Anfang Juli hat das Zukunftsteam der EKD, dessen Mitglied Sie sind, „elf Leitsätze für eine aufgeschlossene Kirche“ veröffentlicht, um Reformen in der evangelischen Kirche anzustoßen. Was ist die Hauptzielsetzung der Vorschläge? Einerseits geht es um den Anspruch öffentlicher Theologie, andererseits gibt es eine Reihe von Empfehlungen, die man als Rückzug interpretieren kann: sich in gesellschaftlichen Debatten stärker beschränken, die Zahl der Gremien reduzieren, Strukturen abbauen …
Bedford-Strohm: Das ist in keinster Weise ein Widerspruch. Der Öffentlichkeitsanspruch wird nicht aufgegeben. Es geht allerdings darum, sich genau zu überlegen, zu welchen Themen wir als Kirche bei welchen Gelegenheiten etwas sagen. Einerseits müssen wir aus der geistlichen Kraft unseres Glaubens öffentlich Stellung beziehen und uns in die Politik einmischen. Da wird kein Jota zurückgenommen werden. Es ist andererseits durchaus die Frage, in welcher Detailtiefe wir uns äußern. Natürlich wollen wir uns auch weiterhin an ein Fachpublikum wenden. Aber wichtiger ist, dass wir als Kirche – und das ist vielleicht in der Vergangenheit nicht immer gelungen – deutlich machen, dass wir nicht aufgrund politischer Diskutierlust uns zu Themen zu Wort melden, sondern weil wir aufgrund unseres christlichen Glaubens geistlich motiviert sind. Es gibt keinen Glauben ohne den Einsatz für Gerechtigkeit.
Es geht den elf Leitsätzen aber beispielsweise auch stark darum, das Zusammengehörigkeitsgefühl zu fördern und etwa bei der Bildungsarbeit die eigenen Kirchenmitglieder als Adressaten mehr in den Blick zu nehmen.
Bedford-Strohm: Auch da darf man das eine nicht gegen das andere ausspielen. Es muss elementar darum gehen, dass wir unser Glaubenswissen stärken. Als Menschen, die sich als Christen verstehen und Mitglieder der Kirche sind, sind wir in der Summe zu wenig auskunftsfähig darüber, was wir glauben und warum wir es glauben. Viel zu viele sind überfordert, wenn sie beispielsweise gefragt werden, was der Glaube an den dreieinigen Gott meint. Muslime haben mir gegenüber einmal ihre Verwunderung zum Ausdruck gebracht, dass Christen ihnen nicht erläutern könnten, was Trinität eigentlich bedeutet. Jeder sollte jedoch erklären können, warum der christliche Glaube Lebensmut schenkt und von Todesfurcht befreit. Das muss eine Selbstverständlichkeit im kirchlichen Leben werden. Man darf das dann aber wiederum nicht gegen das Engagement ausspielen, das sich gerade aus dieser Frömmigkeit speist. Das geht hin bis zur Seenotrettung von Flüchtlingen im Mittelmeer.
Ist das der Schlüssel, um gegen die 2019 erneut massiv gestiegene Zahl an Kirchenaustritten auch aus der evangelischen Kirche vorzugehen?
Bedford-Strohm: Ein kraftvoller Glaube und das daraus erwachsende Engagement für die Welt ist jedenfalls eine wichtige Antwort mit Blick auf die Faktoren, die wir als Kirche beeinflussen können und auf die wir viel mehr Energie verwenden müssen. Die Kirchenaustrittszahlen sind daneben auch eine Konsequenz aus vielen Jahrzehnten gesellschaftlicher Individualisierung. Das ist ein gesellschaftlicher Megatrend, den wir als Kirchen gar nicht oder nur sehr bedingt beeinflussen können. Viele waren früher einfach deshalb Mitglied der Kirche, weil es selbstverständlich war und sich gehörte. Während die Kirchenmitgliedschaft früher sogar mit sozialem Zwang verbunden sein konnte, man seinen Eltern oder Großeltern einen Austritt nicht zumuten wollte, auch wenn man den Kontakt zur Kirche verloren hatte, ist es heute eher umgekehrt. Heute müssen sich gerade junge Leute manchmal schon eher dafür rechtfertigen, dass sie in der Kirche sind. Heute schließen sich die Menschen aus Freiheit Gemeinschaften an. Das ist eine komplett andere gesellschaftliche Situation. Dass weiterhin 43 Millionen Menschen in Deutschland Mitglied der beiden großen Kirchen sind, ist da etwas ganz Starkes. Und wenn es, wie prognostiziert, 2060 noch 20 Millionen Kirchenmitglieder in Deutschland geben wird, ist das angesichts erodierender Institutionen immer noch sehr, sehr viel. Deshalb sollten wir alten Zeiten nicht nachtrauern, sondern tun, was in unserer Macht steht, damit die Kraft des christlichen Glaubens sich neu erschließen kann. Das ist die Aufgabe heute. Darum geht es in dem jetzt vorgestellten Papier: um eine Kirche, die ihre eigenen Grenzen überschreitet und die frohe Botschaft des Evangeliums in die Breite der Gesellschaft hineinträgt.
