Anders als vielfach vermutet, war die DDR zu keinem Zeitpunkt ein monolithisches Gebilde. Trotz Dominanz des „einheitlichen sozialistischen Bildungssystems“ existierte dort zum Beispiel eine erstaunlich vielfältige kirchlich-konfessionelle Szene, die einen eigenständigen Bildungskosmos eröffnete. Der Aufgabe, diese „Parallelwelt“ – so der treffsicher gewählte Titel der Darstellung – prägnant und materialreich in Form eines „Handbuchs“ zu dokumentieren, widmen sich Uwe Grelak und Peer Pasternack auf 700 zumeist zweispaltig bedruckten Seiten.
Diese die Epoche des realen Sozialismus überdauernde Bildungslandschaft reichte von der Elementarbildung in Kindergärten und Kinderheimen über Vorseminare, Berufsausbildungen, Studentengemeinden, Kirchliche Hochschulen bis hin zu Filmdiensten und Evangelischen Akademien: Existierten 1949, im Gründungsjahr des ostdeutschen Staates, insgesamt 141 konfessionelle Einrichtungen, gab es an dessen Ende 205. „Dieses Kernsegment des konfessionell gebundenen Bildungswesens hatte also“, erläutern Grelak und Pasternack, „über die vier DDR-Jahrzehnte hin ein Wachstum um 45 Prozent erfahren.“
Indem die Autoren in ihrer akribisch gearbeiteten Darstellung „eine möglichst vollständige Dokumentation des konfessionell gebundenen Bildungswesens in der DDR“ bieten, machen sie zugleich auf das gesellschaftspolitische Potenzial aufmerksam, das sich in dieser „Parallelwelt“ akkumulieren konnte. Trotz vielfältiger Formen von Christenverfolgung, Diskriminierung und ideologischer Bevormundung stellte das konfessionelle Bildungswesen damit Ressourcen zur Verfügung, die es Untertanen erlaubte, zu Bürgerinnen und Bürgern heranzuwachsen. „Angebote“ der Kirchen stärkten die Zivilgesellschaft; sie eröffneten einen Möglichkeitsraum, um widerständiges, am Ideal christlicher Freiheit orientiertes Handeln einzuüben.
Auch der Rezensent ist nach zehn Jahren DDR-Schule in den Genuß solch alternativer Bildung gekommen: durch sein Abitur im Magdeburger „Norbertuswerk“. Zutreffend notiert das „Handbuch“: „Letztendlich war es ein nach westdeutschem Muster ausgerichtetes Humanistisches Abitur (…) Dabei kam bis zum Schluss westdeutsches Schul- und Lehrmaterial zum Einsatz.“ So entstand das „Kuriosum“ eines zwar in der Bundesrepublik Deutschland, aber nicht in der DDR anerkannten gymnasialen Abschlusses; das änderte sich erst im Jahr 1990 nach den Gesetzesreformen der frei gewählten Volkskammer. Thomas Brose