In demokratischen Staaten ist der das Regierungshandeln begleitende öffentliche Diskurs wesentlich. Hierfür sollten der Meinungsbildung überprüfbare Daten zugrunde liegen. Während der Corona-Krise sind diese jedoch rar – nicht weil sie konspirativ vertuscht würden, sondern weil die Situation selbst hochdynamisch und ohne Vorläufer in der jüngeren Vergangenheit ist. In einem schmalen Reclam-Bändchen machen die Philosophen Nikil Mukerji und Adriano Mannino (beide LMU München) Vorschläge, wie politisches Handeln trotz des nur langsam wachsenden wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses zu SARS-CoV-2 reflektiert werden kann. Kern ihrer Ausführungen ist das Denken „in Echtzeit“ im Sinne einer Katastrophenethik. Denn durch schulterzuckendes Abwarten könnten „wertvolle Optionen verlorengehen (…), weil man damit bereits einen bestimmten Pfad eingeschlagen hat.“
Kurzweilig ist die Analyse gängiger Denkfehler, die gerade unter Handlungszwang gefährlich seien. Die Autoren verweisen auf die menschliche Schwierigkeit, das exponentielle Wachstum der Infektionszahlen intuitiv richtig einzuschätzen. Wichtig sei zudem, sich den eigenen eingeschränkten Erfahrungshorizont bewusst zu machen. „Wer eine Krise wie die gegenwärtige noch nicht erlebt hat, dem fällt es nicht leicht, sie kognitiv und emotional vorwegzunehmen – auch wenn starke Evidenz existiert, dass die Krise wirklich droht.“ Auch das mittlerweile in vielen Köpfen präsente Präventionsparadox wird erwähnt: Schutzmaßnahmen wie das verpflichtende Tragen einer Maske erweisen sich eben nicht zwingend als überflüssig, wenn die absolute Infektionskatastrophe ausbleibt. Denn gelingende Prävention zeichnet sich gerade dadurch aus, dass „nichts passiert“.
Ihr zu unhinterfragtes Befürworten einer Abschottung besonders gefährdeter Personen muss als problematisch angesehen werden. Wer kann schon auf den Kontakt zu (Groß-)Eltern, (Enkel-)Kindern, Freunden verzichten? Nicht nur theologisch ist klar, dass Mensch-Sein sich in Beziehungen realisiert. An dieser Stelle fehlt es letztlich an philosophischer Tiefe. Ein Glossar epidemiologischer Fachbegriffe rundet die Schrift ab. Jonas Mieves