„Die christliche Kirche gibt es nicht ohne die Schrift, aber der christliche Glaube ist keine Buchreligion“ (247). Um diesen prägnanten Satz kreist das Buch des protestantischen Systematikers Ingolf U. Dalferth, der vor allem in Zürich gelehrt hat. Ihm ist es dabei hauptsächlich darum zu tun, in kritischer Auseinandersetzung mit dem Verständnis von Bibel und Bibelauslegung die Bedeutung der Schrift als Kommunikation des Evangeliums herauszuarbeiten und sie damit neu lebendig werden zu lassen. Das Buch schlägt einen Bogen von dem, was Dalferth als Krise des Schriftprinzips in den reformatorischen Kirchen (er spricht von der „unklaren Selbstverständlichkeit kirchlicher Rede von der Schrift“) namhaft macht, über Klärungen zu Grundbegriffen wie „Wort Gottes“, „Mitte der Schrift“, „Selbstauslegungskraft der Schrift“ und „Schrifttext und Schriftgebrauch“ bis zu den aktuellen Veränderungen der Buchkultur und deren Auswirkungen auf den Umgang mit der Bibel und ihren Stellenwert.
Spezifische Akzente und Probleme des katholischen Schriftverständnisses streift Dalferth nur am Rande – insofern handelt es sich um ein sehr „protestantisches“ Buch, das allerdings gleichzeitig den vorreformatorischen Umgang mit der Heiligen Schrift ein Stück weit rehabilitiert. Gegenwärtig sieht Dalferth die protestantische Hochschätzung der Schrift, enggeführt auf die Bibel, durch die wachsende Bedeutung pfingstkirchlicher Strömungen in der Christenheit herausgefordert: Sie setzten weitgehend unbelastet von überkommenen Denkmustern ganz auf die Gegenwart des Geistes in der Kommunikation des Evangeliums.
Dalferths nicht immer leicht zu lesendes Plädoyer für eine neue Wertschätzung der Schrift mündet in die Feststellung, wer dafür sorgen wolle, dass die Bibel eine Bedeutung behalte, solle ein Interesse daran haben, „dass sie als Schrift gebraucht wird und in der Formung und Deutung des Lebens von Menschen in der Gegenwart weiterhin eine Rolle spielt“ (447). Diese Mahnung richtet sich nicht nur an Protestanten, sondern auch an Katholiken, die sich nicht mit einem normativen „Schriftprinzip“ herumschlagen müssen, aber in Kirche, Theologie und gläubiger „Basis“ mit ähnlichen Problemen im Blick auf den Umgang mit der Heiligen Schrift konfrontiert sind.