Francois Ozons Film „Gelobt sei Gott“ über Missbrauch in der französischen KircheEnthüllend

Es brauchte 30 Jahre, bis er darüber sprechen konnte: Alexandre (Melvil Poupaud)Foto: © Pandora Film Medien GmbH

Der französische Filmemache Francois Ozon zeichnet sich dadurch aus, dass er in vielen seiner Produktionen eine Art doppelten Boden einzieht, so dass es immer auch leicht surreale Spielfilme werden. In seinem neuesten Film ist das ganz anders. Quasi-dokumentarisch zeichnet Ozon die Jahre 2015 bis 2016 nach, als in Lyon der massenhafte sexuelle Missbrauch durch den Priester Bernard Preynat öffentlich wurde – und auch Kardinal Philippe Barbarin unter Beschuss geriet. Er soll als Erzbischof von Lyon wie sein Vorvorgänger, Kardinal Albert Decourtray, den Täter zumindest teilweise gedeckt haben. Nach einer Zwangspause, so erzählt es der Film, dem an Authentizität gelegen ist, wurde er entgegen der Ankündigungen auf eine neue Stelle versetzt und konnte beispielsweise weiterhin Kindern und Jugendlichen Katechismusunterricht erteilen.

Ozons Art und Weise filmischen Erzählens schlägt dann aber doch auch hier und da durch. In „Fünf mal zwei“ beispielsweise erzählt er die Geschichte eines Paares in fünf Episoden von ihrem tragischen Ende bis zum happy beginning. „Gelobt sei Gott“ gewinnt seinen Rhythmus, indem er anhand von verschiedenen Betroffenen, die jeweils für eine Zeit die den Plot beherrschende Hauptperson des Films sind, die Aufdeckung des Missbrauchs erzählt, bis der nächste in die Handlung eintritt. Gleichzeitig werden damit verschiedene Schicksale vorgestellt. Von Alexandre, dem großbürgerlichen Vorzeige-Katholiken mit fünf Kindern und sonntäglichem Messgang, der den Stein ins Rollen bringt, über den zum Atheisten gewordenen Aktivisten François bis zu Emmanuel, der nicht nur noch fortwährend massiv unter der sexualisierten Gewalt von damals leidet, sondern bis heute aus der Spur geworfen wurde. Ehekonflikte, Paarprobleme und Beziehungsstörungen gibt es allenthalben. Auch die unterschiedlichen Reaktionen der Eltern vom Nicht-Wahrhaben-Wollen bis zum nur sehr leisen Protest aus Rücksicht auf Kind und Kirche werden anschaulich gemacht. Der Film hat nicht zuletzt deshalb mit Recht den Großer Preis der Jury auf der Berlinale 2019 gewonnen.

Ozon, bei dem sonst Frauen die Hauptrollen spielen, stellt dieses Mal ausdrücklich Männer und ihr Gefühlsleben in den Mittelpunkt dieses Films. Rückblenden, als Flashbacks eingeführt, zeigen das Unwesen des Intensivtäters in sich steigernder Dramatik und vermögen durchaus plausibel zu machen, wie das Unfassbare sich ereignen kann, ohne dass der Täter sich erst einmal allzu viele Sorgen machen muss, entdeckt zu werden.

Gleichzeitig ist der Film eine Anklage an die katholische Kirche, die in der Gestalt von Barbarin zwar das Geschehene von Anfang an verurteilt und Hilfen anbietet, letztlich aber doch nur sehr zögerlich auf die Missstände reagiert hat und weiterhin nur höchst vorsichtig reagiert. („Wieso immer die alten Geschichten …“, heißt es einmal.) Bezeichnend alleine am Anfang die Missbrauchsbeauftragte des Erzbistums, die in ihren Gesprächen zwar durchaus einfühlsam vorgeht, letztlich aber mit von ihr angestimmten gemeinsamen Gebeten wie dem Vater Unser am Ende eines Gesprächs selbst übergriffig wirkt. Der Kardinal seinerseits schreibt Briefe, empfängt Opfer, gibt Pressekonferenzen und versäumt es dennoch zur Empörung der Opfer, die ihn mit Zitaten von Papst Franziskus konfrontieren, die richtigen Konsequenzen zu ziehen. Die Opfer vernetzen sich untereinander und setzen Barbarin dadurch zunehmend unter Druck.

Enthüllend ist der Film so nicht zuletzt auch mit Blick auf die Mechanismen, wie Aufklärung von Missbrauch funktionieren kann, und warum es erst eine gewisse Öffentlichkeit braucht, damit sich auch andere Betroffene melden. Markant hier die Szene der Mitarbeiterin des früheren Kardinals, die sich erst Vorwürfe macht, vage Hinweise auf das Fehlverhalten des Pfarrers nicht ernst genug genommen zu haben. Ihre Neffen seien zwar in seinem Umfeld, aber nicht betroffen gewesen. Erst durch den Missbrauchsskandal erzählen sie ihrer geschockten Tante dann, dass sie sehr wohl unter dem Pfarrer zu leiden hatten.

Am Ende weist die deutsche Fassung des Films, die Ende September in die Kinos gekommen ist, darauf hin, dass die Gerichtsurteile gegen Preynat und Kardinal Barbarin – letzteres wurde erst im März 2019 gefällt (vgl. HK, April 2019, 36) – wegen der Berufungsverfahren noch nicht rechtskräftig sind. Mit Blick auf den Spielfilm ist das jedoch zweitrangig. Stefan Orth

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