Einmal kam eine Tante aus Paderborn zu Besuch nach Torgelow und brachte eine Kinderbibel mit in den tiefen Osten. Das bunte Buch sei dann zwar vorgelesen worden, sagt Philipp Amthor, doch sei das weitgehend ohne Folgen geblieben. Nun, kurz vor Weihnachten, hat sich der 27-jährige Bundestagsabgeordnete und CDU-Nachwuchsstar in Berlin in der Akademiekirche St. Thomas von Aquin taufen lassen und damit für mediale Aufmerksamkeit gesorgt. Der konservative Jung-Politiker, der auch noch katholisch wird, ist das ein Missverständnis oder ein PR-Gag? „Nein, meine Taufe war eine ganz bewusste Entscheidung und das Ergebnis einer intensiven Suche“, sagt Amthor.
Wie unterschiedlich Paderborn und Ueckermünde auch nach dem Ende der DDR noch sind und wie unterschiedlich Biografien noch heute verlaufen, das lässt sich an seinem Beispiel betrachten. Amthor ist gänzlich ohne Religion aufgewachsen. Er spricht von einer „wertebasierten Erziehung“, doch Gott kam nicht vor, nirgends, weder zu Hause, noch in der Schule. Seine Großmutter sei noch katholisch gewesen, seine Mutter schon nicht mehr getauft. Ein Schüler in seiner Klasse ging zur Firmung, das fiel auf, ein paar andere zur Konfirmation, damals war das, also so ungefähr 2004! Fast alle anderen machten die Jugendweihe mit, auch Amthor. Jugendweihe, das klingt im politischen Berlin nach DDR, nach Linkspartei, nach Ideologie. „Das war es bei uns nicht“, sagt Amthor, „Jugendweihe, das war das, was eigentlich alle machten.“ Und der CDU-Landrat hielt die Ansprache. „Werte hatten bei uns nicht zwangsläufig einen religiösen Begründungszusammenhang.“ Doch dies sei keineswegs als Defizit empfunden worden. „Man darf sich das Aufwachsen in den überwiegend säkular gewordenen Gegenden Ostdeutschlands nicht so vorstellen, als ob die abwesende Gottesvorstellung zwingend eine persönlich wahrnehmbare Leerstelle hinterlassen würde , erklärt Amthor. „Es war alles normal, weil es kaum einer anders kannte.“Kirchen gehörten allenfalls zum Kulturprogramm beim Familienurlaub, das war’s.
Im Bundestag ist Amthor aufgefallen durch sein offensives Auftreten und rhetorisch geschicktes Agieren gegen die AfD, auch sein jungenhaftes Aussehen und sein etwas steifes Gebaren sind zum Markenzeichen geworden. Online hat er inzwischen zahlreiche Fans weit über Ostvorpommern hinaus. Dort, am nordöstlichen Ende der Republik, wo das polnische Stettin vor der Tür und Berlin 160 Kilometer entfernt liegt, war das Engagement in der CDU für Philipp Amthor die Abwechslung im Alltag. Der erste Gottesdienst, an den er sich bewusst erinnern kann, ist eine ökumenische Feier vor einem CDU-Landesparteitag. Ein Freund hatte ihn mitgenommen. Da war er 17 Jahre alt. Seine Suche begann.
Ein Bekehrungserlebnis gab es nicht. Die Beschäftigung mit Gott begann im Kopf. Auch das Beispiel seines katholischen Freundes habe ihm viel gegeben. Glaube mache demütig, hat er beobachtet, bei Rückschlägen gebe er Halt über den Alltag hinaus. Für einen rationalen Menschen wie ihn sei zunächst der intellektuelle Zugang wichtig gewesen. Joseph Ratzingers Buch „Einführung ins Christentum“ hatte ihm ein Priester in Berlin empfohlen, der ihn begleitet hat. Am Ende ging es ihm nicht mehr um den fehlenden Begründungsrahmen für seine Werte. Heute ist es die Transzendenz, die ihn nicht loslässt, die Gottesfrage. Deswegen findet für ihn der Glaube nun nicht mehr nur in den Büchern statt, sondern mehr in der Heiligen Messe. Amthor lobt die „Regelhaftigkeit“ des Katholizismus. „In der evangelischen Kirche fiel es mir immer schwer, zu erkennen, was ‚Kirche‘ nun eigentlich bedeuten soll.“ Kirche sei für ihn auch der faszinierende Überbau aus Ordnungen und Lehren.
Doch nun, einmal eingetreten in die katholische Kirche, nimmt Amthor sich doch die Freiheit eines Christenmenschen heraus. Zuletzt stimmte er im Bundestag für die Widerspruchslösung bei der Organspende, was nun seine Kirche strickt ablehnt. Und auch etwa in der Flüchtlingspolitik steht er konträr zu manchen kirchlichen Positionierungen. „Es geht für mich nicht ohne die eigene ganz persönliche Aneignung des Glaubens, wozu für mich auch eine persönliche Reflexion von Katechismus und Lehre gehört“, sagt Amthor. Für den Katholizismus habe er sich auch entschieden, weil er Auseinandersetzung erfordert, sagt er.