Die große Stärke von Heinz Bude ist, dass er es sich und seinem Leser nie leicht macht. In seinem neuesten Buch widmet sich der Kassler Soziologe und Bestsellerautor dem Begriff der Solidarität. Es ist sozusagen ein Plastikwort der politischen Kommunikation, welches er retten will, indem er ihm Ernsthaftigkeit und Substanz zurückgibt. Er könnte es sich so leicht machen, mangelnde Solidarität zu beklagen und zu mehr Solidarität aufzurufen. Alles das kommt in seinem wunderbar anregenden und gut lesbaren Buch vor, doch er baut Klippen ein, die einem diese „beängstigend große Idee“ viel gründlicher verstehen lassen. Es geht um das Individuum und die Gemeinschaft und ihre wechselseitige Bezogenheit. Ist es schon Solidarität, wenn ich einem Bettler Geld gebe?
Und bin ich als Steuerzahler schon „solidarisch“ mit den Armen? Von der christlichen Barmherzigkeit bis zur Brüderlichkeit der Französischen Revolution erklärt Bude die historischen und weltanschaulichen Bezugspunkte zum Begriff der Solidarität, um eben am Schluss weder einem rein kollektivistischen noch einem allein individualistischen Zugriff zuzuneigen. So braucht für Bude offenbar sowohl der einzelne Mensch die Solidarität als Eigenschaft, um gegen die „Absurdität“ des Daseins zu rebellieren, als auch die Gemeinschaft um eines Zusammenhalts wegen. Bude weist auf die ausgrenzenden Potenziale von Solidarität hin, sowohl eine „solidarische Politik“ eines „Patchworks der Minderheiten“ könne gesellschaftlich desintegrierend wirken wie auch eine Solidarität „der Normalen“, die etwa ein großes „Wir“ gegen Zuwanderung aus dem Süden als identitäres Solidaritäts-Projekt vorstelle. Solidarität als Begriff könne ins Negative umschlagen. Und doch will Bude „die große Idee“ retten und warnt davor, sie dem Zugriff „von rechts“ zu überlassen und sich ihrer Vernachlässigung „von links“ zu fügen. Verbundenheit mit den Vielen, Großzügigkeit mit dem Fremden und „Dankbarkeit im Bewusstsein der Nachfolge“ sind seine Eckpfeiler. Fast metaphysisch wird es dann, wenn Bude in seiner „Meditation über Solidarität“ eine reine Zweckrationalität von Solidarität auch trotz oder wegen neuer und alter Ungerechtigkeiten in der Welt verneint. Volker Resing