BuchbesprechungAndreas Reckwitz: Die Gesellschaft der Singularitäten

CSU-Politiker Alexander Dobrindt fordert eine „konservative Revolution“, AfD-Politiker propagieren Rollenbilder der Fünfzigerjahre. Ihnen gemeinsam ist, dass sie ein tiefes Unbehagen an der gesellschaftlichen Entwicklung wahrnehmen. In der Tat findet ein fundamentaler Strukturwandel statt. Die soziale Logik des Allgemeinen mit ihren Strategien der Rationalisierung und Standardisierung verliert ihre Vorherrschaft an die soziale Logik des Besonderen mit ihren Strategien der Kulturalisierung und Affektintensivierung, schreibt der Soziologe Andreas Reckwitz in „Die Gesellschaft der Singularitäten“. Es ist das Buch der Stunde, weil es einleuchtend erklärt, woher das Unbehagen kommt und wie berechtigt es ist.

Auch in der Industriegesellschaft gab es einen Sinn für das Besondere und Einzigartige, doch dafür war der klar abgezirkelte Bereich der Kunst vorgesehen. Die Masse der Bevölkerung gewann Status und Ansehen, wenn sie erfüllte, was als Standard und „normal“ galt.

Seit etwa 20 Jahren kehren sich die Maßstäbe in allen Lebensbereichen um: Jetzt zählt nicht mehr, so zu sein wie alle anderen, sondern es geht darum, besondere Qualifikationen und Eigenschaften vorzuweisen, als Individuum und als Institution, als Politiker und Arbeitnehmer ein besonderes „Profil“ zu haben und „authentisch“ zu wirken. Was als einzigartig gilt und als solches erlebt wird, ist allein eine Frage der Wahrnehmung und Bewertung. So ist der Apple-Computer ein Serienprodukt, wird aber als Ausweis des Besonderen wahrgenommen. Das Prinzip des Allgemeinen ist nicht ausrangiert, analysiert Reckwitz, es wirkt nun aber im Hintergrund und liefert die Techniken, um das Singuläre zu fabrizieren. So lesen standardisierte Algorithmen das Profil der Internetnutzer, um jeweils auf sie zugeschnittene Angebote machen zu können.

Aus der nivellierten Mittelstandsgesellschaft ist eine akademische Mittelklasse aufgestiegen, die den Strukturwandel trägt und davon profitiert. Der Abstieg droht allen, die standardisierte Tätigkeiten ausüben, vom einfachen Angestellten bis zum neuen und alten Dienstleistungspersonal. Das macht zu Recht Angst. Mit hilflosen Rufen nach mehr Konservatismus und neuer Heimatseligkeit wird man diesen Umbrüchen aber sicherlich nicht beikommen.

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Andreas Reckwitz

Die Gesellschaft der Singularitäten

Suhrkamp Verlag, Berlin 2017. 485 S. 28,00 € (D)

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