Mehr-Konferenz: Jetzt reflektierter

Die Mehr-Konferenz, ein charismatisches Großevent, das alle zwei Jahre in Augsburg stattfindet, hatte zuletzt heftige Kritik von Theologen erfahren. Bei der jüngsten Auflage Anfang Januar holte man sich die Kritiker ins Haus.

Mehr-Konferenz
© Lukas Müllerbauer

Warum tun sich kirchliche Institutionen so schwer mit Innovationen?“ – „Wie kann die Kirche eine Kultur des Zweifels unterstützen und gleichzeitig zum Glauben ermutigen?“ Das waren zwei der Publikumsfragen, die an die Referenten jüngst bei einem Event gestellt wurden, das als eine der größten theologischen Veranstaltungen der letzten Jahre in die Geschichte eingehen dürfte. Mehr als 2.500 Personen umfasste das Publikum, das mehr als drei Stunden lang den Impulsen von Neutestamentlern, Dogmatikern und Fundamentaltheologen zuhörte. Die Teilnehmer konnten über eine App auf dem Mobiltelefon ihre Präferenzen für bestimmte Fragen zum Ausdruck bringen. Es waren also nicht nur Einzelne, die sich für Fragen von Innovation und Zweifel interessierten.

Die Veranstaltung, von der hier die Rede ist, war das Forum „Mehr Theologie“, das am 4. Januar im Rahmen der Mehr-Konferenz stattfand. Die von Johannes Hartl und seinem Gebetshaus Augsburg verantwortete Konferenz zog in diesem Jahr etwa 12.000 Teilnehmer auf das Augsburger Messegelände. Hartl ist der Kopf der Bewegung. Er hat 2005 das Gebetshaus gegründet, hat die Mehr-Konferenz initiiert und bestreitet mit seinen Vorträgen auch einen Großteil des Programms. Während in einer größeren Halle das übliche Programm von Worship-Musik, Katechesen und Gottesdiensten lief, strömten zahlreiche Teilnehmer zum Theologie-Forum, das irgendwann wegen Überfüllung geschlossen werden musste.

In den vergangenen Jahren war von Theologen und anderen Wissenschaftlern immer wieder Kritik an der Konferenz, dem Gebetshaus und den daraus hervorgehenden Initiativen zu hören gewesen. Die Kritik schien umso lauter zu werden, je größer die Veranstaltung wurde. 2008 war sie mit 100 Teilnehmern gestartet, 2018 waren es 11.000 Teilnehmer, in diesem Jahr nun 12.000. Bereits im Jahr 2017 sprach der Freiburger Fundamentaltheologe Magnus Striet in einem Beitrag der ARD-„Tagesthemen“ von einer „aggressiven Inszenierung“ der Konferenz, die „ästhetisch zelebriert“ und „hochgradig amerikanisiert“ sei. 2018 äußerte der Münchner Soziologe Armin Nassehi gegenüber der Katholischen Nachrichten-Agentur: „Die Veranstaltung lebt von einer Reduktion auf Ästhetik und Emotionalität. Sie ist stark an individuellen Erfahrungen und am Erlebnis orientiert, aber ohne theologisches Back-up und Reflexion und dadurch niedrigschwellig.“

Besonders viel Widerspruch hatte indes das 2018 im Rahmen der Konferenz vorgestellte und von zahlreichen Initiativen, Gemeinschaften und Einzelpersönlichkeiten unterstützte „Mission Manifest“ erfahren. In der Streitschrift, die im selben Jahr als Buch erschien (Freiburg 2018), fordern die Initiatoren, Mission müsse in der Kirche „zur Priorität Nummer eins“ werden. Die katholische Sozialethikerin Ursula Nothelle-Wildfeuer, zusammen mit Magnus Striet Herausgeberin einer Kritik an dem Manifest unter dem Titel „Einfach nur Jesus?“ (Freiburg 2018), sagte dem Portal katholisch.de damals, das Manifest fördere „die Versektung und Evangelikalisierung der katholischen Kirche“. Im Kirchenverständnis des „Mission Manifest“ falle die „Dimension der Diakonia“ völlig weg. Und auch die Theologie solle „komplett ausgeklammert“ werden.

