Kirche: Maria 2.0 und der Aufstand der Frauen

In der Kirche brodelt es. Die Fälle von Machtmissbrauch und sexualisierter Gewalt haben auch der Debatte um die Rolle der Frau eine neue Dynamik gegeben. Bekannte Forderungen werden mit neuen Mitteln vorgebracht. Kirchliche Verbände und Initiativen organisieren Demonstrationen, Streiks und Aufrufe. Wird der Protest gehört?

Frau mit gebastelter Mitra fordert Macht in der Kirche.
© KNA

M acht Licht an! Macht Licht an! Macht Licht an!“ tönte es den Bischöfen entgegen, als sie am Abend vor ihrer Frühjahrsvollversammlung in Lingen nach dem Eröffnungsgottesdienst aus der Kirche Sankt Bonifatius auszogen. Gleichzeitig wurden Taschenlampen auf das Eingangsportal gerichtet. Der Auslöser: etwa 300 Frauen und Männer aus dem Bistum Osnabrück und Umgebung, die in einem Schweigemarsch zur Kirche gezogen waren, um im Anschluss an den Gottesdienst mit dem Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode, der innerhalb der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) auch Vorsitzender der Pastoralkommission und deren Unterkommission „Frauen in Kirche und Gesellschaft“ ist, eine Klageangdacht abzuhalten. Auch der Essener Weihbischof Ludger Schepers und der Osnabrücker Weihbischof Johannes Wübbe nahmen daran teil. „Ich bete hier auch angesichts der Scham vieler Frauen, nicht über das Erlittene sprechen zu können. Neben dem Missbrauch an Kindern und Jugendlichen müssen wir auch den Missbrauch an Frauen aufarbeiten“, sagte Bode. Um ihren Forderungen nach einer umfassenden Aufklärung des Missbrauchsskandals, einem „verantwortungsbewussten und befreienden Umgang mit Körperlichkeit und Sexualität in Ausbildung, Lehre und Katechese“ sowie einer strukturellen Erneuerung in der Kirche und dem Aufbrechen „klerikal-autoritärer Machtstrukturen“ Ausdruck zu verleihen, hatten die Initiatoren der Katholischen Frauengemeinschaft Deutschlands (kfd) während der Aktion #MachtLichtAn 29.751 Unterschriften gesammelt. Bei der Aktion hatten sich im Dezember und Januar Frauen und Männer an 170 Orten im Rahmen von Klageandachten getroffen, um Taschenlampen „auf dunkle Kirchentüren“ zu richten und Forderungen für eine Erneuerung der Kirche zu verlesen. Für sie ist klar: Spätestens mit der Veröffentlichung der MHG-Studie im vergangenen Herbst ist die Zeit für tiefgreifende Reformen innerhalb der Kirche gekommen.

Eine prominente Stelle in den derzeitigen Diskussionen um Erneuerung nimmt dabei die Frage nach der Rolle der Frau ein. Denn für viele sind „die innerkirchlichen patriarchalischen Strukturen“, „das Männerbündische“ und „der Klerikalismus“ die Wurzel des Übels von Missbrauch und Vertuschung. Eine Neubewertung der Rolle der Frau könne hier Abhilfe schaffen.

„2013 fiel uns auf, dass zu wenig Frauen in Leitungspositionen sind“

Auch die DBK beschäftigte sich auf ihrer Frühjahrsvollversammlung mit dem Frauenthema. Andrea Qualbrink, Referentin im Stabsbereich Strategie und Entwicklung im Generalvikariat des Bistums Essen, stellte eine Studie zum Anteil von Frauen in kirchlichen Führungspositionen vor. Die Studie war von den Bischöfen 2013 nach einem Studientag in Trier zum Thema „Zusammenwirken von Frauen und Männern im Dienst und Leben der Kirche“ in Auftrag gegeben worden. Die Erhebung zeigt, dass sich der Frauenanteil in Leitungspositionen deutlich erhöht hat (auf der oberen Leitungsebene um sechs Prozentpunkte auf 19 Prozent und auf der mittleren Leitungsebene um vier Prozentpunkte auf 23 Prozent; vgl HK, April 2019, 40–42). Grund dafür dürfte neben einem veränderten kirchlichen Bewusstsein das Programm „Kirche im Mentoring – Frauen steigen auf“ sein. Diese von der DBK allen Bistümern in Deutschland empfohlene Maßnahme des Hildegardis-Vereins hat das Ziel, den Anteil von Frauen in kirchlichen Leitungspositionen zu erhöhen und Frauen in Leitung „sichtbar“ zu machen. Das dabei entstehende Netzwerk soll Frauen in Führungspositionen miteinander vernetzen (vgl. HK April 2019, 40–42). Qualbrink betonte allerdings, dass es trotz diesen Erfolgen nötig sei, die „kritische Masse“ von 30 Prozent zu erreichen, damit ein innerkirchlicher Wandel überhaupt möglich werde.

