Sie sind der Begründer einer postmodernen Strömung in der Philosophie, die Sie als „schwaches Denken“ bezeichnet haben. Was verstehen Sie darunter?
Gianni Vattimo: „Schwaches Denken“ gründet in der Einsicht, dass ich die Welt nie umfassend wahrnehmen kann. Es gibt keine objektiven, zeitlosen Strukturen. Martin Heidegger hatte recht, als er sagte, dass das Sein nicht als Gegenstand gedacht werden kann. Dasselbe meint auch Dietrich Bonhoeffer, wenn er sagt: „Einen Gott, den es gibt, gibt es nicht“. Wenn es nun aber diese als höchste Objektivität gedachte Seinsstruktur nicht gibt, an die wir uns halten können, schließe ich daraus, dass auch Friedrich Nietzsche recht hat, wenn er sagt, dass sich die höchsten Werte aufgelöst haben.
Was bleibt?
Vattimo: Was bleibt sind Botschaften, die natürlich „schwächer“ sind als das absolute Sein. Aber dafür sind sie unserer tatsächlichen Erfahrung näher. Dieser Gedanke ist ja gar nicht so neu. Denn auch all das, was sich als das endgültige absolute Sein ausgab, war Gegenstand von Überlieferung, es gab schon immer auctoritates. Selbst die katholische Kirche geht davon aus, dass die natürliche Wahrheit in einem Sinne offenbart ist, dass die Vernunft allein, die Philosophie allein, sie nicht erreichen kann. Es gab also immer nur überlieferte Werte, die manchmal mit dem Anspruch auf Absolutheit auftraten. Die Wahrheit ist uns schon immer in Interpretationen begegnet. Aus dem „schwachen Denken“ ergibt sich auch eine bestimmte Haltung anderen gegenüber: Weil ich mir meines Seins und der Welt nicht sicher bin, höre ich zu und komme ins Gespräch, statt Letztbegründungen und Wahrheiten zu verkünden. Mit dieser Haltung kann ich in einer pluralistischen Gesellschaft leben.
Gibt es einen starken Kern in diesem „schwachen Denken”, in diesem „schwachen“ Subjekt?
Vattimo: Meine Schwäche ist der Kern. Oder anders ausgedrückt: Meine Schwäche ist meine Stärke.
Das erinnert nicht umsonst an das Christentum, das aus der Schwäche, aus dem Tod am Kreuz, eine große Stärke abgeleitet hat. In Ihrem Buch „Credere di credere“ schreiben Sie, dass Sie sich womöglich auch deshalb diese von Nietzsche und Heidegger inspirierte Philosophie aufgebaut und diesen Autoren den Vorzug gegeben haben, weil Sie persönlich stark von den Traditionen des Christentums geprägt sind. Wie hängt das „schwache Denken“ mit dem Christentum zusammen?
Vattimo: Bei der Lektüre des Buches „Das Ende der Gewalt“ von René Girard kam mir der Gedanke, dass sich die Schwächung der starken Strukturen wie ein roter Faden durch die Seinsgeschichte zieht und dass das nichts anderes ist als die Transkription der christlichen Lehre von der Menschwerdung des Gottessohns. Denn in der Kenosis, in der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus, säkularisiert sich Gott ja selbst. Gott straft die metaphysischen Träume der natürlichen Religionen Lügen, die ihn als absolut, allmächtig, als das ipsum esse metaphysicum subsistens denken. Das heißt, die Säkularisierung, die progressive Auflösung aller naturalistischen Heiligkeit, ist die eigentliche Essenz des Christentums.
Was bleibt vom Christentum, wenn sich Gott verflüchtigt und die Säkularisierung seine eigentliche Essenz ist?
