ÖsterreichParadigmenwechsel

Ein halbes Jahr nach dem Regierungswechsel in Österreich wird die Lage von Flüchtlingen und Migranten im Land zunehmend prekär. Das Gleiche gilt für den öffentlichen Diskurs darüber.

Flüchtlinge hinter Zaun
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vor und nach dem letzten österreichischen Nationalratswahlkampf, der nicht zuletzt mit simplifizierten Feindbildern und Bedrohungsszenarien gewonnen wurde, gab es eine auffällige Zurückhaltung christlicher Stimmen (vgl. HK, Dezember 2017, 11–12). Ein halbes Jahr und eine Regierungsbildung später kann dementgegen festgestellt werden, dass das christliche Verstummen in der von der neuen Regierung mit beförderten Polarisierung im Land einer differenzierenderen Betrachtungsweise bedarf, zumal seither gerade aus den christlichen Milieus kritische Wortmeldungen zu den aktuellen Entwicklungen zunahmen.

Zumindest einige der seit Anfang 2018 in Gang befindlichen Szenarien fordern jedenfalls eine christlich grundierte Kritik heraus. Denn zweifelsohne markiert die Koalitionsregierung, die Wahlsieger Sebastian Kurz von der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) mit der knapp drittstärksten „Freiheitlichen Partei Österreichs“ (FPÖ) kurz vor Weihnachten 2017 bildete, eine Zeitenwende im Land.

Grenzüberschreitungen zum Rechtsextremismus

Die nunmehr dritte Regierungsbeteiligung der FPÖ begann insofern unter neuen Vorzeichen, weil sich die Partei heute eindeutig dem rechtspopulistischen Spektrum zuordnen lässt. Hohe Funktionäre der FPÖ – bis hinauf zu Parteichef Heinz Christian Strache, der nun Vizekanzler ist – traten seit Frauke Petrys Zeiten in Deutschland bei Veranstaltungen der AfD auf, im Europaparlament gehören die Freiheitlichen der von Marine Le Pen und ihrer Partei dominierten Rechtsaußen-Fraktion „Europa der Nationen und der Freiheit“ an. Seit Ende 2016 ist die FPÖ überdies mit Wladimir Putins Partei „Einiges Russland“ durch einen Kooperationsvertrag verbunden. Diese wenigen Beispiele mögen den Geist dieser politischen Bewegung andeuten.

Dazu kommen seit Jahren beständige Grenzüberschreitungen von Funktionären der FPÖ in Richtung Rechtsextremismus – das Mauthausenkomitee Österreich listete in einer Broschüre allein 60 „Einzelfälle“ zwischen 2013 und 2017 auf. Auch unmittelbar nach dem Regierungseintritt der FPÖ wurden weitere Vorfälle publik: So musste Anfang 2018 Udo Landbauer, der FPÖ-Spitzenkandidat für die niederösterreichischen Landtagswahlen, zurücktreten, weil in der Burschenhaft „Germania zu Wiener Neustadt“, der Landbauer angehörte, Liedtexte aufgetaucht waren, welche Juden und die Shoa verhöhnten. FPÖ-Chef Strache betont seither, die braunen Flecken in seiner Partei ausmerzen zu wollen.

In der neuen Bundesregierung werden sicherheitspolitische Schlüsselressorts von der FPÖ besetzt, das Innenministerium übernahm Herbert Kickl, der seit Jahren anti-islamische und fremdenfeindliche Wahlkämpfe der FPÖ organisiert hatte. Auch das Verteidigungsressort leitet ein FPÖ-Mann, Mario Kunasek, was auch deswegen Kritiker auf den Plan rief, weil nun alle drei nationalen Geheimdienste FPÖ-Ministern unterstehen. Rund um das beim Innenministerium angesiedelte Bundesamt für Verfassungsschutz gab es im Jänner 2018 von der neuen Ressortspitze angeordnete Hausdurchsuchungen und Suspendierungen von deren Leitung, die allerdings auf gerichtliche Anordnung wieder widerrufen werden mussten. Die parlamentarische Opposition – die sozialdemokratische SPÖ, die Grünen-Abspaltung „Liste Pilz“ sowie die liberale Liste „NEOS“ – argwöhnte, dass da insbesondere die verfassungsdienstliche Beobachtung rechtsextremer Aktivitäten behindert werden sollte; deswegen wurde mittlerweile ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss eingesetzt.

