Am Anfang war ein nackter Mann und eine nackte Frau und eine Schlange: Die Geschichte von Adam und Eva kennen die meisten Menschen, auch wenn sie mit Religion nichts zu tun haben. Sie ist die Grundlage der westlichen Kultur, aus ihr leitet sich unser Verständnis von Schuld und Sühne ab, das Rollenverständnis von Mann und Frau und viele Ressentiments gegenüber Frauen, die bis heute im Alltag spürbar sind. Revolutionäre begründeten mit diesem Mythos ihre Forderungen nach Gleichbehandlung und Würde aller Menschen. Ebenso beriefen sich Reaktionäre aller Zeiten auf diese Ursprungslegende, um Unterdrückung und Ungleichbehandlung zu rechtfertigen.
Der Shakespeare-Forscher und Pulitzer-Preisträger Stephen Greenblatt führt in seiner „Geschichte von Adam und Eva“ federleicht durch die vielen, sich oftmals fundamental widersprechenden Interpretationen, die es durch die Jahrhunderte von diesem wahrhaft „mächtigsten Mythos der Menschheit“ gegeben hat. Er zeigt, von welchen Quellen sich die Hebräer inspirieren ließen, als sie sich 500 v. Chr. daran machten, ihre eigene Version von der Entstehung der Welt zu verfassen. Dabei deuteten sie die Vorlagen um in moralisierende Antworten, so dass Unfruchtbarkeit, Dürren oder Fluten nicht mehr wie etwa im Gilgamesch-Epos gottgebotene Mittel waren, um die Zahl der Menschen klein zu halten, sondern zu Strafen für moralische Verfehlungen erklärt wurden. Sehr interessant ist auch zu lesen, wie die Christen Jesus als Antwort auf Adams Verfehlungen deuteten und aus „Eva Ave wurde“.
Stephen Greenblatt ist ein wunderbares Buch gelungen, das wissenschaftlich Zeitläufte und unterschiedliche Kulturen erklärt und mitreißend zu erzählen weiß. Augustinus oder John Milton, die Adam und Eva auf entscheidende Art und Weise ins kulturelle Gedächtnis eingeschrieben haben, bleiben nicht abstrakt, sondern werden mit ihren Beziehungen und Erfahrungen geschildert, soweit sie bekannt sind, sodass ihre Lesarten einen „Sitz im Leben bekommen“. Das Buch macht Lust, selbst wieder einmal zur Bibel zu greifen und zu lesen.