Der ANC in Südafrika hat mit Cyril Ramaphosa kürzlich einen neuen Parteipräsidenten gewählt, der bei den nationalen Wahlen von 2019 vermutlich auch der Spitzenkandidat für das nationale Präsidentenamt wird. Präsident Jacob Zuma darf nach zwei Amtszeiten nicht mehr kandidieren. Zuma ist zwar tief in ein System der Staatsplünderung verwickelt, doch er versucht keine Tricks, um sich weiter an der Macht zu halten. Daran könnte sich der kongolesische Präsident Joseph Kabila ein Beispiel nehmen. Tut er aber wahrscheinlich weiterhin nicht – es sei denn, er hält sich doch noch das Schicksal seines 2001 ermordeten Vaters Laurent-Désiré Kabila, oder Robert Mugabes oder womöglich des kongolesischen Kleptokraten Mobutu Sese Seko vor Augen.
Das unter Vermittlung der katholischen Bischofskonferenz Ende 2016 ausgehandelte, von Kabila nie unterzeichnete und nach dem überraschenden Tod des Oppositionsführers Etienne Tchisekedi faktisch ignorierte „Sylvesterabkommen“ vom Dezember 2016, das Wahlen für Ende 2017 und eine Übergangsregierung zur Vorbereitung der Wahlen versprochen hatte, war für den Immer-noch-Präsidenten vermutlich die letzte Chance für einen einigermaßen ehrenvollen Abgang. Kürzlich hat die Wahlkommission ohne Absprache mit der Bischofskonferenz oder den Oppositionsparteien einen neuen Termin genannt: Ende 2018. Sie hat sich damit endgültig der Lächerlichkeit preisgegeben. Unklar ist auch, ob Kabila wirklich zurücktritt oder nicht. Seine Versuche, die Verfassung zu manipulieren und sich eine dritte Kandidatur zu ermöglichen sind zwar bisher gescheitert, doch Kabila hält sich alle Optionen offen.
Eines ist klar: Das Ende der Ära Kabila kommt bestimmt. Fragt sich nur, wann. Und wahrscheinlich wird es ein bitteres Ende. Ein ruhiges Leben auf einer seiner vielen Landgüter und ausgestattet mit den Milliarden von Dollarwerten, die seine Familie im Laufe seiner Präsidentschaft seit 2001 angehäuft hat, dürfte ihm am Ende versagt bleiben. Da hält er sich lieber im Amt, koste es den Staat und die Menschen, was es wolle.
Die Bilanz der Ära Kabila ist verheerend: Der Staatsverfall ist ungebremst, Korruption ist Teil des Systems, private Milizen und die Armee verbreiten in weiten Teilen des Landes Schrecken, Millionen Menschen sind auf der Flucht, im Kasai beginnt eine Hungersnot großen Ausmaßes, lokale warlords und internationale Investoren reißen sich die reichen Rohstoffe unter den Nagel, das staatliche Schulwesen liegt darnieder. Ohne das Engagement Chinas, dessen wirtschaftlich-politische Macht in Afrika dramatisch anwächst, gäbe es im Bereich Infrastruktur nicht viel zu melden.
Milizen verbreiten Schrecken
Rohstoffe sind der weltweit mit Abstand bedeutendste Faktor für die Entstehung von Bürgerkriegen – dies bestätigte 2003 eine Studie der Weltbank unter dem Titel „Breaking the Conflict Trap – Civil War and Development Policy“. Wer sich mit dem Kongo beschäftigt, zerbricht sich den Kopf darüber, wie diese Logik sozusagen kontrafaktisch umgedreht werden kann, wie also eine Kriegsökonomie in eine Friedensökonomie überführt werden kann. Der Einwand, dass ein konsequent systemkritisches Denken sich nicht auf solche eitlen Hoffnungen einlässt, ist durchaus gewichtig, führt allerdings zur Passivität. Wenn man bedenkt, welche Konflikte angesichts der sich verknappenden Ressourcen auf die Welt in den nächsten Jahrzehnten zukommen, könnte man sich die Demokratische Republik Kongo sogar als eine Art Zukunftslabor vorstellen.
Leider ist die Realität des fortgesetzten Leidens der Menschen weit von solchen Visionen entfernt. Besonders dramatisch ist die Entwicklung derzeit im Kasai in Zentralkongo, wo 2017 wegen der undurchsichtigen Kämpfe zwischen marodierenden Armeeeinheiten und Milizen vielerorts die Ernte vollständig ausgefallen ist. Die Vereinten Nationen schlagen nun Alarm: 400 000 Menschen sind akut vom Hungertod bedroht. Der Boden ist fruchtbar, doch die Krume liegt brach. Die Regierung in Kinshasa kümmert sich in bewährter Manier lieber um ihre eigenen Angelegenheiten.