Haben die Kirchen denn die richtigen Antworten auf die Fragen?
Bedford-Strohm: Die Bibel gibt hier sehr viele Antworten. Dankbar leben lernen, Vergeben lernen, im Hier und Jetzt leben anstatt in der Sorge um die Zukunft, überhaupt aus der Zuversicht leben, auf die sozialen Beziehungen achten: Glücksforscher identifizieren gerade diese Themen, zu denen die Bibel Starkes zu sagen hat, als die heute besonders entscheidenden. Die verheißungsvollen Zusagen der biblischen Texte im Hinblick auf diese Themen deutlich zu machen, ist eine anspruchsvolle, aber entscheidend wichtige Aufgabe für uns.
Die katholische Kirche ist in vielem in einer ganz ähnlichen Situation, ihr Reformprozess im sogenannten „Synodalen Weg“ setzt ganz andere Akzente. Wo sehen Sie die Gemeinsamkeiten?
Bedford-Strohm: Natürlich verfolge ich den Synodalen Weg mit großer Sympathie – zumal schon in der Bezeichnung ein Begriff steckt, der für uns Evangelische charakteristisch ist. Als Landesbischof bin ich von der Landessynode gewählt, als Ratsvorsitzender von der Synode der EKD. Das gemeinsame Beraten ist etwas, das uns Protestanten sehr wichtig ist. Ich habe hohen Respekt und auch Bewunderung dafür, wie man in der katholischen Kirche aufbricht – und dass alle Beteiligten auch jenseits ihres kirchlichen Status gleichberechtigte Diskursteilnehmer sind. Darüber freue ich mich und hoffe sehr, dass das zu guten Ergebnissen führt. In den Gesprächen mit den katholischen Schwestern und Brüdern wird ja immer wieder deutlich, dass wir auf gemeinsame Herausforderungen auch gemeinsame Antworten finden müssen. Deshalb müssen wir jenseits aller konfessionellen Interessen verstehen, dass heute nicht mehr die Frage ist, ob jemand katholisch oder evangelisch ist, sondern ob er oder sie Zugang zur wunderbaren Botschaft des Evangeliums bekommt. Wir müssen gemeinsam bezeugen, dass Christus der Grund unseres Glaubens und unserer Kirche ist und nicht die Traditionen unserer Institutionen. Dies haben wir im Reformationsjubiläumsjahr 2017 in hervorragender Weise gemeinsam zum Ausdruck gebracht.
Und was ist vom Jahr 2017, was ist von seinem ökumenischen Geist geblieben?
Bedford-Strohm: Das Reformationsjubiläum hat uns eine Menge an neuen Einsichten vermittelt. Wir haben gute Erfahrungen damit gemacht, wenn wir rausgegangen sind, etwa mit Museen und Theatern kooperiert haben, in Rathäusern und auf Marktplätzen Veranstaltungen stattfinden konnten. Dort sind die Dinge besonders gut gelungen. Das ist eine Erkenntnis, die für unser Papier ein wichtiger Ausgangspunkt war. Wir müssen eine Kirche nahe bei den Menschen sein, auch für die, die den Weg nicht in die Kirche finden. Das ist auch ein gemeinsames ökumenisches Anliegen. Aber eben gerade auch mit Blick auf die Ökumene haben wir das Ziel erreicht, um das es uns von Anfang gegangen ist: nach 500 Jahren erstmals ein Reformationsjubiläum so zu begehen, dass wir als Protestanten uns nicht dadurch profilieren, dass wir uns von Katholiken abgrenzen. Es sollte bei der Gestaltung des Jubiläums um den gehen, um den es Martin Luther auch gegangen ist: Jesus Christus. Das konnten wir nur gemeinsam tun. Paulus fragt doch mit Recht: Ist Christus etwa zerteilt? Vor allem der bewegende Healing-of-Memories-Gottesdienst in Hildesheim hat uns beiden großen Kirchen viel Kraft gegeben und uns innerlich zusammengeführt. Das lässt sich nicht mehr rückgängig machen. Das ist die Basis dafür, dass uns auch in Zeiten mit schwierigeren Momenten keiner mehr auseinanderbringt.
