Er trägt einen Anzug mit Weste, die Haare sind sorgfältig gegelt. In seinen besten Kleidern steht Ali Azizi am dritten Advent am Taufbecken der Martin-Luther-King-Kirche im Hamburger Stadtteil Steilshoop, neben ihm Pastor Andreas Holzbauer. Azizi beugt sich über das metallene Wasserbecken. „Ali Azizi, ich taufe Dich im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes“, sagt Holzbauer. Dann benetzt er die Stirn des Mannes dreimal mit Wasser. Genau wie er es einige Minuten später mit Mehrad G. und Amirhossein T. tut. Sie kommen aus dem Iran und Afghanistan und haben sich am dritten Advent in der Hamburger Kirchengemeinde taufen lassen. Von den Menschen aus Steilshoop gibt es dafür Applaus: von den Rentnern, die teils schon seit 40 Jahren Sonntag für Sonntag in die Martin-Luther-King-Kirche kommen, den Musikern und Musikerinnen und den Konfirmanden. Und als die Musik dann wieder einsetzt, tanzt Marion Hanke, die die gemeindeeigene Gruppe „Musik mit allen Generationen und Kulturen“ leitet, mit den drei Täuflingen noch ein wenig durch die Kirche.
Ein Phänomen, das überall in Deutschland existiert
Die drei Täuflinge in Steilshoop sind Teil eines Phänomens, das in Deutschland immer öfter zu beobachten ist. In Hamburg, Leipzig, in Bayreuth oder Berlin: Immer mehr Flüchtlinge aus dem Iran und aus Afghanistan wechseln den Glauben und lassen sich taufen. „Wir haben den Islam im Iran nicht freiwillig als Religion gewählt“, sagt Mehrad G. „Wir durften uns dort nicht zwischen unterschiedlichen Religionen entscheiden.“ Der Islam sei dort eine Religion, die den Menschen vor allem Angst vermittele. „Meine Eltern sind Muslime“, sagt Azizi. „Aber ich habe dort keinen Glauben gehabt – auch wenn ich tief in mir wusste, dass es einen Gott gibt: Hier in der Kirche habe ich ihn gefunden.“
Für die Iraner ist der Wechsel des Glaubens in Deutschland deswegen auch ein Bruch mit ihrer Heimat. „Es ist Freiheit“, sagt Amirhossein T. In Steilshoop haben sich mittlerweile zahlreiche Iraner und Afghanen taufen lassen. „Unsere Gemeinde ist schon seit vielen Jahren interkulturell unterwegs“, sagt Pastor Holzbauer. Man kümmere sich um Flüchtlinge, biete Integrationskurse an. Die Iraner seien vor allem durch Mundpropaganda in die Gemeinde gekommen, gezielt um sie geworben habe niemand. „Wer sich bei uns taufen lassen will, muss vorher mindestens ein halbes Jahr einen Glaubenskurs besuchen“, sagt Holzbauer. Darin geht es um die Grundlagen des christlichen Glaubens und das Gemeindeleben. „Die Menschen sollen wissen, worauf sie sich einlassen, und auch in aller Freiheit überlegen können, ob sie wirklich Christen werden wollen“, sagt Holzbauer. „Eine schnelle Taufe gibt es bei uns nicht.“