Vattimo: Heilsgeschichte war ja immer schon Interpretationsgeschichte. Um erlöst zu werden, muss man die Lehre des Evangeliums anhören, verstehen und im eigenen Leben richtig anwenden. Doch die Erlösung selbst macht in der Geschichte eine Entwicklung durch – hin zu einer immer „wahreren“ Interpretation der Schriften, in Fortsetzung dessen, was in der Beziehung zwischen Jesus und dem Alten Testament geschieht: Der Leitfaden der Interpretation, die Jesus vom Alten Testament gibt, ist der neue und intensivere Bezug der Liebe zwischen Gott und der Menschheit und dementsprechend auch unter den Menschen. „Ich nenne euch nicht mehr Knechte, denn der Knecht weiß nicht, was sein Herr tut. Vielmehr habe ich euch Freunde genannt; denn ich habe euch alles mitgeteilt, was ich von meinem Vater gehört habe“, sagt Jesus im Johannesevangelium. Er trägt uns auf, einander zu lieben. Diese Botschaft der Pietas, der Caritas, der Liebe, ist das, was das Christentum heute ausmacht. Dem „schwachen“ Denken wurde immer vorgeworfen, es rede einer Beliebigkeit das Wort und habe keine Kriterien, um zwischen Gut und Böse zu unterscheiden. Doch das stimmt nicht: Die Caritas ist das Kriterium.
Sie haben den evangelischen Theologen Dietrich Bonhoeffer erwähnt mit seiner Aussage „Einen Gott, den es gibt, gibt es nicht“. Doch den Gott, den es nicht gibt, kann ich auch nicht erfahren, oder?
Vattimo: Natürlich kann ich Gott erfahren. Ich kann zwar nicht auf ihn zeigen, und er ist sicher keine Person. Ich erfahre Gott als eine Präsenz in mir und in meinem Leben, als ein Gefühl der Abhängigkeit von etwas, als ein Bewusstsein davon, dass meine Freiheit immer schon initiiert ist. Diese Wahrnehmung einer Präsenz kann ich aber nicht näher definieren, ich kann nur sagen: Gott ist mehr eine Sache des Gefühls als des Sehens oder Berührens. Auch wenn sich das alles sehr vage anhört, heißt das nicht, dass ich ihn nicht erkenne. Ich fühle diese Präsenz sehr stark in mir, aber nicht nur in mir, sondern auch außerhalb von mir, um mich herum. Luigi Pareyson, mein philosophischer Lehrer, der im Februar diesen Jahres hundert Jahre alt geworden wäre, hat dies für das Ineinander von Offenbarung und Interpretation so formuliert: „Die Sache offenbart sich in dem Maß, in der die Person sich ausdrückt“. Interpretation ist immer Ausdruck des Menschen, in der die Offenbarung zur Welt kommt.
Luigi Pareyson ist in Deutschland ein weithin unbekannter Philosoph. Bekannt sind seine Schüler Umberto Eco, Massimo Cacciari und Sie. Was haben Sie von Pareyson gelernt?
Vattimo: Von Pareyson haben wir gelernt, sowohl die Kontinuität als auch die Konflikte zwischen Philosophie und religiöser Überlieferung anzuerkennen. Beide nehmen sich derselben Sache an, und beide leben sie von „Offenbarung“, innerhalb derer unendliche Interpretationsmöglichkeiten verborgen sind. In der Tradition von Schelling, von Kierkegaard und anderen christlichen Existenzialisten ist Gott für Pareyson der Ursprung und die Quelle aller Interpretationen und Ursprung der Freiheit. Ein Gott, der auch das Böse in sich birgt. Angesichts der Pluralität der Kulturen und Religionen und der Notwendigkeit eines Gesprächs zwischen ihnen ist Luigi Pareysons Denken alles andere als überholt.
Können Menschen die Präsenz Gottes wahrnehmen, wenn sie nicht in der christlichen Tradition aufgewachsen sind oder noch nie von Gott gehört haben?
Vattimo: Das ist sicherlich schwieriger. Aber Gott ist immer schon da. Diese Präsenz, die größer ist als ich und von der ich irgendwie abhängig bin, kann ich wahrnehmen, ohne etwas über Jesus Christus oder das Christentum zu wissen. Man muss unterscheiden zwischen Christentum und Religion. Religion ist der Fakt, dass ich diese Präsenz wahrnehme. Das hat schon Friedrich Schleiermacher gedacht. Aber ist es möglich, auf die Welt zu kommen, ohne irgendwelche Antennen für die göttliche Präsenz zu haben? Ich würde das nicht ausschließen. Aber es ist schwer vorstellbar, es sei denn, es wurde im späteren Leben alles getan, um diese originäre Verbindung zu kappen. Aber diese Situation ist sehr weltfremd.