Ist es nicht in den vergangenen zwei Jahren deutlich ruhiger geworden in der Ökumene?
Bedford-Strohm: Man muss unterscheiden zwischen dem, was sich in den Zeitungen niederschlägt und was sich vor Ort abspielt. Die Schlagzeilen sind vornehmlich geprägt vom Spektakulären, vor allem negative Schlagzeilen bringen bekanntlich die Klicks. Das hat zur Konsequenz, dass die Normalität von Ökumene in der Berichterstattung deutlich weniger vorkommt. Wenn ich in den Gemeinden unterwegs bin, höre ich sehr oft, dass das Jahr 2017 einen großen Unterschied gemacht hat. Für viele ist Ökumene jetzt in einem ganz anderen Maße Normalität als vorher – auch wenn die Berichte darüber allenfalls in der Lokal- oder Regionalzeitung stehen: Hier hat sich viel verändert.
Und die Misstöne, etwa mit Blick auf die Frage nach dem Kommunionempfang von nicht-katholischen Partnern in konfessionsverbindenden Ehen...?
Bedford-Strohm: Ich bin sehr dankbar, dass am Ende der Diskussion, als mancher schon gesagt hat, dass dieser Vorstoß gescheitert sei, die Handreichung der deutschen Bischöfe zum Kommunionempfang nicht-katholischer Ehepartner doch veröffentlicht worden ist, nachdem Papst Franziskus sie befürwortet hat. Trotz aller kirchenrechtlichen Verrenkungen kommt dort der klare Wille zum Ausdruck, dass Ehepartner willkommen sind, wenn sie ihr Gewissen geprüft haben – und sie deshalb dann auch guten Gewissens zur Kommunion gehen können. Das ist ein klarer Fortschritt gegenüber den Debatten, die wir vorher hatten. Ein weiterer wichtiger Schritt ist das Papier „Gemeinsam am Tisch des Herrn“ vom Ökumenischen Arbeitskreis evangelischer und katholischer Theologen.
Auch dieses Papier hat Diskussionen ausgelöst. Was ist aus Ihrer Sicht das Entscheidende?
Bedford-Strohm: Der bischöfliche Vorsitzende auf katholischer Seite war lange Zeit Kardinal Karl Lehmann. Heute ist es der neue Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing. Deshalb hatte und hat der Arbeitskreis hohes kirchenpolitisches Gewicht. Wenn jetzt diese Gruppe einen theologisch überzeugend grundierten Vorschlag macht, hat das eine ganz starke Bedeutung. Im Kern geht es darum, dass die wechselseitige Teilnahme am Abendmahl beziehungsweise der Eucharistie theologisch gut begründet ist und, wenn vom Gewissen geprüft, auch empfohlen werden kann.
Georg Bätzing hat sich mit Blick auf den Dritten Ökumenischen Kirchentag am Tag seiner Wahl zum Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz gleich deutlich zurückhaltender geäußert.
Bedford-Strohm: Selbstverständlich muss man fragen, wie man kirchenpolitisch damit umgeht, was das institutionell für die verfasste Kirche heißt. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz kann da nicht in gleicher Weise sprechen, wie es das Papier tut. Deshalb kann man gespannt sein, wie die Impulse in der Bischofskonferenz weiter aufgenommen werden – und wie sich das auswirkt auf den Ökumenischen Kirchentag in Frankfurt, von dem wir hoffen, dass er im kommenden Jahr einigermaßen so stattfinden kann, wie wir das gewohnt sind. Den markanten Fortschritt, den das Papier bedeutet, auch in der klaren biblischen Verwurzelung, mit der die Vielfalt der liturgischen Entwicklung schon in der Bibel deutlich gemacht wird, relativiert das nicht.