„Für unsere Gemeinde ist das schon ein neues Phänomen“, sagt Jürgen Seemann. Der Steilshooper kennt die Gemeinde seit 23 Jahren. Auch früher gab es schon eine rege Flüchtlingsarbeit. Aber die Iraner seien die Ersten, die sich in relevanten Größenordnungen taufen ließen. „Sie helfen in der Gemeinde mit, bringen sich ein, wo immer sie können“, sagt Seemann. „Natürlich gibt es da Sprachprobleme, aber sie bemühen sich.“ Doch es war nicht immer so einfach: „Es ist schon eine Umstellung, wenn da auf einmal 30 oder 40 teils deutlich jüngere Leute mehr im Gottesdienst sitzen und die Bibel nicht nur auf Deutsch, sondern auch auf Persisch gelesen wird“, sagt Holzbauer. Dazu kommt, dass sich die Gemeinde seit Jahren auch im interreligiösen Dialog engagiert. „Die Moscheegemeinde hier ist unser Partner in der Stadtteilarbeit“, sagt Holzbauer. Dass die Christen Konvertiten taufen, hätten die islamischen Gemeinden akzeptiert. „Die Iraner, die zu uns kommen, haben mit dem Islam ja abgeschlossen“, sagt Holzbauer. Anders herum ist es nicht so einfach. „Unsere neuen Gemeindeglieder sind von der Art, in der diese Religion im Iran gelebt wird, traumatisiert – es ist nicht ganz einfach, ihnen zu vermitteln, dass es auch liberale Moscheegemeinden gibt, mit denen man zusammenarbeiten kann.“
Und dann ist da das Asylthema. Azizi lebt schon seit neun Jahren in Deutschland. Er ist anerkannter Flüchtling, ob er zum Christentum konvertiert oder nicht, spielt für seinen Aufenthaltsstatus keine Rolle. Bei den beiden anderen Täuflingen vom dritten Advent sieht das anders aus: Sie sind noch mitten im Verfahren oder sogar abgelehnt – Mehrad G. wartet auf die erste Verhandlung vor dem Hamburger Verwaltungsgericht. Pastor Holzbauer wird ihn dann vor Gericht begleiten, wie schon bei mehr als 20 anderen. „Früher sind die Verfahren oft positiv ausgegangen“, sagt Holzbauer. Heute erkennten das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und die Verwaltungsgerichte „die Konversion zum Christentum oft nicht mehr als Abschiebehindernis an – obwohl im Iran beispielsweise Konvertiten die Todesstrafe wegen Apostasie droht“. Befragern und Interviewern des Bundesamtes fehle es oft an Grundwissen über das Christentum. Dolmetscher seien nicht in der Lage, religiöse Begriffe korrekt zu übersetzen.
Die Flüchtlingsbeauftragte der Nordkirche, Pastorin Dietlind Jochims, kennt solche Situationen ebenfalls. „Die Konversion wird oft als ein Schutzgrund im Asylverfahren geltend gemacht“, sagt Jochims. „Dann ist es Aufgabe der Gemeinden, klar und deutlich zu bezeugen, dass jemand zur Gemeinde gehört.“ Natürlich gebe es auch Fälle, in denen sich Flüchtlinge nur wegen des Asylverfahrens taufen lassen. Aber in der weit überwiegenden Mehrzahl wollten die Menschen wirklich Christen werden. „Gerade unter den Iranern finden sich einige, die schon im Iran mit dort illegalen christlichen Gemeinden in Kontakt waren“, sagt Jochims. Aus Angst vor Verfolgung hätten sie dort nicht gewagt, ihren Glauben zu wechseln.
Dass auch die Taufe in Deutschland nicht vor der Abschiebung in den Iran schützt, ist eine Erfahrung, die auch die Flüchtlingsbeauftragte der Nordkirche schon machen musste. „Eine Iranerin, die in Mecklenburg-Vorpommern getauft und dann nach Teheran abgeschoben wurde, wurde unmittelbar nach ihrer Wiedereinreise am Flughafen festgenommen“, sagt Jochims. Familienangehörige in Deutschland stünden mit der Frau in Kontakt: Mittlerweile sei sie wieder auf freiem Fuß, werde aber von staatlichen Behörden genau überwacht.