In Ostdeutschland und in anderen Regionen Osteuropas ist das die Regel. Da kommen Menschen in die Kirchen und wissen nichts über das Christentum und Gott. Sie fragen, wer die Frau mit dem Kind ist, die da abgebildet ist.
Vattimo: Echt? Sie haben nie von Gott gehört? Wie ist das in den Familien? Das kann ich mir schwer vorstellen. Die Bindung zwischen Gott und den Menschen ist doch ähnlich wie die zwischen einer Mutter und ihrem neugeborenen Kind. Die Bindung ist da, ohne dass sie darüber nachdenken müsste.
Wenn ich Gott als Präsenz in mir wahrnehme, heißt das, dass ich Gott immer nur subjektiv wahrnehmen kann? Immer nur als subjektive Interpretation?
Vattimo: Ja. Meine Wahrnehmung ist eine andere als Ihre. Aber wir können darüber ins Gespräch kommen, indem wir unsere Wahrnehmungen vergleichen. Die Wahrheit kann sich nur ereignen, wenn und so lange „ein Gespräch wir sind und hören können voneinander“, wie Friedrich Hölderlin geschrieben hat.
Sie sagen, Gott sei immer schon da. Was macht Sie da so sicher?
Vattimo: Sicher? Man kann nie sicher sein, wenn man von Gott spricht. Wollen Sie sicher sein?
Es ist schwer, ohne Sicherheit und ohne Versicherung zu leben.
Vattimo: Das stimmt. Aber eine Grundvoraussetzung, um religiöse Erfahrungen zu machen, ist ja gerade, keine Sicherheit zu erwarten und sich auf ungesichertes Terrain zu begeben. Der Philosoph Blaise Pascal hat auf Gott gewettet. Wir sind also unfähig zu erkennen, was Gott ist und ob er ist, hat er in den „Pensées“ – „Gedanken“ – geschrieben. „Indessen es ist gewiss, dass Gott ist oder dass er nicht ist. Aber nach welcher Seite werden wir uns neigen? ... Nach der Vernunft könnt ihr weder das eine noch das andere behaupten; nach der Vernunft könnt ihr keins von beiden leugnen … Es muss gewettet werden, das ist nicht freiwillig, ihr seid einmal im Spiel, und nicht wetten, dass Gott ist, heißt wetten, dass er nicht ist … Wette denn, dass er ist, ohne dich lange zu besinnen … Aber eure Seligkeit? Wir wollen Gewinn und Verlust abwägen, wenn wir uns entscheiden, dass Gott ist. Wenn du gewinnst, gewinnst du alles, wenn du verlierst, verlierst du nichts … Es gibt ein ewiges glückliches Leben zu gewinnen.“ Aber während Pascal noch gewettet hat, war Gott als Präsenz schon in ihm anwesend.
Hat diese göttliche „Präsenz“, die Sie beschreiben, nicht auch irgendwo einen Ursprung?
Vattimo: Es stimmt, ich brauche einen Ursprung, wenn ich die Erfahrung Gottes nicht nur von Gefühlen abhängig machen will, davon, dass der eine etwas fühlt und der andere nicht. Doch zugleich kann es niemals einen klar fixierbaren Anfang geben, mit dem die Gotteserfahrung beginnt. Das ist nicht einfach. Auch in der Philosophie war Gott schon immer inhärent. Da kam nicht auf einmal jemand auf die Idee zu sagen: Jetzt ist Gott da. Gottes Präsenz zu erfahren, scheint eine urmenschliche Erfahrung zu sein.
In Ihrer Autobiografie haben Sie beschrieben, wie Sie als Kind und als junger Mann jeden Morgen in die heilige Messe gegangen sind. Sie bezeichneten sich im Rückblick als „militanter Katholik“. Später sagten Sie von sich, Sie seien Atheist. Und heute?