Der von den Grünen, die bei der Nationalratswahl aus dem Parlament geflogen waren, kommende Bundespräsident Alexander Van der Bellen suchte ihm besonders radikal erscheinende FPÖ-Minister zu verhindern und drang darauf, dass das Justizressort nicht von derselben Partei wie das Innenressort besetzt wurde. Mehr erreichte er bei der Regierungsbildung nicht. Auch das Außenministerium wurde von der FPÖ besetzt – mit der parteifreien Nahostexpertin und Islamkritikerin Karin Kneissl.

Bundeskanzler Sebastian Kurz suchte durch ein Bekenntnis der FPÖ zu Europa Befürchtungen in Brüssel oder Berlin zu zerstreuen. Bei den großen Linien im Regierungsprogramm aber waren sich ÖVP und FPÖ einig – und wissen sowohl die Mehrheit der Bevölkerung wie auch den medialen Boulevard hinter sich.

Auf eine kurze Formel gebracht geht es bei diesen Linien wieder und wieder ums Thema Migration und Asyl, das in einer bislang ungekannten Weise restriktiv gehandhabt wird, obwohl Österreich schon in den letzten Jahren viele Verschärfungen des Asyl- und Fremdenrechts auf den Weg gebracht hatte. Aber weder die stark sinkende Zahl von Asylanträgen noch die aktuelle Kriminalstatistik, die Österreich einmal mehr als eines der sichersten Länder der Welt ausweist, änderten die öffentliche Stimmung beziehungsweise Stimmungsmache.

Starke gegen Migranten gerichtete finanzielle Restriktionen wurden beschlossen – etwa die deutliche Beschränkung finanzieller Unterstützungen von Asylwerbern oder die Halbierung der Kinderbeihilfe für nicht in Österreich lebende Kinder von EU-Bürgern, die hier arbeiten und Steuern zahlen. Außerdem wurde und wird die Bewegungsfreiheit von Asylwerbern eingeschränkt. Dass Innenminister Kickl das einmal mit dem Ausdruck tat, man müsse diese in Lagern „konzentrieren“, ist nur ein Beispiel für die um sich greifende unappetitliche Wortwahl.

Einen besonderen Schwerpunkt bildet weiterhin die Kritik am Islam und an den Muslimen, wie sie schon den Wahlkampf dominiert hatte. Nachdem noch die Vorgängerregierung unter SPÖ-Bundeskanzler Christian Kern ein Gesetz gegen die Gesichtsverschleierung auf den Weg gebracht hatte, das – als Kollateralschaden – gleich jegliche Bedeckung des Mundes verbietet, kam nun ein Kopftuchverbot für Mädchen in Kindergärten und Pflichtschulen auf die Agenda.

Auch hier geht es vornehmlich um Symbolpolitik. Da ein derartiges Verbot offenbar legistisch schwierig zu fassen ist und die Kindergärten Landessache sind, ventilierte die Bundesregierung den Plan, den Bundesländern nur dann Fördermittel für Kinderbetreuung auszuzahlen, wenn sich diese verpflichteten, ein derartiges Kopftuchverbot in ihrem Bereich umzusetzen. Im Juni 2018 kam dann einmal mehr eine Debatte um ein Verbot des rituellen Schlachtens auf; der niederösterreichische Landesrat Gottfried Waldhäusl, ein FPÖ-Mann fürs Grobe, wollte sogar Listen mit Personen anlegen, die zum Bezug geschächteten Fleisches berechtigt seien. Nicht nur die Muslime waren ob derartigem Ansinnen empört: Auch die Israelitische Kultusgemeinde protestierte gegen diesen „negativen Arierparagrafen“, der Juden an den Pranger stelle. Bundeskanzler Kurz beeilte sich zu versichern, man denke nicht an derartige Listen, aber die Debatte reihte sich nahtlos in die nadelstichartig geführten Angriffe gegen Muslime im Land.

Inszenierung gegen Muslime

Knapp vor Ende des Ramadan Mitte Juni riefen gleich vier Minister – Bundes- und Vizekanzler, Innenminister und der für religiöse Angelegenheiten zuständige Kanzleramtsminister – eine Pressekonferenz ein, in der die Schließung mehrerer Moscheen, die Ausweisung einiger Imame sowie die Auflösung einer arabischen islamischen Kultusgemeinde verkündet wurden – mit der Begründung, dass es dabei um Maßnahmen gegen salafistische Hasspredigten und Praktiken gehe. Was anderswo durch eine Information durch die zuständige Kultusbehörde erfolgt wäre, geschieht im Österreich der neuen Koalition durch eine derartige „Überinszenierung“ (so die „Salzburger Nachrichten“).