Ein Symbolbild für das ökumenische Miteinander während des Reformationsjubiläums war Ihr so häufiges gemeinsames Auftreten mit Kardinal Reinhard Marx. Ist das jetzt schwieriger geworden, weil der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz nicht mehr der Erzbischof von München und Freising aus der Nachbarschaft der bayerischen Landeshauptstadt ist, sondern in Limburg als Bischof wirkt?
Bedford-Strohm: Für unser bayerisches Zusammensein spielen die Veränderungen keine Rolle. Kardinal Marx und ich haben hier in Bayern vieles ökumenisch angestoßen und bleiben hier auch beide öffentlich sichtbar – was in der Corona-Zeit natürlich nur bedingt möglich gewesen ist. Wir haben eine gemeinsame Video-Andacht für Bild.de gemacht, die viel verbreitet worden ist. Und bundesweit sind wir als Evangelische ungemein dankbar, dass Bischof Georg Bätzing jetzt der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz ist. Natürlich kenne ich Kardinal Marx länger, aber ich kann hier jetzt nahtlos anschließen. Zwar hatten wir noch nicht so viele Gelegenheiten, uns persönlich zu erleben, aber dort, wo Bischof Bätzing und ich uns getroffen haben, wie beispielsweise am 8. Mai anlässlich des Gedenkgottesdienstes zum Ende des Zweiten Weltkriegs, hat es mir große Vorfreude auf alle weiteren Begegnungen gemacht. Und auf dem bisherigen Höhepunkt der Pandemie haben wir ein gemeinsames Wort zum Sonntag gesprochen, was es so bisher in dessen langer Geschichte noch nicht gegeben hat.
Was sind die nächsten ökumenischen Schritte, die geplant sind?
Bedford-Strohm: Ein wichtiger Aspekt, den wir im Kontaktgesprächskreis zwischen EKD und Bischofskonferenz vereinbart haben, sind die pastoralen Engagements, bei denen wir noch viel stärker ökumenisch arbeiten können: beispielsweise die Polizeiseelsorge. Auf allen Spezialseelsorgefelder könnte man mehr zusammenarbeiten oder sich auch hier und da einfach abwechseln. Vor Ort passiert da schon vieles. Das betrifft auch die Gebäudenutzung. Da geht es auch um Ressourcen und das Einsparen finanzieller Mittel angesichts der kommenden Entwicklungen bei den Steuereinnahmen. Aber vor allem ist das auch inhaltlich gewollt. In jedem Fall wollen wir beim Ökumenischen Kirchentag auch äußerlich sichtbar machen, dass wir gemeinsam arbeiten, wie Kardinal Marx und ich das in der Vergangenheit getan haben.
Was wird denn der Dritte Ökumenische Kirchentag über den ersten und den zweiten hinaus bringen?
Bedford-Strohm: Die neue Selbstverständlichkeit im ökumenischen Miteinander wird auch in den Gottesdiensten, in denen Menschen katholischen, evangelischen, orthodoxen Glaubens zusammen feiern, sichtbar werden. Im Hinblick auf die Möglichkeit einer gemeinsamen Mahlfeier wird es, wie ich vermute, viele Menschen geben, die das ernst nehmen, dass sie ihrem Gewissen gemäß auch in vollem Umfang an den Gottesdiensten der jeweils anderen teilnehmen – auch wenn es aller Voraussicht nach keinen offiziellen Aufruf zur wechselseitigen eucharistischen Gastfreundschaft geben wird. Vollkommen unabhängig davon wird es ein starkes Zeichen der Gläubigen sein, dass sie sich wechselseitig besuchen und damit zum Ausdruck bringen, dass sie gemeinsam Kirche Jesu Christi sind.
Was sagen Sie denen, die – wie zu erwarten ist – im Vorfeld Druck machen werden, dass es doch zu einem gemeinsamen Abendmahl, zumindest aber zur offiziell ausgesprochenen Einladung zur katholischen Eucharistiefeier kommt?
