GastkommentarWarum es den Reformationstag auch in Zukunft als Feiertag braucht.

Luther-Statue in Dresden
© Hansjörg Keller/ pixelio.de

Die Einführung des Tags der Reformation als neuem gesetzlichen Feiertag in einigen norddeutschen Ländern war eine politische Initiative, die Widerspruch hervorrief. Auch wenn das Reformationsjubiläum von den evangelischen Kirchen in Deutschland 2017 in großer Gemeinschaft gefeiert wurde, auch wenn ein breites Interesse am religiösen und gesellschaftlichen Aufbruch des 16. Jahrhunderts geweckt wurde, blieb diese Initiative der norddeutschen Bundesländer, den 31. Oktober als Tag der Reformation gesetzlich zum neuen Feiertag zu verankern, nicht ohne Irritationen.

Die übervollen Gottesdienste in allen Landeskirchen am bundesweit gesetzlichen Feiertag 2017 zeigten, dass der Reformationstag als kirchlicher Feiertag – evangelisch geprägt und zugleich im ökumenischen und interreligiösen Dialog – Resonanz fand. Man kann darin auch eine Anerkennung der ökumenischen und gesamtgesellschaftlichen Ausrichtung sehen, in der die Reformationstage 2016 und 2017 gefeiert wurden. Gewiss gehört dazu auch die kritische Auseinandersetzung mit theologischen Irrtümern der Reformatoren. Sie werden auch künftig einen wesentlichen Beitrag für den Umgang mit dem historischen Erbe bilden müssen. Dieser Auftrag bildet für mich, auch in Gesprächen mit Vertretern der jüdischen Gemeinden, die sich in Niedersachsen mit Hinweis auf den Antisemitismus Martin Luthers gegen den Reformationstag als Feiertag aussprachen, eine zentrale Grundlegung für die künftige Gestaltung des Tags der Reformation.

Wer den Reformationstag als Martin-Luther-Verehrungstag versteht, ignoriert die Reformationsdekade und die kritische Aufarbeitung durch die evangelische Kirche in den vergangenen Jahrzehnten. Wer nach 2017 und dem „Healing of memories“-Gottesdienst in Hildesheim den Reformationstag vorrangig als Erinnerung an die Kirchenspaltung versteht, muss erklären, wie das Wort von Kardinal Walter Kasper zu verstehen sei, der von einem „Kairos der Ökumene“ 2017 sprach. An vielen Orten wurde das auch so erlebt. Selten zuvor hat ein evangelischer Festtag religionsübergreifend, ökumenisch und weltoffen so viele Menschen mit in das Nachdenken über Herkunft und Zukunft unserer Gesellschaft gezogen.

Das konfessionelle Zeitalter insgesamt, das konnte man während der Reformationsdekade erkennen, hat nicht nur eine innerkirchliche oder religiöse Bedeutung, sondern auch eine gesamtgesellschaftliche. Die Behauptung, die Reformation sei der entscheidende Ursprungsort der Moderne, ist genauso falsch wie die Behauptung, die Reformation habe den Aufbruch der Moderne verhindert.

Doch es gibt Entwicklungen, die aus der Kirchengeschichte des 16. Jahrhunderts heraus initialisiert oder befördert wurden. Einen großen Einfluss hatte die Reformation auf das Verhältnis von Staat und Kirche. Beiden weist sie gemeinsam – und getrennt in ihren Zuständigkeiten – die Aufgabe für ein gelingendes Zusammenleben in Frieden und Freiheit, auch Religionsfreiheit, die Schaffung von Recht und Gerechtigkeit und eine staatlich legitimierte Gewaltausübung zu. Alle Bürgerinnen und Bürger haben die Aufgabe, sich im Gemeinwesen zu engagieren. Dass es zur Durchsetzung dieser Ideen Jahrhunderte brauchte und oftmals der Widerstand der Kirchen überwunden werden musste, gehört zur Lerngeschichte der religiösen Institutionen. Wenn es gelingt, wie in Hamburg den Tag der Reformation mit dem freien Eintritt in Museen zu kombinieren, könnte sich ein solcher Feiertag als Kulturinitiative präsentieren, die von Staat und Kirche gemeinsam getragen wird.

Ein gesellschaftlich zentraler Wirkungsbereich der Reformation war der Aufbau eines öffentlichen Bildungswesens im schulischen Bereich und die Weiterentwicklung der Universitäten. Die Hochschätzung der Vernunft, die Betonung des Gewissens und die Bejahung eigenverantwortlichen Denkens und Handelns bilden eine historische Voraussetzung der Aufklärung.

Der Reformationstag als gesetzlicher Feiertag kann die Gelegenheit bieten, das historische Erbe zu pflegen und die Erinnerung an theologische Verfehlungen warnend wachzuhalten. Dieser Tag kann den kritischen Diskurs mit nicht-religiösen Gesellschaftsgruppen fördern und reformatorische Impulse in die Gegenwart übersetzen, sodass sie für die Zukunft fruchtbar gemacht werden können.

In einer modernen Gesellschaft besteht der Sinn von Feiertagen darin, generationen- und religionsübergreifend Werte und Haltungen bewusst zu machen und Motivation für ein zivilgesellschaftliches Handeln zu fördern. Es geht um die Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts in einer vielfältigen Kultur. Der Tag der Reformation wird zeigen, ob die evangelischen Kirchen in der Lage sein werden, einen gesetzlichen Feiertag kooperativ so zu füllen, dass lebendige Impulse für das Miteinander-in-Verschiedenheit entstehen können.

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