Als Schöpfer sakraler Glasmalerei ist Gerhard Richter, der in der Kunstszene zu den bedeutendsten, aber auch zu den teuersten Künstlern der Gegenwart zählt, bisher erst einmal hervorgetreten: Für das Südquerhaus des Kölner Doms schuf er 2007 ein monumentales Fenster aus 11263 kleinen Quadraten in 72 Farbtönen, das ebenso Bewunderung wie Kritik hervorrief. Unvergessen bleibt die Bemerkung des Kölner Kardinals Joachim Meisner, das Fenster passe doch eher in eine Moschee als in den Dom.
Als spektakulär lässt sich daher eine Ankündigung der Benediktinerabtei Sankt Mauritius im beschaulichen saarländischen Tholey einordnen: Eigens für die kleine Abteikirche aus dem 13. Jahrhundert habe Richter neue Chorfenster entworfen, die im Sommer 2020 den krönenden Abschluss einer umfassenden Sanierung bilden werden. Weichen müssen hierfür Fenster des Benediktinerpaters Bonifatius Köck aus den Sechzigerjahren. Sie wiesen nach 50 Jahren ein derart komplexes Schadensbild auf, dass ihre Restaurierung einen erheblichen finanziellen Aufwand nach sich gezogen hätte. Außerdem seien ihre symbolisch-abstrakten Motivwelten ohne religiöses Spezialwissen kaum noch nachvollziehbar gewesen. Stattdessen wolle man Fenster, die „verstehbar sind, die berühren und zum Nachdenken anregen, die aber nicht banal sind“.
Richter, der die Tholeyer Abtei bis heute nie besucht hat, konnte durch eine schlichte schriftliche Anfrage zur Mitarbeit gewonnen werden. Hierbei waren die Mönche allerdings nicht auf sich allein gestellt: Übermittelt wurde die Bitte durch Bernhard Leonardy, der seit Kindheitstagen eng mit der Abtei verbundene Leiter der Musikfestspiele Saar. Der Musiker ist seit der Vertonung eines Photo-Painting-Zyklus von Richter mit dem Künstler bekannt.
Jedes der drei 1,95 mal 9,3 Meter großen Chorfenster besteht aus zwei Lanzetten mit wiederum je sieben Rechteckfeldern. Zwei Spitzbögen sowie mittig ein Dreipass mit drei kleinen Zwickeleinlagen bilden den Fensterabschluss. Gefüllt werden diese Flächen mit detailreichen Kompositionen, die an orientalische Ornamentik erinnern und von den Primärfarben Rot, Gelb und Blau dominiert werden. Sie gehen ebenso wie die Kölner Richter-Fenster auf ein bereits bestehendes Werk zurück: Die Grundlage bildet ein Ölgemälde aus dem Jahr 1990 (Werkverzeichnisnummer 724-4), das der Künstler zusammen mit dem privaten Besitzer ab 2009 durch mehrfaches vertikales Teilen und Spiegeln digital bearbeitet hat. Auf diese Weise entstand eine neue Bilderserie, die 2011 unter dem Titel „Patterns: Divided Mirrored Repeated“ veröffentlicht wurde (Editions-Werkverzeichnisnummer 149). Aus unterschiedlichen Tafeln wählte Richter 15 Ausschnitte, die wiederum sowohl vertikal als auch horizontal gespiegelt die kaleidoskopartigen Vorlagen für die Tholeyer Chorfenster bilden werden. Mit der Übertragung von Richters Entwürfen in Glas ist die Münchner Traditionswerkstatt Gustav van Treeck beauftragt.
Den Mönchen gelingt es, den abstrakten Motivwelten Richters, der als junger Mann aus der evangelischen Kirche ausgetreten ist, vielfältige religiöse Konnotation zuzuweisen: „Diese Fenster werden den Hintergrund für die ganze Liturgie darstellen. Ich finde es wunderbar, dass das letzte Geheimnis, also das Gottesgeheimnis, das letzte Mysterium, nicht figürlich dargestellt wird. Denn es ist zutiefst christlich, dass wir in diesem Leben kein Bild von Gott haben“, so Frater Wendelinus Naumann, Kunstbeauftragter des Klosters.
Noch ungewiss bleibt, ob und wie die drei Richter-Fenster innerhalb der kleinen Abteikirche mit den 34 Obergaden- und Seitenschifffenstern korrespondieren werden. Diese werden von der Münchner Künstlerin Mahbuba Elham Maqsoodi gestaltet, einer Muslima mit afghanischen Wurzeln und russischem Studienhintergrund. Ob ihre figürlichen, poppig-bunten Entwürfe mit den Richter-Fenstern ein „harmonisches glasmalerisches Gesamtbild“ ergeben werden, wie es die Abtei ankündigt, wird sich im Juni 2020 zeigen. Dann soll die renovierte Kirche im Rahmen einer Festwoche mit dem Komponisten Arvo Pärt eröffnet und ein „kleines Stück Kunstgeschichte“ geschrieben werden. Manuel Uder