ wandte. Diese Musik „betöre die Ohren, ohne sich um die Seele zu kümmern“, lautete das scharfe Urteil des Pontifex.
Hart auf hart findet sich die Verbannung, ja Verdammung der Musik in der Gegenwart durch die Taliban in Afghanistan. Instrumente, Tonträger und Noten wurden zerstört, wie der Münchner Musikwissenschaftler Lorenz Welker festhielt. Erlaubt blieben allein der Gesang und die Koranrezitation in Hocharabisch. Diese gilt im Islam nicht als Musik, bedeutet aber dennoch weit mehr als das Vorlesen der Heiligen Schrift.
In welcher Zeit auch immer religiöse Obrigkeiten Musiker und Musikschaffen unterdrückten, es entstanden neue Formen, nicht zuletzt in der weltlichen Musik. Was im Gottesdienst nicht (mehr) erlaubt war, wurde in Form von Tänzen und Liedern beim Volks- oder Familienfest gepflegt.
Doch wo verlaufen heute die Grenzen zwischen Musik im Gottesdienst, im sakralen Raum (ohne liturgischen Bezug) oder ganz einfach im Konzertsaal? Angesichts der vollen Kirchen und Konzertsäle bei der konzertanten Aufführung geistlicher Werke gelte es auch hier, von einem spirituellen Bedürfnis des Publikums auszugehen. Dem wurde auch an der Tagung Rechnung getragen. So kam nebst der synagogalen Musik eine liturgische Meditation mit Wort und Musik aus dem Okzident und Orient zu konzertanter Aufführung. Zudem wurden eine gregorianische Feier und eine orthodoxe Vesper gehalten. Wort, Musik und Spiritualität ergänzten sich an der Tagung bestens.
Musik will im Moment ihrer Entstehung zwischen Musizierenden und Hörenden eine über das Wort hinaus gehende eschatologische Erfahrung ermöglichen, wie es der emeritierte Luzerner Professor für Kirchenmusik Alois Koch benannte.
Das aber erfordert eine enge Zusammenarbeit zwischen Liturgen und Musikern. Die Musikschaffenden sehen sich hier in einem großen Spannungsfeld, stellte Koch fest. Er wünscht sich auch für die Zukunft eine Förderung zeitgenössischer Musik für den Gottesdienst. Diese habe aber hohen qualitativen Anforderungen zu entsprechen, damit sie auch dem theologischen Anspruch gerecht werden kann: dem Menschen bei seiner religiösen Suche den Weg zu ebnen.