„Aufbruch braucht Theologie“: Mit diesen Worten eröffnete Johannes Hartl nun, zwei Jahre später, das Forum auf der Mehr-Konferenz, das inhaltlich vom Studienzentrum für Religion und Gesellschaft der Universität Fribourg verantwortet wurde. War es hier also, das von Nassehi geforderte „theologische Back-up“? Es waren sehr grundsätzliche Fragen, denen sich die zehn Theologen in den jeweils gut fünfzehnminütigen Vorträgen widmeten: Es ging um die Existenz Gottes, den theologischen Sinn des Gebets, die Mystik, die Bedeutung der biblischen Exegese. Es war dabei zu spüren, dass hier die Theologie für sich werben wollte, dass die Theologinnen und Theologen klarzumachen versuchten, warum ihre Disziplin für die Kirche und den christlichen Glauben unverzichtbar ist.

Werben für den Zweifel

Veronika Hoffmann, katholische Dogmatikerin in Fribourg, warb für die Theologie als „Schule des Zweifels“. Manche hielten die Theologie für „gefährlich“ – und sie hätten damit recht. Die Theologie sei tatsächlich „gefährlich für einen Glauben, der naiv und bequem sein will“. Aber sei dies „ein tragfähiger, ein gesprächsfähiger Glaube“? Gelegentlich sei zu hören, man solle lieber anbeten, statt nachzudenken. Wer das sage, weigere sich, erwachsen zu werden. Große christliche Heilige zeigten vielmehr, dass die Anbetung ein Ergebnis des Nachdenkens sein könne.

Der Bochumer Religionsphilosoph Benedikt Göcke beschrieb Theologie als „argumentative Reflexion auf das, was wir glauben“. Es gehe darum, „mit der Vernunft unseren Glauben als vernunftgemäß auszuweisen“. Dazu gehöre es auch, Argumente dafür zu entwickeln, „dass die Annahme der Existenz Gottes nicht unvernünftig ist“.

Und der in Fribourg lehrende Patristiker Gregor Emmenegger verwies auf die große Wertschätzung der Bildung in der frühen Kirche. Er zitierte Thomas von Aquin, dem zufolge es eine Sünde sei, wenn jemand absichtlich ungebildet bleibe. Der Christ der Zukunft werde darum nicht nur ein Mystiker, wie von Karl Rahner postuliert, sondern auch gebildet sein.

Nicht alle Kritiker kamen

Neben diesem theologischen Großevent hatten die Augsburger Verantwortlichen am folgenden Tag noch eine Diskussionsrunde für Theologen im kleineren Rahmen organisiert, bei der „die Rolle von kirchlichen Aufbrüchen wie der Mehr-Konferenz diskutiert und kritisch reflektiert“ werden sollte. Magnus Striet, einer der prononcierten Kritiker, hatte 2018 in dem von ihm herausgegebenen Sammelband geschrieben: „An Wunder glaube ich wieder, wenn dieses Buch auf der nächsten Mehr-Konferenz (…) diskutiert wird.“ Diese „Gelegenheit zur Wiedergewinnung des Wunderglaubens“, so schreibt Hartl im Rückblick auf seinem Blog, habe man nutzen wollen und Striet sowie „alle uns bekannten Universitätsheologen, die bisher etwas Kritisches über die ‚Mehr‘ geschrieben haben“, eingeladen. Magnus Striet und Ursula Nothelle Wildfeuer waren der Einladung offenbar nicht gefolgt.

Hatte das mit der Befürchtung zu tun, „hier würde sich die Theologie zum Feigenblatt eines autoritär-illiberalen Happenings machen lassen“, wie es ein Theologe auf Facebook formulierte?

Der Kölner Dogmatiker Hans-Joachim Höhn, Co-Autor des Bandes „Einfach nur Jesus?“, hatte solche Vorbehalte offenbar nicht. Er war nach Augsburg gekommen, hatte die Konferenz mitverfolgt und schilderte nun seine Eindrücke (vgl. auch dieses Heft 39–40). Höhn fand durchaus lobende Worte für die Veranstaltung: Hier sei nicht nur die Rede vom kirchlichen Aufbruch, hier finde er auch tatsächlich statt. In den Liedtexten und den Vorträgen der Konferenz vermisste Höhn jedoch eine wirkliche Deutung „der Zeichen der Zeit“. Es werde zu wenig auf Plausibilität geachtet. So stelle sich die Frage nach der „Lebensrelevanz“ der Konferenz.