Bedford-Strohm: Ich habe immer gesagt, dass ich alles befördern möchte, was solche Prozesse des ökumenischen Fortschritts wirklich voranbringt. Aktionen, die letztlich vor allem Gegenreaktionen verursachen, weil sie den Konsens innerhalb der katholischen Bischofskonferenz eher bremsen als befördern, halte ich für kontraproduktiv. Deshalb ist mir auch sehr wichtig, wie wir über das Thema so reden, dass wir wirklich einen Geist der Gemeinsamkeit befördern. Dazu gehört auch die Frage, was wir Evangelische eigentlich tun können, um es der katholischen Kirche leichter zu machen.
Der für die Ökumene zuständige Kurienkardinal Kurt Koch hat ganz in diesem Sinne jüngst wieder einmal beklagt: „Woran ich manchmal leide, ist, dass in der Öffentlichkeit die Schwierigkeiten in der Ökumene immer bei der katholischen Kirche gesucht werden. Dabei wird leicht übersehen, dass Hindernisse in allen Kirchen existieren.“ Wo sehen Sie auf evangelischer Seite Handlungsbedarf?
Bedford-Strohm: Da sind der konkrete Umgang mit dem Abendmahl, aber auch das Amtsverständnis wichtige Punkte. Wir haben uns vorgenommen, auch unter uns Protestanten noch intensiver zu klären, wie wir die Verbindung von Amt und Abendmahl praktizieren. Dafür ist es wichtig, dass wir die Konsensprozesse haben, die bereits laufen. Es muss klar sein, dass das Abendmahl von ordnungsgemäß berufenen Amtsträgerinnen und Amtsträgern eingesetzt wird. Die Bindung, die in unseren eigenen Bekenntnissen gegeben ist, muss als gemeinsame Grundlage gesehen werden. Dass in demjenigen, der mit der Verwaltung der Sakramente beauftragt ist, Christus in Brot und Wein gegenübertritt, können wir als Evangelische ebenfalls sagen, auch wenn wir nicht die amtstheologischen Vorstellungen der katholischen Kirche teilen. Diese Klärungen müssen wir befördern. Das ist eine Hausaufgabe, die wir haben. Das deutlich zu machen, überwindet das Gefühl, das katholische Geschwister manches Mal haben, als sei das Problem nur auf der Seite der Katholiken. Wir wollen gemeinsam daran arbeiten. Das ist der beste Weg, um voranzukommen.
Kritiker einer eucharistischen Gastfreundschaft wie der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki argumentieren, im Hochgebet werde die Einheit mit dem Papst und den Bischöfen betont und damit auch ein Bekenntnis zur hierarchischen Struktur der katholischen Kirche abgelegt. Warum ist das aus Ihrer Sicht für einen protestantischen Christen verantwortbar?
Bedford-Strohm: Das Hochgebet mitzubeten ist aus meiner Sicht für uns Evangelische insofern möglich, als wir es in der gemeinsamen Ausrichtung auf Jesus Christus tun. Im Hinblick auf das Opferverständnis oder die Rolle der genannten Heiligen gibt es bereits Ansätze zu ökumenischen Klärungen. In geistlicher Verbundenheit mit anderen Christen, auch denen, die da genannt werden und an hervorgehobener Stelle Verantwortung tragen, zu beten, muss daher kein Problem darstellen. Wir unterscheiden uns dann allerdings in der Frage der kirchenrechtlichen Folgerungen, die sich daraus ergeben.
An welche Punkte denken Sie da konkret?
Bedford-Strohm: Natürlich gilt das etwa auch für die dabei mitschwingenden Implikationen des Amtes. Dass damit auch die Frauenordination verbunden ist, ist unverzichtbar. Auch wenn wir als Protestanten in dieser Sache einen eigenen schmerzhaften Lernprozess hatten, sagen wir heute ganz klar: Männer und Frauen können das ordinierte Amt innehaben. Wir haben damit inzwischen beste Erfahrungen gemacht. Ich sage in aller Klarheit: Dennoch ist es für uns nicht kirchentrennend, dass die katholische Seite das – noch jedenfalls – deutlich anders sieht. Das ist nicht immer einfach, das so zu sagen. Aber im Hochgebet wird nicht ausdrücklich nur von Männern gesprochen. Solche Fragen aber muss man in jedem Fall vor dem eigenen Gewissen beantworten können. Wenn ich sie mit Ja beantworten kann, kann ich auch eine Einladung zu einer Eucharistiefeier annehmen. Und natürlich werden Evangelische, die eine katholische Eucharistiefeier besuchen, dadurch nicht römisch-katholisch. Es muss klar sein: Gerade unser jeweiliges Verständnis als Evangelische ermöglicht es nach genauer Prüfung, an einer Eucharistiefeier teilzunehmen.