Auch in der katholischen Kirche
Taufen von Asylbewerbern mit muslimischem Hintergrund gibt es auch in der katholischen Kirche. „Wir gehen davon aus, dass es sich um ein Phänomen im niedrigen dreistelligen Bereich handelt“, sagt Ulrich Pöner, Leiter des Bereichs Weltkirche und Migration in der katholischen Deutschen Bischofskonferenz. „Es ist nicht so stark wie bei den Protestanten, aber es ist vorhanden.“
Allerdings ist es im Vergleich auch nicht so einfach, sich katholisch taufen zu lassen: Denn das Kirchenrecht schreibt vor der Erwachsenentaufe einen Katechumenat vor, der in der Regel mindestens ein Jahr, manchmal sogar zwei Jahre andauert. Und diese Regeln werden von den katholischen Gemeinden in Deutschland auch ganz überwiegend beachtet. In den Taufkursen wird dann – wie bei den deutschen Taufbewerbern – natürlich nicht nur über den Glauben gesprochen. Auch die soziale Situation der Taufbewerber kommt ganz automatisch in den Gesprächen vor, und die Menschen integrieren sich in die Gemeinde. „Wenn sich eine Person aus einem islamischen Land taufen lässt, muss sie sich auch über die damit verbundenen Probleme im Klaren sein“, sagt Pöner. „Und es muss klar sein, dass die Taufe am Ende eines Weges steht, auf dem man frei von Druck zu einer neuen Glaubensüberzeugung gekommen ist.“
Doch auch im katholischen Bereich sind Flüchtlinge, die sich taufen lassen, von Abschiebungen bedroht. Ein prominenter Fall hat es im vergangenen Jahr in die Medien geschafft: Ein Mann, der sich in der Diözese Augsburg taufen ließ, kam in Bayern in Abschiebehaft, weil ihm das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und das zuständige Verwaltungsgericht nicht glaubten, dass es ihm mit seinem Glaubenswechsel ernst war. Nur dank des Einsatzes unter anderem des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes gelang es, den Mann aus der Abschiebehaft frei zu bekommen. „Vor zwei oder drei Jahren waren die Probleme von Konvertiten im Asylverfahren aber noch schlimmer“, sagt Pöner. Damals habe es durchaus Befragungen gegeben, die faktisch auf Glaubensprüfungen durch die Behörden hinausliefen. „Wir erkennen ein Bemühen der Behörden, das eigene Handeln zu verändern“, sagt Pöner. Für die Konversionsfälle sei die Qualitätssicherung des BAMF hinzugezogen worden. Die Behörde habe versucht, die Probleme in den Griff zu bekommen. „Es bleibt aber ein schwieriger Gegenstand.“
Bedford-Strohm kritisiert Bundesamt für Migration
So sieht das auch der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm. Er kritisiert schon lange den Umgang des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge und der Verwaltungsgerichte mit konvertierten Iranern und Afghanen. Von Gerichten und dem BAMF werde „häufig aus kirchlicherseits nicht nachvollziehbaren Gründen die Ernsthaftigkeit des Glaubenswechsels bezweifelt und auf dieser Basis eine Ablehnung ausgesprochen“. Nicht selten betreffe das Personen, die Pfarrern und Gemeinden gut bekannt sind. „Menschen, die sich engagieren und die glaubwürdig Zeugnis ablegen von ihrem Glauben“, so der EKD-Ratsvorsitzende. „Ob die Voraussetzungen für die Taufe vorliegen und damit auch die Ernsthaftigkeit des Taufbegehrens, kann aber nicht der Staat oder ein Gericht beurteilen.“ Das zu beurteilen, sei einzig Sache der Kirche.
„Wir brauchen dringend eine Lösung für den Umgang mit zum Christentum konvertierten Muslimen, die als Geflüchtete zu uns kommen“, sagte Bedford-Strohm. „Wir brauchen eine Lösung, die anerkennt, welcher Gefahr sie ausgesetzt werden, wenn sie in Länder wie Afghanistan und Iran abgeschoben werden, in denen eine solche Konversion zu massiven, auch innerfamiliären Anfeindungen oder Bedrohungen und möglicherweise auch staatlicher Verfolgung führt.“ Dafür werde sich die Kirche auch auf Bundesebene künftig weiter einsetzen.