„Religion ist zum Konsumgut geworden“ – mit dieser These des amerikanischen Theologen Vincent Miller begann Thomas Schärtl, der in Augsburg Philosophie lehrt, seine Analyse der religionssoziologischen Situation, in der Phänomene wie die Mehr-Konferenz zu verorten seien. Vor diesem Hintergrund neigten charismatische Christen dazu, die moderne skeptisch-rationalistische Geisteshaltung hinter sich zu lassen und stattdessen auf Gefühl und Vertrauen zu setzen. Laut Schärtl besteht die Tendenz, neue, separierte Öffentlichkeiten zu bilden, in denen die „säkulare Rationalität“ abgewertet und „außer-rationale Erfahrungsweisen“ aufgewertet würden.

Der Erfurter Theologe Dominique-Marcel Kosack warnte indes vor einer unpräzisen Kritik an religiösen Erneuerungsbewegungen. „Wir sollten kennen, was wir kritisieren“, meinte Kosack, der an einem Dissertationsprojekt über den Wandel christlicher Erlösungsvorstellungen in der Spätmoderne arbeitet. Oft heiße es, die Bewegungen präsentierten eine „rückwärtsgewandte Spiritualität in neuem Gewand“. Das stimme jedoch nicht. Vielmehr veränderten sich auch Glaubensvorstellungen: hin zu mehr Individualität und biografischer Relevanz. Die Herausforderung sei es dabei, ein „Bewusstsein für die Begrenztheit eigener Gottesbilder“ zu gewinnen.

Veronika Hoffmann schilderte ihren Eindruck, es gehe bei der Mehr-Konferenz darum, ein kühl gewordenes Christentum wieder zu „erwärmen“. Bei aller Begeisterung brauche es jedoch „Sicherheitsmechanismen“. Der Innsbrucker Dogmatiker Willibald Sandler verwies darauf, dass religiöse Bewegungen Phasen durchlaufen, die einer „biografischen Entwicklung“ vergleichbar seien. Dabei komme es unweigerlich auch wieder zu Zeiten der „Abkühlung“. „Überschäumende Emotionen“ gingen irgendwann zurück. Joachim Negel, Fundamentaltheologe in Augsburg, meinte, Erneuerungsbewegungen dürften „grün hinter den Ohren sein“. Auch in der Vergangenheit seien Bewegungen und ihre Gründer immer etwas seltsam gewesen. „Aber alles, was Bestand haben will, muss sich institutionalisieren“, so Negel.

Zu den Gästen der Diskussionsrunde gehörte auch der Schweizer Kurienkardinal Kurt Koch, der Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen, der zum Abschluss der Konferenz auch die Messe zelebrierte. Kritiker neuer innerkirchlicher Bewegung forderte er zu mehr Toleranz auf: „Wir müssen das, was wir in der Ökumene einfordern, auch innerhalb der katholischen Kirche leben“, so Koch. Es sei in diesem Zusammenhang auch falsch, Begriffe wie „evangelikal“ in einem abwertenden Sinn zu verwenden.

Trotzdem dürfte es auch in Zukunft Diskussionsstoff über die Mehr-Koferenz geben. Einige Theologen zeigten sich am Rande der Veranstaltung irritiert vom Auftritt eines „messianischen Juden“. Der aus den USA stammende und in Israel lebende Asher Intrater hatte unter anderem geäußert: „Ich glaube, dass es eine gemeinsame Bestimmung zwischen Deutschen und Juden gibt, besonders durch deutsche Christen und durch Juden, die an Jesus glauben.“ Der Holocaust sei vom Teufel ausgegangen, „um die gemeinsame Bestimmung zwischen Juden und Deutschen zu zerstören. Aber Gott möchte diese Bestimmung wieder herstellen. Wir werden zusammenkommen. Durch Jesus.“ Kritikern zufolge importieren „messianische Juden“ die politische Agenda der christlichen Rechten aus den USA nach Israel. Im Hintergrund stünden endzeitliche Vorstellungen einer „Wiederherstellung Israels“, die schließlich zum Wiederkommen des Messias führen werde.

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