Zu den ergiebigsten Informanten, auf die sich der französische Autor Frédéric Martel in seinem Buch „Sodom“ stützt, gehört ein Kurienerzbischof namens La Païva. Mit ihm, so Martel, habe er sich immer wieder zum Essen getroffen, weil dieser praktischerweise „alle Geheimnisse des Vatikans“ kennt. Der Erzbischof dient als Kronzeuge für die eine große These, die in diesem Buch 600 Seiten lang wiederholt wird und die der Klappentext so zusammenfasst: „Der Vatikan ist eine der größten homosexuellen Gemeinschaften der Welt. Und zugleich geprägt von unnachgiebiger Homophobie.“ Bei einem der Informantentreffen zählt La Païva denn auch die Namen und Titel der homosexuellen Prälaten auf, „wobei er unumwunden zugibt, dass Schwule gemeinsam mit Homophilen im Kardinalskollegium in der großen Mehrheit sind!“
Unabhängig von der moraltheologisch derzeit heiß diskutierten Frage, ob das eigentlich schlimm wäre: Wer soll das glauben? Wer sollte über diese Information überhaupt verfügen, angesichts eines Kardinalskollegiums, das in der ganzen Welt verstreut ist und sich ja nicht einmal untereinander vernünftig kennt? Man könnte bei Erzbischof La Païva nachfragen, aber der, schreibt Martel, heißt leider in Wirklichkeit gar nicht so. Man muss dem Autor schon abnehmen, dass sein angeblicher Kronzeuge gesagt hat, was er gesagt haben soll. Falls er überhaupt existiert.
Doch um die Glaubwürdigkeit Frédéric Martels steht es schlechter, je länger man liest. All die wichtigen Leute, die er in den Zeugenstand ruft, der „Osservatore Romano“-Chef, Ex-Papstsprecher Lombardi oder Kardinal Leo Burke (den er in Wahrheit dann doch nicht trifft), all diese Leute sagen gar nichts Erhellendes. Nur die anonymen Quellen wie Erzbischof La Païva, die erzählen eine Ungeheuerlichkeit nach der anderen.
Das Ganze gipfelt in die These: Je schwulenfeindlicher sich ein Prälat gibt, desto wahrscheinlicher ist er selber schwul, bis hin übrigens zu den Päpsten. Wie jede Verschwörungstheorie vereint diese Nonsens-Formel eine offenkundige Absurdität mit ihrer strukturellen Unwiderlegbarkeit. Oder, positiv gesagt: Dass dieses Pamphlet in Deutschland erscheinen konnte, ist ein begrüßenswerter Beweis für die barmherzige Weite unserer Meinungsfreiheit. Lucas Wiegelmann