Véronique Olmis Roman „Bakhita“Auch eine Josefsgeschichte

„Bakhita“ wurde in Frankreich mit dem Prix du Roman FNAC ausgezeichnet.
„Bakhita“ wurde in Frankreich mit dem Prix du Roman FNAC ausgezeichnet.

In weiten Teilen ist die Grausamkeit, die in diesem Roman beschrieben wird, nicht auszuhalten: Ende des 19. Jahrhunderts wird ein etwa siebenjähriges Mädchen wie so viele andere zu dieser Zeit aus einem Dorf im Sudan entführt und in den folgenden Jahren mehrmals auf verschiedenen Sklavenmärkten verkauft. Sie dient unterschiedlichen Herren, wird Zeugin fürchterlicher Bestialitäten gegenüber anderen Sklaven, muss singen, tanzen, sich zum Affen machen, harte körperliche Arbeit verrichten, wird regelmäßig bis zur Besinnungslosigkeit geschlagen und vergewaltigt.

In ihrem jüngsten Roman beschreibt die französische Schriftstellerin und Dramatikerin Véronique Olmi die Lebensgeschichte der Heiligen Josefine Bakhita (Hamburg 2019). Wenn man die erste Hälfte des Romans emotional überstanden hat, meint man aufatmen zu können. Denn ihr Weg führt Bakhita über den italienischen Konsul Callisto Legnani in dessen Heimat – und damit in die Freiheit. Das hofft man zumindest. Doch Bakhita, inzwischen eine junge Frau, untersteht dort einer Familie, welcher der Konsul sie „als Geschenk“ gab. Sie bleibt Sklavin und ohne persönliche Rechte. Zudem schockiert ihre schwarze Haut anfangs fast alle Menschen, sie begaffen die Sudanesin, berühren sie, um zu sehen, ob „die schwarze Farbe abgeht“, oder halten sie gar für den Teufel in Person. Und Bakhita selbst, von ihrer „Herrin“ als deren „Eigentum“ betrachtet, kann die über Jahre eingeprügelte Haltung des unterwürfigen Sklaven nicht ablegen.

Erst nach einem Aufenthalt bei Ordensschwestern in Venedig wegen einer längeren Geschäftsreise ihrer italienischen Herren ans Rote Meer sagt Bakhita „Nein“ zur Sklaverei. Sie lässt sich taufen, setzt vor Gericht (!) durch, bei den Schwestern zu bleiben, und tritt schließlich in den Orden ein. Und obwohl sie sich dieses Mal frei entschieden hat, heißt es auch hier wieder, gehorsam zu sein: Sie wird versetzt, muss immer wieder Abschied nehmen von den Menschen, die ihr ans Herz gewachsen sind, und wird schließlich als alte schwarze Frau durch das faschistische Italien geschickt, um Spenden für die Mission in Afrika zu sammeln. Während ihres ganzen Lebens bewahrt sie sich ihre Hoffnung, sie erträgt ihr Leiden, setzt sich für die Armen – besonders die Kinder – ein, denen es im reichen Italien genauso schlecht geht wie den Armen im Sudan. Es ist die Sehnsucht nach ihrer Mutter, die sie immer von Kindern umgeben erinnert und die sie schmerzlich vermisst, die sie schließlich zur Gottesmutter und sie selbst zur Heiligkeit führte.

Josefine Bakhitas Geschichte ist auch eine Josefsgeschichte: Während der alttestamentliche, als schön beschriebene Stammvater aus Neid von seinen Brüdern verkauft wird, sind es bei dem schönen kleinen Mädchen Männer des Nachbardorfes, die aus Profitgier handeln. Beide – Josefine und Josef – sind begehrte Gesprächspartner und finden Lösungen in ausweglosen Situationen. Bei beiden wird etwas wie eine moralische Vollkommenheit beschrieben. Josef träumt, Josefine Bakhita hat Intuitionen, wie er ist sie zäh, wie bei ihm wandelt sich ihr Schicksal letztlich zum Guten. „Ihr habt Böses gegen mich im Sinn gehabt, Gott aber hatte dabei Gutes im Sinn, um zu erreichen, was heute geschieht: viel Volk am Leben zu erhalten“, sagt Josef zu seinen Brüdern vor seinem Tod. Als Josefine Bakhita am 2. Februar 1947 starb, zog eine endlose Prozession an ihrem Leichnam vorbei, um la nostra madre moretta zu sehen. 1992 wurde sie von Johannes Paul II. selig gesprochen und 1995 von ihm zur Schutzheiligen des Sudan erklärt. Ihre Heiligsprechung erfolgte im Jahr 2000.

Eindrucksvoll und sehr empathisch zeichnet Olmi diese Lebensgeschichte der Hingabe nach, für die sie mehrere Versionen von Bakhitas offizieller Biografie las und in Italien vor Ort recherchierte. In Schio, wo Josefine Bakhita starb, erinnern sich die alten Schwestern bis heute an die Heilige. Sie habe das Buch nach den Anschlägen auf den Pariser Club Bataclan geschrieben, um zu verstehen, wie Bakhita in der Unmenschlichkeit ihre Menschlichkeit bewahren konnte, sagte Olmi gegenüber der französischen Tageszeitung „La Croix“. „Wenn das Buch heute so gut aufgenommen wird, dann heißt das, dass wir Helden des Alltags brauchen, lichtvolle Gestalten wie Bakhita, die uns mitreißen und uns den Atem rauben.“ Das ist der Autorin gelungen: Der Roman ist eine einzigartige Geschichte der Hoffnung gegen alle menschlichen Grausamkeiten. Julia-Maria Drevon

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