Einfach, bescheiden und funktional, aber auch komplex, monumental und künstlerisch hat Gottfried Böhm im Laufe seines Architektenlebens gebaut. Der 100. Geburtstag am 23. Januar 2020 ist Anlass, auf einen der bedeutendsten deutschen Architekten zu blicken.
Geboren wurde er in Offenbach am Main als Sohn des Kirchenbaumeisters Dominikus Böhm. Nach dem Studium der Architektur und Bildhauerei in München (1942–47) arbeitete er im Büro seines Vaters in Köln und führte es nach dessen Tod 1955 weiter. Sein Erstlingswerk, der Bau der Kapelle St. Kolumba in Köln 1947–50, ist symptomatisch für die Bauaufgabe der Zeit, in der Böhms Laufbahn beginnt: Zahlreiche Städte sind kriegszerstört. Es fehlt nicht nur an Wohnungen. Für eine unbehauste Gesellschaft baut der junge Architekt an der Stelle der einst größten Pfarrkirche in der Kölner Innenstadt eine Kapelle für die „Madonna in den Trümmern“, die zu einem intensiven Ort des Gebetes wurde. Sie ist bis heute erhalten, überbaut von Peter Zumthors Kunstmuseum Kolumba.
Als nach dem Krieg der Blick ins Ausland einfacher wurde, unternahm Böhm eine Studienreise in die USA und begegnete 1951 dort auch Walter Gropius und Mies van der Rohe. Doch mehr als diese beeinflussten das Werk Gottfried Böhms die Ideen und Zeichnungen, die Pläne und Bauten seines Vaters Dominikus.
An den frühen Sakralbauten fasziniert das Skulpturale. Man möchte sie anfassen, den rauen Beton berühren. Bergende Räume wie Höhlen entstanden, zugleich aber auch leichte, zeltförmige Stahlbetonskelettbauten wie die Kirche St. Albert in Saarbrücken (ab 1951, geweiht 1954) oder der aus sechs halbkreisförmigen Konchen gebildete Zentralraum der Kirche St. Ursula (1956) in Hürth-Kalscheuren, der am 29. Januar 2006 durch Dekret des Erzbischofs von Köln profaniert wurde und heute als Galerie genutzt wird.
Böhm hatte einen bedeutenden Anteil am Kirchenbau insbesondere der Fünfziger- bis Siebzigerjahre. Über 60 Kirchen entstanden – vor allem im Rheinland. Insbesondere die Kirchenbauten aus der ersten Hälfte des Böhmschen Jahrhunderts mit ihren skulpturalen Formen der Betongebirge lassen an den Bildhauer Gottfried Böhm denken.
Sein bedeutendster und bekanntester Kirchenbau wurde 1968 geweiht: die Wallfahrtskirche „Maria, Königin des Friedens“ in Velbert-Neviges, die nach dem Dom größte Kirche des Erzbistums Köln. Das Äußere erscheint als eine gewichtige Betonskulptur, wie ein schroffes Felsgebirge aufgetürmt – kantige, ineinandergeschobene architektonische Körper, Pyramiden, Kuben. Ein Pilgerweg führt hinauf zur Kirche, die sich von innen als ein bergender Raum erweist, in dem sich die Menschen um den Altar versammeln können. Eine Faltendecke aus Sichtbeton überspannt den Raum für bis zu 6000 Menschen wie ein Zelt. Die kräftigen Farben der ebenfalls von Böhm entworfenen Fenster tauchen den Raum in ein mystisches Licht. Und dennoch behält er für die Menschen, die zur Wallfahrt kommen, den Alltagsbezug. Baulich drückt sich dies aus durch den Bodenbelag. Die Pflasterung des Vorplatzes endet nicht an einer Schwelle, sondern zieht sich hinein – etwas ansteigend – bis hin zum Altar.
Böhm ist mehr als ein hervorragender Kirchenbaumeister. Er baute Wohnungen und Bürohäuser, plante Städte und Rathäuser. 1986 berichtete der „Spiegel“: „Gottfried Böhm, 66, publicityscheuer Kölner Star-Architekt, mußte am Mittwoch letzter Woche ins Scheinwerferlicht.“ Als erster deutscher Architekt wurde Gottfried Böhm mit dem renommierten Pritzker-Preis ausgezeichnet, dem „Nobelpreis für Architektur“. In seiner Dankesrede formulierte Böhm sein Selbstverständnis vom Tun des Architekten: „Ein Gebäude ist für den Menschen Raum und Rahmen seiner Würde, und dessen Äußeres sollte seinen Inhalt und seine Funktionen reflektieren.“
Die Beschäftigung mit sphärischen Stahl- und Betonschalen prägt das Spätwerk Böhms. Diese Ansätze flossen ein in nicht realisierte Entwürfe für die Reichstagskuppel (1992) oder die Philharmonie in Luxemburg (1997). Schließlich wurde beim Hans-Otto-Theater in Potsdam (2006) die schützende Geste gestaffelter, zu schweben scheinender, palmwedelgleicher Schalen gebaute, lebendig rot leuchtende Realität. Andreas Poschmann