Jeder, der geboren wird, besitzt zwei Staatsbürgerschaften, eine im Reich der Gesunden und eine im Reich der Kranken“, zitiert Ruth Schweikert in ihren persönlich-literarischen Aufzeichnungen „Tage wie Hunde“ Susan Sontag. 2016, wenige Monate nach ihrem 50. Geburtstag, wurde bei ihr eine aggressive Form von Brustkrebs festgestellt. Sofort weiß sie, dass sie „darüber schreiben würde“. Später reflektiert sie über die Krankengeschichte als Instrument des Überlebens, um dem „Gedankenkäfig“, dem „Krebsgefängnis“ zu entkommen: „In der Selbstvergessenheit der Hingabe an einen Stoff, der sich, indem er Satz für Satz Gestalt annimmt, verwandelt“, liege ein „Freiheitsmoment“, gehäutet, verwandelt entlässt die Erzählung „auch den Autor, die Autorin“.
Titel und Grundstruktur verdankt sich der Ausstellung „Days Are Dogs“ von Camille Henrot in Paris, wo die Schweizer Schriftstellerin drei Wochen an ihrem Buch arbeitet. Über sieben Wochentage von der Diagnose bis zum Spitaleintritt, sodass die Operation am Ende noch vor ihr liegt, entfaltet das Buch ein subtil geflochtenes Text-Gewebe mit Vor- und Rückblenden in die eigene Kindheit oder die lebensgefährliche Flucht des Vaters ihres Ehemanns, nachdem die Eidgenossenschaft 1942 die Grenzen für jüdische Flüchtlinge geschlossen hatte. Das „diffuse Konglomerat aus Ängsten und Scham“, das sie selber erlebt, wird ergänzt um Sterbens- und Überlebenserzählungen anderer, die sie aufruft, etwa den Tod des Vaters und der Mutter. Eingestreut sind zudem Krebserfahrungen von Bekannten und Schriftstellerkollegen wie Walter Matthias Diggelmann, Polo Hofer, Roger Willemsen, teilnahmsvolle Mails und SMS von Freunden und Kolleginnen sowie ihre Antwortmails mit neuestem Gesundheitsupdate zwischen Chemotherapie und Rekonvaleszenz. Aus der Zukunft des 22. Jahrhunderts imaginiert sie ein Museum mit Wollmützen, Skiern, Schneekanonen, Streusalz – aufgrund des Klimawandels allesamt unnütz oder gar verboten, die größte Attraktion sind unheilbare Tumore, obsolet wie ihre nur kurz erinnerte Krebserkrankung zu Beginn des 21. Jahrhunderts.
„Das Leben ist nicht gerecht“, führt Schweikert zustimmend die Mathematikerin Maryam Mirzakhani an, die mit 36 Jahren die Diagnose Brustkrebs erhielt, „als ich mit klugem Kopf geboren wurde und in eine liebevolle Familie hinein, da habe ich mich auch nicht beklagt“. Heroische Appelle, den Krebs zu besiegen, sind ihr ein Graus wie Selbstmitleid oder Schuldzuweisungen. Bewusst spielt Schweikert Facetten ihres weitergehenden Arbeits-, Künstler- und Familienlebens ein – ihr Engagement als fünffache Mutter und Schreibcoach im Jungen Literaturlabor Zürich, Reisen, Stipendienaufenthalte, Lesungen und Literaturpreise – und vergegenwärtigt Momente, in denen sie einfach die Lust überkommt, das „dunkle Fest des Lebens zu feiern“, wie sie in Anlehnung an das Gesprächsbuch von Gerhard Meier mit Werner Morlang formuliert.
Angesichts ihrer Reserve gegenüber konfektionierten religiösen Deutungen fällt umso mehr ins Gewicht, wie Schweikert mithilfe spiritueller Poesie Transzendentes benennt. Eindringlich schildert sie die „umgekehrte Geburt“ des mit nur 19 Monaten verstorbenen Sohnes einer Freundin, die ihr jäh „die Fragilität der menschlichen Existenz vergegenwärtigte“. An die hundert Mal hört sie das Kirchenlied „Amazing Grace“ nach, das die Eltern für die Abdankung wählten. Es besingt eine Gnade, die das Fürchten lehrt und doch von Ängsten erlöst.
Die ihr wichtige „Aufmerksamkeit für das Fragile, Beiläufige, Nebensächliche; für das unerwartete Glück“ verdeutlicht Schweikert am Ende mit Leonhard Cohens Anthem: „Da ist ein Riss in allem, das ist der Spalt, durch den das Licht einfällt – durch feinste Haarrisse dringt es, das Licht, in die Dinge und macht ihre Kostbarkeit sichtbar“. Ihren besonderen Wert erhalten sie im Wissen um die Ungesichertheit menschlichen Daseins, im Innewerden „der eigenen Sterblichkeit“, was nicht zuletzt die mosaikartig-fragmentarische Textgestaltung unterstreicht: nahezu alle Abschnitte enden ohne abschließendes Satzzeichen. Christoph Gellner