Ökumenisches Charisma

Das Interesse an den Ökumenischen Dialogen gehört zur DNA dieser Zeitschrift. Der erste Beitrag einer Reihe im Jubiläumsjahr.

Ökumenische Verflechtungen und Verpflichtungen“ – dieser Titel des Leitartikels im Aprilheft des Jahrgangs 1966 könnte über der ganzen bisherigen Geschichte der „Herder Korrespondenz“ stehen. Denn die fast ausnahmslos von Katholiken gemachte und vorwiegend auch von Katholiken gelesene Monatszeitschrift hat praktisch von Anfang an kontinuierlich den Blick über den Tellerrand auf Entwicklungen in der nichtkatholischen Christenheit und in der Ökumenischen Bewegung praktiziert, sozusagen als Teil ihrer DNA.

Schon vor dem Zweiten Vatikanum und dessen epochemachender Öffnung der katholischen Kirche für das ökumenische Anliegen fanden sich in der „Herder Korrespondenz“ regelmäßig Berichte über Arbeit und Probleme des 1948 gegründeten Ökumenischen Rates der Kirchen genauso wie über Synodaltagungen der Evangelischen Kirche in Deutschland und Evangelische Kirchentage oder über die orthodoxen Kirchen, etwa über die Russische Orthodoxie. Sie informierten durchweg sachlich und differenziert, aus katholischer Perspektive, aber ohne Scheuklappen.

In den ersten Jahren nach dem Konzil ging es dann um die Grundsatzprobleme, die sich aus dem neuen ökumenischen Engagement der katholischen Kirche ergaben: Es erschienen Leitartikel mit Überschriften wie „Wo stehen wir ökumenisch?“ (Juli 1967) oder „Sind wir ökumenisch fehlprogrammiert?“ (Juli 1973). Außerdem begleitete die HK kompetent die Anfänge und ersten Durchbrüche der offiziellen Gespräche zwischen dem vatikanischen Einheitssekretariat und den nichtkatholischen konfessionellen Weltbünden, beispielsweise dem Lutherischen Weltbund und der Anglikanischen Gemeinschaft. Kennzeichnend war dabei die Linie eines ökumenischen Realismus: Mut zum Ausloten der Spielräume im Gespräch der Konfessionen, aber gleichzeitig auch der nüchterne Blick auf die Schwierigkeiten, die sich aus der Eigenprägung und dem jeweiligen Selbstverständnis der jeweiligen Kirche beziehungsweise Konfession ergeben.

Die Ökumenische Bewegung wurde in den folgenden Jahrzehnten komplexer und unübersichtlicher, verlor teilweise auch an Schwung und rückte angesichts von innerkirchlichen Spannungen eher in den Hintergrund des Interesses. Davon ließ sich die „Herder Korrespondenz“ nicht beirren, sondern hielt an der Ökumene als ausgesprochenem Schwergrund und Lieblingsthema fest und versuchte der gewachsenen Vielfalt durch ihre Berichterstattung gerecht zu werden. Sie registrierte aufmerksam Ergebnisse der offiziellen und inoffiziellen ökumenischen Gespräche (etwa auch der hierzulande wenig bekannten französischen „Gruppe von Dombes“), nicht zuletzt durch regelmäßige Überblicksberichte zum Stand der ökumenischen Dialoge der katholischen Kirche. Sie widmete sich weiterhin dem mühsam um sein Profil ringenden Ökumenischen Rat der Kirchen mit seinen Vollversammlungen und verfolgte die Arbeit der „Bewegung für Glauben und Kirchenverfassung“ als einer seiner Hauptsäulen.

Ihr Interesse galt der konfessionellen Landschaft und den damit gegebenen Herausforderungen auf regionaler und nationaler Ebene, sie berichtete über die Tausendjahrfeier der Russischen Orthodoxen Kirche (1988) ebenso wie über die schwierige Ökumene im früher fast geschlossen katholischen Lateinamerika. Besonderes Augenmerk fand auch die Ökumene in Europa, etwa durch die solide journalistische Aufbereitung der bisher drei „Europäischen Ökumenischen Versammlungen“, zuletzt der im rumänischen Sibiu (2007).

Die „Herder Korrespondenz“ profilierte sich gerade auch als sachkundige und engagierte Begleiterin der Entwicklungen im deutschen Protestantismus. Sei es durch ihre verlässliche Berichterstattung über die Synoden des Evangelischen Kirchenbundes in der DDR, sei es durch Berichte und Kommentare zu Beratungen und Entscheidungen der Synode der EKD oder über die Evangelischen Kirchentage mit ihren wechselnden Prägungen.

In der Zeitschrift wurde das neue „Evangelische Gesangbuch“ ebenso gewürdigt wie das „Lutherjahr“ 1983, ökumenische Positionsbestimmungen der EKD oder der Reformprozess unter der programmatischen Überschrift „Kirche der Freiheit“. Dass die „Herder Korrespondenz“ sich im Lauf der Zeit großes Ansehen nicht zuletzt auch bei führenden Persönlichkeiten im deutschen Protestantismus erwerben konnte, hängt mit ihrem spezifischen ökumenischen Charisma zusammen: einer keineswegs selbstverständlichen Verbindung von Sympathie und Nüchternheit im Blick auf die nichtkatholische Christenheit, von katholischer Prägung und Offenheit für andere Spielarten von Glaubensleben und Kirchlichkeit. Das verpflichtet!

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