Seit 1990 hat es einige offene Zeitfenster in der unheilvollen Geschichte der Demokratischen Republik Kongo gegeben, in denen eine Wendung zum Besseren möglich erscheinen konnte: Die Souveräne Nationalkonferenz, die Befreiung von der Mobutu-Diktatur, das Ende des Krieges mit dem Abkommen von Sun-City, die ersten nationalen Wahlen. Doch die Wende blieb aus. Das mag hintergründig an der Skrupellosigkeit der Rohstoffmärkte liegen, die die Waren aus dem Kongo aufnehmen und sich nicht darum kümmern, was mit den Gewinnen vor Ort finanziert wird – mafiöse warlords oder nachhaltige Entwicklung. Doch vordergründig gibt es die weit verbreitete Gewissenlosigkeit der herrschenden Klasse, für die politischer Verantwortungssinn ein Fremdwort ohne Bedeutung ist, die skrupellos in die eigene Tasche wirtschaftet und sich einen Dreck um das Wohl des Landes schert. Hoffnungsperspektiven bestehen allein bei den außerparlamentarischen gewaltfreien Widerstandsbewegungen, etwa bei der „Lutte pour le Changement“ (LUCHA). Hier allein artikuliert sich ein kritisches Potenzial, das vielleicht eines Tages auch einmal politisch wirksam werden könnte. Staatliche Organe begegnen ihr daher mit Diffamierung und Unterdrückung. Doch der kritische Funke lässt sich nicht austreten.
Ein Blick zurück in die Geschichte hilft, diesen dramatischen Befund zu verstehen. Der „Kongo-Freistaat“, den der Berliner Afrika-Kongress von 1885 dem belgischen König Leopold II. als eine Art Privateigentum zusprach, war als Freiraum für Investitionen und Handel aus aller Herren Länder gedacht. Stattdessen verwandelte er sich in einen menschenrechtlichen Albtraum, bei dem Millionen Kongolesen ihr Leben ließen. Als die extrem brutalen Ausbeutungsstrategien der Kautschuk- und Elfenbeinhändler ruchbar wurden, zwang das belgische Parlament 1908 sein Staatsoberhaupt Leopold II. dazu, die Verantwortung an den belgischen Staat zu übertragen.
Aus dem Freistaat wurde eine „normale“ Kolonie. Die Unabhängigkeit kam 1960, doch dem Helden der Befreiungsbewegung, Patrice Lumumba, war kein Glück beschieden. Sein Militärführer, Laurent-Désiré Mobutu, der später seinen Namen als Mobutu Sese Seku afrikanisierte, entwickelte sich zu einem Statthalter amerikanischer und westeuropäischer Interessen und zugleich zu einem der skrupellosesten Autokraten in Afrika. Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks misslangen alle Versuche einer friedlichen Demokratisierung, bis 1998 eine militärische Aufstandsbewegung unter Führung von Laurent-Désiré Kabila, Widerstandskämpfer der Sechzigerjahre und Vater des heutigen Staatspräsidenten Joseph Kabila, vom Ostkongo aus mit seiner von Ruanda und Uganda unterstützten Miliz AFDL nach Kinshasa durchmarschierte. Das Ende der Ära Mobutu war ein Befreiungsschlag, doch die Menschenrechtsbilanz der AFDL war von Anfang an problematisch – vor allem kämpften in ihren Reihen eine große und deutlich sichtbare Anzahl von Kindersoldaten.
Nachdem er erst einmal die Macht im Staat übernommen und sich zum Staatsführer hatte ernennen lassen, brach Laurent-Désiré Kabila mit Uganda und Ruanda, die seine Rebellion militärisch, logistisch und politisch unterstützt hatten. Stattdessen versuchte er mit nationalistischer Rhetorik seine Alleinherrschaft zu legitimieren, womit er den Einmarsch von Uganda und Ruanda im Osten heraufbeschwor, deren Durchmarsch nach Kinshasa er wiederum mit Hilfe von angolanischen und simbabwischen Truppen verhinderte. Was folgte war ein jahrelanger Krieg – Afrikas „Erster Weltkrieg“ –, der den seit den Zeiten Mobutus manifesten Staatszerfall weiter beschleunigte. Eine stets kleiner werdende Zahl von Unentwegten hielt allerdings daran fest, in dem alten Kabila einen der letzten Kämpfer wider den Imperialismus zu sehen. Dafür erhielt er nach seinem Tod den Ehrentitel „Mzee“ und ein aufwändiges Mausoleum in Kinshasa. Als er im Januar 2001 im Präsidentenbüro unter unklaren Umständen ermordet wurde, hatte er sich allerdings mit nahezu allen ehemaligen Freunden und Verbündeten überworfen.
