Mit diesem Buch über „1968“ und die Folgen in Kirche und Gesellschaft zieht der emeritierte Münchner Dogmatiker und Ökumeniker Peter Neuner gleichzeitig so etwas wie eine Bilanz seiner Jahrzehnte im theologischen Geschäft. An deren Anfang stand das Zweite Vatikanische Konzil mit seinen ekklesiologischen und ökumenischen Neuansätzen, denen viele Veröffentlichungen Neuners verpflichtet waren. Er bilanziert zwar, die Geschichte der Kirche im Gefolge der Sechzigerjahre sei kirchenamtlich insgesamt von dem Bestreben geprägt gewesen, „den Aufbruch des Zweiten Vatikanums nur in möglichst kleinen Schritten in die Praxis und das Leben der Kirche zu übernehmen oder ihn auch gänzlich zu ignorieren und seine Realisierung zu verhindern“. Gleichzeitig macht er in einem Ausblick aber deutlich, wie in der Kirchenerfahrung von heute sich Spätfolgen der Ereignisse der Sechzigerjahre aufzeigen ließen, etwa im Blick auf die Laien und das Amt in der Kirche oder auch in ökumenischer Hinsicht.
Nach einleitenden Kapiteln über die Studentenrevolten und Aspekte der damaligen geistigen Neuorientierung unternimmt das Buch einen umfassenden Überblick zu den kirchlichen Ereignissen im Jahr 1968, von der Generalversammlung der lateinamerikanischem Bischöfe in Medellín über die Veröffentlichung von „Humanae Vitae“ und den berühmt gewordenen Essener Katholikentag bis zum „Holländischen Katechismus“ und der 1968 erschienenen „Einführung in das Christentum“ von Joseph Ratzinger. Auch die beginnenden ökumenischen Dialoge mit anderen christlichen Kirchenfamilien werden gewürdigt. Im Kapitel „Gegenbewegungen, retardierende Momente und verhinderte Rezeption“ zieht Neuner die Linien in die Pontifikate von Johannes Paul II. und Benedikt XVI. aus und notiert, die nachkonziliaren Äußerungen zum Lehramt und der Stellung der Theologen in der Kirche seien spannungsreich.
Neuners verdienstvoller und hilfreicher Rückblick auf das kirchliche Jahr 1968 mündet in knappen Hinweisen zu damit verbundenen theologischen Neuansätzen: in der biblischen Exegese, im Umgang mit der eigenen Geschichte, in der Frage nach Gott und schließlich in der anthropozentrischen Ausrichtung, für die er Karl Rahners Denken anführt.