Beim Thema Freundschaft dürfte so gut wie jeder mitreden können; wer könnte hier nicht auf positiv oder negativ konnotierte Erfahrungen zurückgreifen? Aber gerade deshalb kann es lohnend sein, wenn jemand genauer hinschaut und einen Durchblick zu den verschiedenen Facetten und Aspekte von Freundschaft versucht.
Joachim Negel, Fundamentaltheologe in Fribourg, hat das jetzt in diesem durchweg klugen, sensiblen und kenntnisreichen Buch unternommen (Joachim Negel: Freundschaft. Von der Vielfalt und Tiefe einer Lebensform.Verlag Herder, Freiburg 2019, 533 S. 45,00 €). Er tut es als Theologe, aber als einer mit breitem Horizont und auch mit klarem Blick für die Wirklichkeit, in der sich Freundschaft heute abspielt und abspielen muss.
Er setzt nach einem „Bilderreigen“, der Deutung von Freundschaftsdarstellungen verschiedenster Provenienz, mit Klärungen zum Verhältnis von Philosophie und Freundschaft und zu griechischen, jüdischen und christlichen Hintergründen des Begriffs Freundschaft ein. Dann entfaltet er Dimensionen der menschlichen Freundschaft, von „Freundschaft in der Jugend, Freundschaft im Alter“ bis zu „Ehe als Freundschaft“ und homoerotischen Freundschaftsbeziehungen. Er plädiert im letzteren Fall übrigens dafür, „endlich auch kirchlicherseits Institutionen eines religiös gepflegten Homoerotismus zu schaffen“. Ein nächster Schritt gilt dann religiösen Erscheinungsformen von Freundschaft, so der geistlichen Freundschaft, der Freundschaft mit Gott und dem Befreundetsein mit Jesus, wobei er einräumt, in Westeuropa sei innige Jesusverliebtheit derzeit kaum das vorrangige Markenzeichen der christlichen Kirchen.
Negel stellt diese religiösen Phänomene mit nüchterner Sympathie an „klassischen“ Texten und Beispielen nicht zuletzt aus der mystischen Tradition dar und wirbt dafür, sie gerade in ihrer Fremdheit und Exaltiertheit ernst zu nehmen. Die „Trinität als Inbild theandrischer Freundschaft“ dürfte allerdings für manch einen kaum noch erschwinglich sein. Da tut das Kapitel „Freundschaft als Nachreligion“ gut, in dem er Songtexte aus den Siebzigerjahren des letzten Jahrhunderts analysiert, „große Freundschaftshymnen“ wie „Bridge over Troubled Water“ oder „Let It Be“. Das Buch ist im guten Sinn eine Herausforderung; man kann auch als säkular orientierter Mensch über Freundschaft daraus viel lernen, auch wenn das eine oder andere Kapitel schwere Kost bleibt. Ulrich Ruh