Nach seinem Tod übernahm sein Sohn Joseph Kabila die Macht, der eine kurze militärische Ausbildung in China durchlaufen und danach zum General ernannt worden war, aber politisch ein unbeschriebenes Blatt war. Doch gerade die Tatsache, dass er unbelastet, dynamisch und zukunftsorientiert zu sein schien, sicherte ihm einen anfänglichen Sympathievorschuss, vor allem, als er sich unter internationalem Druck auf Friedensverhandlungen und einen Prozess mit dem Ziel nationaler Wahlen einließ. Sein Vater hatte jegliche Opposition noch mit zunehmender Brutalität unterdrückt.
Mit finanzieller, administrativer, polizeilicher und militärischer Hilfe der internationalen Gemeinschaft fanden 2006 in dem total zerrütteten Staat mit einem ungeheuren Kraftakt einigermaßen freie Wahlen statt, die angesichts der Aufsplitterung der Opposition den „kleinen“ Kabila – wie ihn das Volk schelmisch nannte – an der Macht bestätigte. Kabila und seine Familie richteten sich mehr und mehr bei den Fleischtöpfen des Staates ein, besonders nach den massiv gefälschten zweiten nationalen Wahlen von 2011, mit denen sich Kabila seine Macht bestätigen ließ. Viele aus dem engeren Kreis bekamen etwas vom Kuchen ab, insbesondere seine Zwillingsschwester Jaynet, die heute als eine der zehn reichsten Frauen in Afrika gilt. Die „Panama Papers“ haben vor einigen Monaten einiges über die Techniken der Privatisierung staatlicher Mittel durch die Familie Kabila aufgedeckt. Das Parlament, in dem anfangs noch lebhaft diskutiert wurde und das etwa eine wichtige Untersuchung über die Besitzverhältnisse im Bergbau auf den Weg gebracht hatte, wandelte sich zunehmend in einen Debattierclub.
Die Vorbereitungen für die eigentlich 2016 fälligen nationalen Wahlen stagnieren. Im Juli 2017 gestand die nationale Wahlkommission endlich öffentlich ein, was allen Beteiligten schon längst klar war – die Wahlen werden erst einmal weiter verschoben. Im Augenblick deutet nichts darauf hin, dass es vielleicht Ende 2018 soweit sein könnte. Der ganze Wahlprozess, von der komplizierten Wählerregistrierung bis zur Auszählung der Stimmen, ist eine logistische Mammutaufgabe, die ohne sorgfältige Planung, ohne ein ordentliches Budget und massive internationale Hilfestellung nicht zu machen ist. Die Opposition sucht händeringend nach verantwortlichen Führungspersönlichkeiten. Mit anderen Worten: Joseph Kabila ist dabei, sich in seinem verfassungsmäßig dubiosen Zustand als Noch-Staatspräsident einzurichten.
Vielleicht hofft er darauf, mit Hilfe des Parlaments die Verfassung doch noch ändern zu können, wie das in Ruanda gelungen ist: Dort darf Paul Kagame sich nun so oft wählen lassen, wie er will. Und Wahlen kann man schließlich manipulieren, wenn es nicht reicht, wie das 2011 und wahrscheinlich auch schon 2006 im Kongo gelungen ist. Währenddessen gehen die Sicherheitskräfte brutaler denn je gegen Demonstrationen und jegliche Form von Opposition vor. Mehr als 400 Menschen sind dem UN-Menschenrechtsbüro gemäß seit 2016 in Kinshasa illegal festgenommen worden, darunter zahlreiche Aktivisten oppositioneller Bewegungen. Der Regierungssprecher Lambert Mende diffamierte sie sogar schamlos als „terroristisch“.
Konfliktökonomie
Sarkasmus ist zur Grundstimmung des Volkes geworden. Die Korruption blüht: Wie eh und je werden Schürfrechte auf undurchsichtige Weise verscherbelt, chinesische Konzerne bauen Straßen und breiten sich in immer mehr Marktsegmenten aus, der israelische Diamantenhändler Dan Gertler, ein persönlicher Freund der Familie Kabila, dominiert den Diamantenhandel, betreibt aber auch Kupferminen und gemeinnützige Stiftungen im Kongo. Die Konfliktherde im Osten, im Süden und im Kasai bestehen weiter. Die Zahl der intern Vertriebenen steigt wieder an. Im Kasai wurden seit 2016 über 80 Massengräber entdeckt, bei deren Dokumentation zwei UN-Experten und deren kongolesische Begleiter ermordet wurden. Die Regierung verweigert eine internationale Untersuchung.
