Schon bald, genauer gesagt am Morgen des 21. Dezember um 8.58 Uhr, wird das Licht in das Hügelgrab von Newgrange, Irland zurückkehren. Das runde Gewölbe ist uralt, älter als Stonehenge, älter als die Pyramiden. Es ist so ausgerichtet, dass jedes Jahr zur Wintersonnenwende ein Strahl der aufgehenden Sonne durch die Öffnung über dem Portal fällt. Während die Sonne weiterzieht, wandert der Lichtstrahl den staubigen Eingangsschacht entlang und erreicht schließlich die Grabkammer, wo er 17 Minuten lang die Wand erleuchtet. An was auch immer jene Menschen, die vor 5000 Jahren dieses Grabmal aufschichteten, geglaubt haben – die Vorstellung, dass ihren Toten ein Licht in der Finsternis leuchte, muss ihnen sehr wichtig gewesen sein.
Wenn es noch eines Beweises dafür bedürfte, dass die Sehnsucht nach Transzendenz ein urmenschliches Merkmal ist, so lieferte ihn Neil MacGregor mit seinem Buch „Leben mit den Göttern“. MacGregor, britischer Kunsthistoriker, Museumsmanager und Bestsellerautor („Geschichte der Welt in 100 Objekten“), versammelt darin das Monument von Newgrange und unzählige weitere Beispiele für Heiligtümer, Artefakte oder Bräuche aus aller Welt, um so anschaulich wie möglich in die faszinierende Vielfalt menschlicher Religionsausübung aller Epochen einzuführen. In dem üppig bebilderten Band springt MacGregor assoziativ zwischen frommen Keilschrifttäfelchen aus Mesopotamien, einer Barocksynagoge in Plymouth und der Jungfrau von Guadalupe hin und her, immer dem roten Faden nach, den die Verwandtschaftsverhältnisse religiöser Symbole und Gebräuche gesponnen haben: Spielen nicht Licht und Dunkel in allen Kulten eine wichtige Rolle? Oder die Kraft des Wassers? Oder das Opfern, der Gesang, der Erntedank?
Schade nur, dass MacGregor Religion ausschließlich als – tendenziell gefährliches – soziologisches Phänomen betrachtet. Als identitätsstiftendes Moment einer Gruppe oder Gesellschaft, wie eine Stammesfahne oder eine Lieblingsbiersorte. Die Frage nach persönlichen Gotteserfahrungen, nach der eigentlichen Bedeutung religiösen Lebens für die Gläubigen bleibt außen vor. Muss man nach der Lektüre halt selbst noch mal nach Newgrange fahren.