Bei aller Notwendigkeit kirchlicher Reformschritte liegt auf der Hand, dass damit nicht die offensichtlichen Plausibilitätsverluste des Glaubens und der Rückgang eines religiösen Selbstverständnisses ohne Weiteres überwunden werden können. Der Theologe und Publizist Norbert Reck ist vor diesem Hintergrund davon überzeugt, dass es eine grundlegenden Revision christlicher Theologie, Spiritualität und Praxis braucht. Der Autor, seit langem im christlich-jüdischen Gespräch engagiert, fordert dazu auf, ernster zu nehmen, dass der Jude Jesus von Nazareth von seinem Glauben her verstanden werden müsse.
Letztlich habe sich die christliche Theologie im Laufe der Geschichte von ihren Ursprüngen wegbewegt und sei dadurch in eine Sackgasse geraten, die das Schwinden von Religiosität innerhalb dieser Weltreligion zur Folge habe. Die Frage sei, ob sie noch die richtigen Antworten auf die Fragen der Menschen habe – und zwar gerade nicht im Sinne einer geschmeidigeren Anpassung an den Zeitgeist. Vor allem in der Moderne habe man die jüdische Identität Jesu abgeblendet. In der Nachaufklärungszeit habe man etwa Jesus dezidiert als Juden verstanden, der sich vom Judentum absetzt. Damit habe man sich aber auch vom geschichtlichen Denken dieser Religion abgeschnitten – und etwa von „übernatürlichen Glaubenstatsachen“ gesprochen, deren Blutleere heute zum Problem werden. Stattdessen brauche es eine bessere Bibelhermeneutik, mehr narrative Theologie und ein entspannteres Verhältnis zur Vielfalt der Gotteszeugnisse. Reck greift dabei an entscheidenden Stellen seiner Argumentation neben seinen methodischen Anleihen bei Michel Foucault auf die Thesen der neuen politischen Theologie, vor allem des kürzlich verstorbenen Johannes Baptist Metz, zurück.
Reck will mit seinem Essay erklärtermaßen keinen ausgearbeiteten Ansatz vorlegen, sondern vor allem einen Denkanstoß geben. Das ist ihm in besonderem Maße gelungen. Stefan Orth