Im Interesse der Menschen, sollte man denken, darf es so auf keinen Fall weitergehen. Ist Robert Mugabes Sturz in Zimbabwe ein Hoffnungszeichen auch für den Kongo? Kabila und die anderen skrupellosen Autokraten in der Region verfolgen diese Entwicklung sicherlich mit Sorge. Hintergründig ist es immer noch die Gier nach Rohstoffen, die die verzweifelte Lage im Kongo herbeiführt und aufrechterhält. Die Zertifizierung von Minen, deren Profit nicht in die Hände der warlords gelangt, ist angesichts des zerfallenen Staates immer noch die überzeugendste Maßnahme gegen gewaltsame Rohstoffkonflikte. Die internationalen Rohwarenbörsen dürfen Rohstoffe aus Konfliktregionen nicht mehr ohne Zertifizierung aufnehmen. Das deutsche Bundesinstitut für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) führt seit 2009 ein Zertifizierungsprogramm durch. Derzeit sind weniger als ein Dutzend Minen zertifiziert. Es gibt ungefähr 2700 Minen, davon gelten rund 500 als „Konfliktminen“.
Mit dem vom amerikanischen Präsidenten Donald Trump bekämpften Dodd-Frank-Act und der EU-Rohstoffrichtlinie sind wichtige und wegweisende Rechtsinstrumente für die Kontrolle von Handelsketten eingesetzt worden, die es weiter zu entwickeln gilt. Darüber hinaus gilt es weiterhin, die bestehenden Codes of Conduct internationaler Firmen, die OECD-Leitlinien für multinationale Unternehmen und die Richtlinien der Internationalen Arbeitsorganisation ILO zu nutzen, um an den Verantwortungssinn der bilateralen und multilateralen Akteure zu appellieren. Wichtig ist aber auch, dass China und Indien mehr und mehr zur Bekämpfung von Konfliktökonomien eingebunden werden.
Problematisch sind die zunehmenden Konflikte zwischen großen Minenfirmen und Kleinschürfern und der Zugang zu den Abbaugebieten. Hinzu kommt die ohnehin prekäre Situation der Kleinschürfer durch die gefährlichen Arbeitsbedingungen in ungesicherten Minen sowie das Arbeiten im informellen Sektor. Das heißt: kein Zugang zu sozialen, wirtschaftlichen, juristischen und ökologischen Sicherheiten. Dennoch ist der Kleinbergbau für viele Kongolesen die einzige Hoffnung auf bescheidenen Wohlstand.
Viele Menschen sehen für sich keine Alternative und setzen Leben und Gesundheit aufs Spiel, zahlen Schutzgelder an Aufständische oder Armeesoldaten, werden von den Zwischenhändlern betrogen und in die zunehmenden Konflikte zwischen internationalen Bergbauunternehmen und Kleinschürfern hineingezogen. Etwa eine halbe Million Kleinschürfer stehen im Kivu sechs großen internationalen Minengesellschaften gegenüber.
Nach dem Scheitern des „Sylvesterabkommens“, angesichts des Vertrauensverlustes in die nationale Wahlkommission und angesichts der zunehmenden Unterdrückung der Opposition geht es im Kongo derzeit weder vor noch zurück. Leider ist weder die wichtigste Partei in der Opposition, die UDPS, noch das Bündnis der großen Oppositionsparteien derzeit stark genug, um eine Wende herbeizuführen. Hinzu kommt, dass mehrere der führenden Oppositionspolitiker sich gezwungen sahen, ins Ausland zu flüchten, von wo aus sie sich keine Hausmacht im eigenen Land aufbauen können. Klar ist aber, dass die Zukunft düster bleibt, solange Kabila an der Macht ist. Doch von wo soll der Neuaufbruch kommen, den das Land im Interesse der Menschen so dringend braucht? Mehr denn je sind die katholischen Bischöfe einig in ihrem vermittelnden und zurückhaltend Kabila-kritischen Mandat, wie die Erklärungen der letzten Zeit zeigen.
Die Repression trifft mehr und mehr auch die mächtige katholische Kirche. Die brutale Niederschlagung von friedlichen Demonstrationen im Anschluss an die Sonntagsgottesdienste am 21. Januar mit offiziell sechs Toten und zahlreichen Verletzten in Kinshasa und anderen Städten sollte die Kirche wohl in ihre Schranken weisen. Die Nerven liegen blank. Derzeit nimmt der ökumenische Kirchenrat im Kongo an Bedeutung zu, nachdem die Vereinigung der protestantischen Kirchen 2017 ihre internen Konflikte etwas glätten konnten. Die Kirchen und vor allem die katholische Bischofskonferenz halten sich für eine Vermittlerrolle bereit, doch sie können eine verantwortungsvolle Regierung nicht ersetzen.