In einer Zeit, in der die Kirche zwischen konservativen und liberalen Katholiken zu zerreißen droht, kommt diese Biografie über die französische Mystikerin
Madeleine Delbrêl gerade richtig. Denn an ihrem Leben wird deutlich, dass beides möglich ist: Treue zur Kirche und ihrer Lehre sowie gesellschaftliches Engagement. Einst selbst glühende Atheistin – „Gott ist tot, es lebe der Tod“, schrieb die Siebzehnjährige –, fand sie als junge Frau zum katholischen Glauben.
Dieser Glaube stellte ihr Leben auf den Kopf: Waren ihr einst teure Kleidung, Schmuck und Partys wichtig, verzichtete sie mit ihrer Bekehrung völlig darauf. Einem Freund berichtete sie später, sie habe zwei Opale, an denen sie sehr hing, in einem symbolischen Akt zum Haus des Erzbischofs gebracht. Um ihr ganzes Leben für diese neu gefundene Liebe hinzugeben, ließ Madeleine sich mit einigen Gefährtinnen in dem Pariser Vorort Ivry nieder. Dort wollte sie ganz bei den Menschen und ihren Nöten sein, den Arbeitern und Arbeiterinnen in den Fabriken. Beeindruckend zeichnet die Biografie nach, wie Madeleine die Gruppe in ihrem sozialen Engagement immer wieder daran erinnerte, „Christus zu sein“: „Der Herr hat uns nicht gerufen, um uns zu sagen: ‚Schau, diese Kranken – geh zu ihnen‘, er hat uns vielmehr gerufen, damit wir immer bei ihm sind und zusammen mit ihm für die ganze Welt und für die, die uns begegnen, das tun, was er für sie tun will.“ Durch diese feine Differenzierung entlarvt Madeleine, die große Sozialarbeiterin, soziales Engagement und „gute Taten“ als letztlich leeren Aktionismus – wenn sie nicht in der Liebe zu Christus wurzeln, sondern eigenen subjektiven Wünschen und Vorstellungen von Kirche und Moral entspringen.
Die Autoren der französischen Originalausgabe, die 2014 erschien, dürften zu den besten Kennern Madeleines zählen: Gilles François ist Präsident der „Association des Amis de Madeleine Delbrêl“ und Postulator ihres Seligsprechungsverfahrens. Bernard Pitaud ist Mitglied der Kongregation der Sulpizianer, ehemaliger Dozent am Institut Catholique de Paris und Autor mehrerer Bücher über Madeleine. Annette Schleinzer, die das Werk ins Deutsche übersetzt hat, ist ebenfalls Madeleine-Spezialistin. Julia-Maria Lauer