Bischof Bode verwies in seinem Statement vor den Pressevertretern darauf, dass es bei dem Studientag in Trier 2013 innerhalb der DBK ein Umdenken bezüglich Frauen in Führungspositionen gegeben habe: „Damals fiel uns auf, dass bei weitem nicht genug Frauen in Leitungspositionen der Kirche sind.“ Doch in der Kirche könne sich nur dann etwas verändern, wenn „in den oberen Etagen“ der Kirche genug Frauen zu finden seien. Leitung habe „ganz viele Gesichter“ und gehöre nicht nur zu denen, die geweiht seien. Vielmehr hätten „in dieser Vielfalt, die wir inzwischen haben“ Getaufte, Gefirmte, Beauftragte, Gesendete und Geweihte Anteil am Hirtenamt Christi und damit an der Leitung. Bode sprach von „neuen Leitungsmodellen“, wo Laien vor Ort eine wirkliche Verantwortung haben und „moderierende Priester“ dazukommen. Diese Verantwortung könnten dann sowohl Männer als auch Frauen übernehmen. Er bemängelte, dass es noch immer viele Faktoren gebe, die Frauen daran hinderten, in der Kirche aufzusteigen: Für viele sei die Führungsposition nicht attraktiv, es fehle an Vorbildern und Frauen gerieten aufgrund traditioneller Rollenzuschreibungen unter Rechtfertigungsdruck. Zudem fehlten Frauen auch in den mittleren Führungspositionen, von wo aus Aufstiege überhaupt möglich seien. Bode plädierte außerdem dafür, generell das Engagement der Frauen in den Gemeinden mehr zu würdigen „durch Beauftragungen und Sendungen“ und „vielleicht auch sakramental“.

Auch der Mainzer Pastoraltheologe Philipp Müller verwies in seinem Beitrag auf dem DBK-Studientag in Lingen „Die Frage nach der Zäsur – Studientag zu übergreifenden Fragen, die sich gegenwärtig stellen“ darauf, dass in der Diskussion um das Priestertum der Zugang der Frauen zu kirchlichen Ämtern nicht ausgespart werden dürfe. So wie sich der Status quo in Bezug auf die Auswahl, die Ausbildung, die Unterstützung, Begleitung und die berufliche Zufriedenheit der Priester derzeit darstelle, führe dieser „in immer geringerem Maß zu geeigneten, kompetenten und psychosozial nachhaltig stabilen Priestern“. Es stehe aber außer Frage, dass Veränderung erforderlich sei, wenn das Priestertum Bestand haben solle.

Der DBK-Abschlussbericht fiel dagegen deutlich verhaltener aus: „Einstimmig haben wir beschlossen, einen verbindlichen synodalen Weg als Kirche in Deutschland zu gehen, der eine strukturierte Debatte ermöglicht und in einem verabredeten Zeitraum stattfindet und zwar gemeinsam mit dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken“, heißt es dort. Dazu wolle man „Formate für offene Debatten“ schaffen und sich „an Verfahren binden“, die eine „verantwortliche Teilhabe von Frauen und Männern“ aus den Bistümern ermöglichen.

