Die Ausführungen des Linzer Moraltheologen Michael Rosenberger haben einen direkten aktuellen Bezug: Die Bemühungen der katholischen Kirche um einen angemessenen Umgang mit der Missbrauchskrise angesichts des „Scherbenhaufens“, vor dem sie gegenwärtig stehe. Sie müsse erkennen, dass weder ihre Theologie noch ihre seelsorglichen Angebote auch nur ansatzweise in der Lage seien, „die schwere Schuld in den eigenen Reihen zu bewältigen, den Opfern wirksam zu helfen und die TäterInnen zu echter Reue und Umkehr zu bewegen“. Der weitere Kontext des Buchs ist die unleugbare Krise der kirchlichen Versöhnungsangebote, vor allem der Beichte. Das letzte Kapitel macht denn auch Vorschläge für eine Verortung des Bußsakraments im Rahmen einer neuen „Versöhnungskompetenz der Kirche“, bis hin zu einer „strukturellen Qualitätssicherung der Beichte“, zu der auch eine regelmäßige Evaluation gehöre.
Zuvor handelt Rosenberger von den Dimensionen der Schuld, wobei er ein besonderes Augenmerk auf die Frage der sündigen Kirche richtet, und entfaltet das Thema der Strafe im weltlichen wie im kirchlichen Recht. Weitere Überlegungen gelten dem Verhältnis von Barmherzigkeit und Gerechtigkeit sowie Beispielen für kollektive Versöhnungsprozesse (Deutschland nach 1945, Südafrika nach der Apartheid und Ruanda nach dem Völkermord von 1994).
Das Buch ist insgesamt ein Plädoyer dafür, Schuld und Vergebung in ihren Facetten als gesellschaftlich-kulturelle Phänomene ernst zu nehmen (so wendet sich Rosenberger gegen die Rede von einem „Unschuldswahn“ der Moderne, die sachlich unzutreffend und pastoral unfruchtbar sei) und genauso für eine selbstkritische Ehrlichkeit von Kirche und Theologie, aber auch für eine Neuentdeckung der eigenen Potenziale im Umgang mit Schuld und für die Gestaltung von Versöhnungsprozessen. Es sei eine große theologische und pastorale Herausforderung, die Kompetenz des Vermittelns von Vergebung wiederzugewinnen. Der Baum des kirchlichen Versöhnungsdienstes müsse neu zugeschnitten werden, damit er neu austreiben und Blüten hervorbringen könne. Dem ist nichts hinzuzufügen!
Ulrich Ruh