Hatten Sie sich in diesen Fragen seit dem Reformationsjubiläum mehr Rückenwind von Papst Franziskus erhofft?
Bedford-Strohm: Natürlich erhoffe ich mir viel und immer auch noch mehr Rückenwind von Papst Franziskus. Er hat uns unmissverständlich auf diesem Weg bestärkt und uns in seiner Erwiderung auf meine Rede bei unserem Besuch mit dem Rat der EKD sowie in anderen Begegnungen mit ihm zur ökumenischen Annäherung ermutigt. Auch die Art und Weise, wie er über Martin Luther geredet hat, hat mich sehr ermutigt. Franziskus ist natürlich nicht derjenige, der dann auch bis in die kirchenrechtlichen Details hinein diese Prozesse vorantreibt. Das müssen dann schon die jeweiligen Kirchen vor Ort und die anderen Verantwortlichen machen. Da wäre noch mehr Rückenwind vorstellbar. Aber ich bin sehr dankbar für diese Richtungsangabe aus Sicht der römisch-katholischen Weltkirche: Christus muss im Zentrum stehen, und was wir an ökumenischen Hürden haben, müssen und sollen wir überwinden.
Wie wichtig wäre es da aus Ihrer Sicht, dass Rom die Exkommunikation von Martin Luther beispielsweise durch ein Dekret aufheben würde?
Bedford-Strohm: Ich habe an ganz unterschiedlichen Stellen deutlich gemerkt, dass das faktisch schon passiert ist – einmal ganz abgesehen davon, dass die Vergangenheit nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Ein offizieller Akt könnte nur eine Bestätigung dessen sein, was jetzt bereits Faktum ist. Wenn ich Revue passieren lasse, was ich von Amtsträgern der römisch-katholischen Kirche gehört habe, ist das eine faktische Rücknahme der Exkommunikation. In einem gemeinsamen Interview mit Kardinal Marx wurde er als Erster nach Martin Luther gefragt. Nachdem er drei Minuten geredet hatte, konnte ich nur noch sagen, dass ich jeden Satz unterschreibe. Das hatte es mit Sicherheit bisher nicht gegeben, dass der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz über Martin Luther spricht und der EKD-Ratsvorsitzende dem nur zustimmen kann.
Ein gern bemühter Topos in Sachen Ökumene ist der Hinweis, dass man gar nicht all das gemeinsam tut, was man jetzt schon auch kirchenoffiziell gemeinsam tun könnte. Woran liegt das?
Bedford-Strohm: Niemand hindert uns jedenfalls daran. An vielen Stellen, etwa bei den diakonischen Fragen, handeln wir ja bereits gemeinsam. Das geht bis hin zu vielen Gottesdiensten, nicht nur mit Blick auf die Einheit der Christen oder den Weltgebetstag. Hier müssen wir aber noch weitergehen. Bibelkreise beispielsweise sollten möglichst häufig ökumenisch sein. Gerade die Bibel verbindet uns so sehr. Bildungsangebote, bei denen die Fragen unseres Glaubens zur Debatte stehen, sollten viel mehr als bisher gemeinsam angegangen werden. Bei feierlichen Anlässen in Gemeinden, die ich besuche, spricht oft der katholische Pfarrer und wirkt auch im Gottesdienst mit. Da spürt man die gewachsene Freundschaft, dass man ganz selbstverständlich Dinge gemeinsam macht. Aber auch in der normalen Seelsorge sollte eine Vertretung wechselseitig möglich sein, wenn jemand von der eigenen Konfession nicht greifbar ist. Beispielsweise bei Beerdigungen ist die Konfession nicht so zentral, dass so etwas ausgeschlossen ist. In meiner eigenen Tätigkeit als Gemeindepfarrer habe ich selbst erlebt, dass ich von einer Frau gefragt worden bin, ob ich nicht ihre Mutter beerdigen könnte, weil es mit dem eigentlich zuständigen katholischen Priester unüberwindbare Sprachhürden gab. Der katholische Dekan sagte mir: Machen Sie’s.