Vattimo: Ich praktiziere eine „schwaches” Christentum – wie die meisten Italiener. Sie glauben nicht an den metaphysischen Gott, auch nicht an die Mystik und nicht an die Dogmen der Kirche und gehen trotzdem sonntags in die Messe. Das ist für mich kein Abbruch oder Mangel, sondern eine sehr gute Art, Christ zu sein. Ich stehe nicht komplett außerhalb der Kirche, aber auch nicht komplett innerhalb. Das ist der ideale Ort, um halbe, „schwache“ Wahrheiten zu bezeugen. Anders können wir als Christen in der säkularen Gesellschaft doch gar nicht leben. Außerdem lese ich jeden Abend im römischen Brevier. Das ist meine persönliche Art, ein christliches Leben zu führen. Für andere gibt es andere Arten. Es gibt keine überzeitliche Idee davon, was das christliche Leben ist. Christliches Leben nimmt unterschiedliche Formen an in unterschiedlichen Epochen.
Papst Franziskus fordert die Christen von heute auf, an die Ränder zu gehen, zu den Armen. Wie kann man Caritas leben? Was bedeutet es, in Armut zu leben?
Vattimo: In unserer Epoche, in der sich alles um Wachstum, Reichtum und Stärke dreht, sollte das christliche Leben mit Schwachheit und Armut zu tun haben. Das heißt aber nicht, dass Christentum immer etwas mit Armut zu tun hat. In historischen Epochen der materiellen Armut haben Christen zurecht versucht, reicher zu werden. In meiner Kindheit ging es viel um die Idee der Evangelischen Räte. Danach muss ich nicht selbst in materieller Armut leben, um ein guter Christ zu sein. „Fare la carità” meint im Italienischen zunächst einmal, einem Bettler Almosen zu geben. Aber Caritas bedeutet viel mehr. Es bedeutet zu akzeptieren, dass auch das Negative zum Leben dazugehört. Darauf zielt auch das „schwache“ Denken ab: zu akzeptieren, dass das Leben Armut mit sich bringt, Trauer, Verlust und Tod.
Wenn Sie beten, zu welchem Gott beten Sie? An was denken Sie dann?
Vattimo: Meine Art zu beten hat sich grundsätzlich verändert in meinem Leben. Ich bin damit aufgewachsen, dass Jesus Christus mein Freund war. Das ist nicht mehr der Fall. Heute bete ich in der Regel, indem ich Formeln rezitiere, Psalmen zum Beispiel. Da muss ich mir nichts vorstellen und auch nicht allzu viel denken. Es geht um die Form. Sie muss gewahrt bleiben.
Ich habe gelesen, dass Sie die lateinische Messe bevorzugen?
Vattimo: Ja, das stimmt. Denn die italienische Messe ist mir oft zu sentimental. Da ist zu viel von Gott als „meinem Hirten“ die Rede, und Gott wird mir zu viel geduzt. Ich kann nicht länger „Du“ zu Gott sagen, es ist für mich respektvoller und einer geheimnisvollen Präsenz angemessener, „Sie“ zu sagen. Auch die italienischen Lieder in der Messe sind mir zu wenig respektvoll. Das Lateinische wahrt die Form, das Offizielle, das Ästhetische. Die Schönheit ist eine Frage der Form. Die Form ist wichtig, um Distanz zu halten und den offiziellen Diskurs zu wahren.
Was ist die Rolle der Kirche heute?
Vattimo: Die Kirche war immer zu autoritär, zu „stark“, was ich nicht mag. Auf der anderen Seite kann ich mir ein Christentum ohne Kirche nicht vorstellen. Die Institution ist wichtig, um die Traditionen weiterzugeben. Und sie ist wichtig, um Gemeinschaft zu organisieren. Teil dieser Gemeinschaft zu sein, ist wichtig und tröstlich. Mein soziales Leben ist leider sehr arm – aus vielen Gründen. Es fällt mir schwer, Anschluss an eine Gemeinschaft im Rahmen der Kirche zu finden, weil meine Art, das Christentum zu sehen und die Bibel zu interpretieren, so weit weg ist von dem Glauben der meisten anderen Christen, dass ich mich nicht wohlfühle in einer Gemeinschaft mit „normalen“ Christen.
