Was erlaubt sich dieser Historiker? In seinem neuen Buch erklärt der berühmte Mediävist Johannes Fried das Phänomen des leeren Grabes von Jerusalem mit einem angeblichen Scheintod: Jesus sei am Kreuz gar nicht gestorben, sondern nur ohnmächtig gewesen. Die inneren Verletzungen nach der Folter hätten eine Blutung mit Wasserbildung in der Pleurahöhle um die Lungenflügel bewirkt und letztere so weit zusammengedrückt, dass Jesus nicht mehr habe atmen können. Die Rettung sei in Form einer Punktion gekommen: Der Hauptmann unter dem Kreuz öffnete Jesu Seite ‒ „und sogleich floss Blut und Wasser heraus“ (Joh 19,34).
Der hauptamtliche Katholizismus in Deutschland, vom Domradio bis Thomas Söding, reagierte auf das Buch sofort mit hektischer Apologetik („Verschwörungsgeschichte“, „alles Unsinn“). Was allerdings nicht nur langweilig war in seiner Reflexhaftigkeit, sondern auch verkehrt. Natürlich kann Fried seine These nicht beweisen, ebenso wenig wie Christen die Auferstehung beweisen können. Was sich im Grab Jesu abgespielt hat, ist eine Glaubensfrage, und die beantwortet Fried eben anders als ein gläubiger Christ. Ansonsten aber ist sein Buch gerade auch für fromme Bibelleser ein großes Geschenk. Es handelt nämlich bei Weitem nicht nur vom vermeintlichen Scheintod, sondern befasst sich insgesamt mit den letzten Augenblicken Jesu und der Situation der Urgemeinde. Und dabei bringt Fried, der große Quellenkritiker, der in seinem erfüllten Forscherleben schon die Glaubwürdigkeit aller möglichen hochberühmten Texte nachhaltig erschüttern konnte, ausgerechnet der Bibel ein erstaunliches Vertrauen entgegen. Fried ist überzeugt: Wer wissen will, wie es damals wirklich zuging auf Golgatha, kann alles im Johannesevangelium nachlesen, es enthält absolut authentisches Material. „Der Passionsbericht des Johannes-Evangeliums ist, von wenigen redaktionellen Eingriffen abgesehen, sein Werk (sc. des Lieblingsjüngers Jesu). Er war unter dem Kreuz und bei den anderen Szenen Augenzeuge.“ Nicht nur das Faktum des leeren Grabes sei historisch felsenfest gesichert. Auch alle Details, die Johannes (und nur er) berichtet, seien glaubhaft. Nichts Legende, nichts Fantasie – die Bibel hat doch recht. Wie viele Theologen sich solche Töne wohl erlauben würden? Lucas Wiegelmann