Außerdem erwies sich die Aktion als Sturm im Wasserglas: Ein Gutteil der geschlossenen Moscheen ist längst wieder offen, die Auflösung der Arabischen Kultusgemeinde hatte rein formale Gründe und wurde mittlerweile gerichtlich wieder ausgesetzt. Aber einmal mehr sollte hier Handlungsfähigkeit durch vier Regierungsmitglieder demonstriert werden. Dass schon der Zeitpunkt der Maßnahme im Ramadan einen Affront gegen die Muslime im Land darstellte, wurde ebenso in Kauf genommen wie die weitere Verstörung des Klimas gegenüber den Muslimen.

Dabei gäbe es durchaus Kritisches zu den muslimischen Institutionen im Lande anzumerken. Auch christliche Stimmen wie die Wiener katholische Pastoraltheologin Regina Polak ließen an der Aktion der vier Minister kein gutes Haar. In der Zeitung „Die Furche“ meinte Polak: „Bei aller Notwendigkeit, den politischen Islamismus zu bekämpfen, sind Vorgangsweise und Zeitpunkt provokant und mit Blick auf die Folgen für soziale Kohäsion vertrauenszerstörend“.

Man kann die Polit-Inszenierung als prototypisch für die bisherige Performance der nunmehr ein halbes Jahr amtierenden Bundesregierung begreifen. Ebenso prototypisch ist die kritische Reaktion aus den kirchlichen Milieus, die zwar nach wie vor nicht laut ausfällt, aber beständig und nachhaltig vernehmbar ist. Caritas und die evangelische Diakonie mahnen beharrlich die Einhaltung ethischer Mindeststandards gegenüber den Flüchtlingen ein – und müssen dafür einiges einstecken: Der bereits zitierte FPÖ-Landesrat Waldhäusl meinte beispielsweise in einem Interview mit der Tageszeitung „Der Standard“, Diakonie und Caritas mit Aufgaben wie Rückkehrberatung für Asylwerber zu betrauen sei, „wie kleine Kinder mit Feuer spielen zu lassen“, denn die beide NGOs würden sich „aktiv für Asylwerber einsetzen“.

Mittlerweile verweigern sich auch die Bischöfe nicht mehr der Kritik an der gesellschaftlichen Polarisierung und deren Beförderung durch die aktuelle Politik. Hatte im Wahlkampf lediglich der damals designierte Innsbrucker Bischof Hermann Glettler seine Stimme für Flüchtlinge und Migranten erhoben, so taten es ihm mittlerweile beinahe alle Amtsbrüder gleich. Kardinal Christoph Schönborn kritisierte wiederholt „Populismus“ und „Angstmache“ und warnte, dass „Abschieben und Abschotten“ keine Probleme löse: „Das Wort Asyl darf nicht zum Schimpfwort werden“. Und der steirische Diözesanbischof Wilhelm Krautwaschl fragte Anfang Juli angesichts der europäischen und österreichischen Politik, „wo denn das oft herbeigeredete christliche Abendland geblieben“ sei.

Auch wenn sich die Bundesregierung zurzeit von der Zustimmung der Mehrheit der Österreicherinnen und Österreicher getragen weiß, verstummt die Kritik aus dem religiösen Segment der Zivilgesellschaft nicht. Auch in den Kontroversen etwa um das Kopftuchverbot für Mädchen in Bildungseinrichtungen fehlt es nicht an mahnenden Stimmen. Beatrix Mayrhofer etwa, die Vorsitzende der Vereinigung der Frauenorden Österreichs, hält ein derartiges Verbot für nicht sinnvoll, weil es die Betroffene „in Opposition zum Staat und in die Isolation“ treibe.

Scharf äußerte sich wiederholt die Präsidentin der „Katholischen Aktion Österreich“ (KAÖ), Gerda Schaffelhofer. Die „oberste Laiin“ des Landes forderte die Regierung auf, sich von „Panikmache“ zu verabschieden. Schaffelhofer kritisierte, die Regierung plane oder setze Maßnahmen, die Asylwerbern und Flüchtlingen „das Leben offenbar möglichst erschweren solle“. „Völliges Unverständnis“ äußerte die KAÖ-Präsidentin zuletzt gegen die Abschiebung von gut integrierten Lehrlingen – manchmal direkt von ihrem Arbeitsplatz weg. Das sei „menschlicher und auch wirtschaftlicher Schwachsinn der Sonderklasse“. Die spektakulären Abschiebefälle hatten in den letzten Wochen in Österreich für Aufsehen gesorgt. Aber die Regierung lenkte auch hier bislang nicht ein, obwohl sich führende Vertreter der Wirtschaft für die Lehrlinge stark gemacht hatten. Die gesellschaftliche wie die konkrete Situation von Flüchtlingen und Migranten ist in Österreich zurzeit ebenso prekär wie der öffentliche Diskurs darüber.

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