Schweigemärsche, Streiks und Demos

Manchen gehen diese Ankündigungen der Bischöfe nicht weit genug. Um gegen Missbrauch und „Ausgrenzung in der Amtskirche“ zu protestieren, ließen sich einige Frauen der Münsteraner Heilig-Kreuz-Gemeinde etwas einfallen, was man sonst eher aus dem säkularen Bereich kennt: Sie wollen eine Woche in den Streik treten. Unter dem Titel Maria 2.0 planen sie, vom 11. bis zum 18. Mai keine Kirche zu betreten und keinen Dienst in der Kirche zu verrichten. „Wir wollen verdeutlichen, dass die Frauen draußen stehen, was ihre Verantwortung betrifft, die man ihnen in der Kirche überträgt. Wir wollen auch deutlich machen, dass die Frauen von den Ämtern in der Kirche ausgeschlossen sind. Deswegen bleiben wir draußen“, sagte Sigrid Kamman, Mitinitiatorin der Aktion, gegenüber domradio.de. Gottesdienst wolle man in dieser Zeit „vor der Kirche“ feiern und dort auch „Klagen und Forderungen nachdrücklich und kreativ zum Ausdruck bringen“. So ist etwa angedacht, den Platz vor den Kirchen durch weiße Bettücher mit dem „Weiß der Unschuld, der Trauer und des Mitgefühls zu bedecken.“ Und weiter: „Die weißen Tücher können beschrieben, bemalt, besudelt“ oder „verknotet werden zu langen Ketten und riesigen Buchstaben“. Dabei geht es laut Kamman bei dem Streik nicht um die Ortskirche, sondern um die Amtskirche. Es sei endlich Zeit, Strukturen zu verändern.

Die Idee zum Streik entstand in einem Lesekreis der Gemeinde, in dem man gemeinsam das apostolische Schreiben „Evangelii gaudium“ von Papst Franziskus las. Eines Tages war den versammelten Frauen klar, dass sie etwas unternehmen mussten, damit es ihnen und den nachfolgenden Generationen „nicht nur erträglich“ sei, sondern „sogar Freude“ mache, in der Kirche zu bleiben. Sie setzten einen offenen Brief an den Papst auf, der bis zum 18. Mai von Interessenten online unterschrieben werden kann. Eine der Forderungen: Zugang von Frauen zu allen Ämtern der Kirche. Über Facebook rufen die Initiatoren alle Frauen auf: „Macht mit! Lasst uns unsere Kirche wachküssen!“ Die Aktion Maria 2.0 hat dort 1.471 Likes.

Auch für andere kirchliche Gruppen und Reformbewegungen ist es höchste Zeit für einen strukurellen Wandel in der Kirche. Die Diözesanverbände München und Freising des Katholischen Deutschen Frauenbundes (KDFB), der Katholischen Frauengemeinschaft Deutschlands (kfd) und des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) etwa planen gemeinsam mit den Münchner Reformgruppen „Gemeindeinitiative“, „Münchner Kreis“ und „Wir sind Kirche“ zum Tag der Diakonin am 29. Mai, dem Gedenktag der heiligen Katharina von Siena, einen Schweigemarsch in der Münchner Innenstadt. Ihre stumme Forderung: die sofortige Einführung des Frauendiakonats. In ganz Deutschland wird es an diesem Tag Aktionen zum Thema geben. Die zentrale Veranstaltung findet in diesem Jahr in Mainz unter dem Motto „Macht Kirche zukunftsfähig!“ statt. „Die Gleichberechtigung der Frauen ist ein Menschenrecht, wird aber bisher in der römisch‐katholischen Kirche nicht umgesetzt“, heißt es in den Mitteilungen der Verbände. Der Frauendiakonat sei nun ein erster wichtiger Schritt, um dem Abhilfe zu schaffen. Kardinal Reinhard Marx solle sich innerhalb der DBK und beim Papst für dessen Einführung einsetzen.

Ob diese Forderung von Erfolg gekrönt sein wird, bleibt unterdessen fraglich. Bereits seit 2018 liegt der Bericht der theologischen Untersuchungskommission vor, die sich seit 2016 mit der Rolle von Diakoninnen in der frühen Kirche auseinandergesetzt hatte. Es werden Stimmen laut, die die Nicht-Veröffentlichung darauf zurückführen, dass der Bericht möglicherweise lediglich schon bekannte Ergebnisse zu diesem Thema bestätigt: dass die „Diakoninnen“ in der frühen Kirche eben nicht als geweihte Diakone angesehen wurden und dass aber sowohl die kirchliche Tradition als auch das Lehramt den Dienst als Diakon als Teil des geweihten Klerus betrachten.

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