In den elf Leitsätzen ist darüber hinaus ausdrücklich von mehrkonfessionellen Gemeinden die Rede, die zu gründen seien. Wie ist das gemeint?
Bedford-Strohm: Wir haben schon seit längerem mit Ökumenischen Gemeindezentren Pilotprojekte, die heute noch viel mehr Nachfolger bekommen müssten. Natürlich ist auch hier die Konfessionalität weiterhin greifbar, aber man feiert eben in einem gemeinsamen Gebäude Gottesdienst. In meiner Studienzeit haben wir im Ökumenischen Gemeindezentrum Arche in Neckargemünd am ersten Sonntag im Monat zusammen Gottesdienst gefeiert. Ökumenische Projekte, in denen man Gemeinden von vorneherein so anlegt, müssen heute noch einmal ganz neu relevant werden. Dabei kann es nicht darum gehen, die katholischen oder evangelischen Wurzeln einfach zu kappen. Aber es muss eben deutlich werden, dass die unterschiedlichen Hintergründe nicht mehr kirchentrennend sind. Und natürlich muss sich das im Rahmen der kirchenrechtlich möglichen Spielräume bewegen. Wo immer es Bischöfe gibt, die so etwas fördern, auch wenn es über das bisher Mögliche hinausgeht, bin ich dankbar.
Angesichts solcher Fragen geht es immer auch um die Ziele der Ökumene. Wann ist sie verwirklicht? Das ist derzeit zentraler Punkt der ökumenischen Dialoge. Welches Zwischenfazit ziehen Sie?
Bedford-Strohm: Meine Zielvorvorstellung lautet: Sichtbare Einheit in versöhnter Verschiedenheit. Dass Papst Franziskus sich diese zu eigen gemacht hat, obwohl sie aus dem evangelischen Kontext kommt, fand ich sehr bemerkenswert. Wenn man sie richtig versteht, kann das wirklich eine tragfähige Zielvorstellung sein. Wir brauchen einen Grundkonsens über die Wahrheit des christlichen Glaubens, den wir alle teilen, so dass die darin begründete Einheit auch sichtbar Gestalt gewinnen kann. Innerhalb dieses Konsenses sollten dann auch unterschiedliche Zugänge zu dieser Wahrheit möglich sein können. Deshalb spreche ich gerne von der sichtbaren Einheit in versöhnter Verschiedenheit. Damit ist dann auch das Missverständnis ausgeräumt, dass dies heißen solle, dass jeder macht, was er will, und alle zusammen eins sind. Es geht schon darum, dass wir bestimmte Grundlagen teilen, und die Unterschiede darüber hinaus nicht mehr kirchentrennende Bedeutung haben müssen.
Was ist dabei die entscheidende Einsicht?
Bedford-Strohm: In welchem Verhältnis stehen eigentlich Institution, Organisation und Bewegung im Hinblick auf unser Kirchenverständnis? Alle drei Aspekte müssen beieinanderbleiben und noch stärker zueinander finden. Natürlich ist Kirche immer auch Organisation. Man muss immer eine rechtliche Struktur haben, die viele Einzelfragen regelt, bis hin zu den Gehältern der hauptamtlichen Mitarbeitenden. Kirche ist auch immer von Gott eingesetzte Institution. Aber das Element der Bewegung ist stets genauso von Bedeutung. Wir dürfen nicht alles vom institutionell oder organisatorisch Vorgegebenem, abhängig machen. Kirche ist immer auch Volk Gottes, das vom Geist zusammengeführt wird, innerlich durch Frömmigkeit bewegt ist – und nach außen ausstrahlt. Das geschieht nicht durch die Institution oder die Organisation, sondern durch Inspiration, durch Begeisterung. Dieses Element einer inneren Verbindung zu Christus wünsche ich mir für beide großen Kirchen, für alle Kirchen, noch viel mehr: dass wir sie immer wieder erfahren und ihr immer mehr Raum geben. Und davon sollten dann auch Institution und Organisation geprägt und verändert werden.