Weil Sie von Trost sprachen, haben Sie Angst vor dem Tod?
Vattimo: Nein, habe ich nicht. Ich muss zugeben, dass ich sehr selten an das Jenseits denke und darüber, ob es weiß oder schwarz ist. Das Jenseits hat immer etwas mit mythischem Denken zu tun. Das Christentum gibt mir so viel Sinn in meinem Leben, dass ich schon jetzt und hier erlöst bin. Aber so etwas zu sagen, ist vermutlich auch schon wieder eine Häresie in den Augen der Kirche. Vielleicht erwarten auch viele Menschen zu viel von ihrem Leben hier. Aber nur wenige Christen heute glauben an ein Leben nach dem Tod. Nicht mal der Papst glaubt daran. Ich glaube auch nicht an die Auferstehung. Wenn Sie sterben, sterben Sie. Das ist alles. Ist das so skandalös?
Ist Papst Franziskus ein Freund des „schwachen“ Denkens?
Vattimo: Ich denke ja. Er hat zum Beispiel anerkannt, dass es eine Vielzahl von Madonnen gibt, viele Formen des Göttlichen. Ein „starker“ Denker hätte die Vielfalt der Madonnenverehrung längst einzudämmen versucht.
Außerdem ziehen sich die Barmherzigkeit und die Caritas wie ein roter Faden durch sein Pontifikat.
Vattimo: Das dachte ich am Anfang auch. Aber in jüngerer Zeit sind mir Zweifel gekommen. Ich glaube, ich mag ihn vor allem, weil er anders ist als seine Vorgänger Johannes Paul II. und Benedikt XVI. Am Anfang hat er sich klar gegen sie abgesetzt. Es war klar, dass er Franz von Assisi und den Gedanken der Barmherzigkeit und Armut in die Kirche einführen wollte. Aber was macht er jetzt? Nimmt er sich wieder zurück? Warum hat er nicht längst mehr für die Frauen getan? Er könnte eine Frau zur Kardinälin erheben. Das wäre ein großes Zeichen, dass er die Kirche wirklich verändern will.
Lesen Sie viel in der Bibel?
Vattimo: Ja, in den Evangelien und in den Briefen.
Was ist Ihr Lieblingsevangelium?
Vattimo: Ich habe kein Lieblingsevangelium, weil ich die Texte nie als Ganze lese. Wir Katholiken sind ja daran gewöhnt, die Evangelien Abschnitt für Abschnitt in der Messe zu hören. Aber ich komme immer wieder auf den Hebräerbrief zurück. Der Anfang des Briefes ist sehr wichtig für mich: „Vielfältig und auf vielerlei Weise hat Gott einst zu den Vätern gesprochen durch die Propheten; am Ende dieser Tage hat er zu uns gesprochen durch den Sohn.“ Diese Idee von den „vielerlei Weisen“, in denen das Sein wahrgenommen wird, stammt aus der „Metaphysik“ von Aristoteles. Dort heißt es, dass sich das Sein auf vielerlei Weise zeigt. Diese Vielfalt des Seins ist die Art und Weise, wie Gott zur Menschheit gesprochen hat. Die jüngste Art und Weise ist durch das Kind. Das ist die Geschichte des Seins. Das war der Ausgangspunkt meiner Philosophie. Dass es möglich ist, Gott nahe zu kommen, hat mich sehr beeindruckt, als ich das zum ersten Mal gelesen habe. Es beeindruckt mich immer noch. Doch „nur zu Zeiten erträgt göttliche Fülle der Mensch, Traum von ihnen ist darauf das Leben.“ Das schreibt Friedrich Hölderlin in der Elegie „Brod und Wein“. Auch diese zwei Verse begleiten mich nun seit über 50 Jahren. Seitdem ich mein erstes Buch über Heidegger geschrieben habe. Je älter ich werde, umso mehr denke ich, dass der zweite Vers der wichtigere ist.