Was haben Pierre de Coubertin, Carl Gustav Jung, Adolf Hitler, Johannes Paul II. und Lew Tolstoi gemeinsam? Sie sind für Michael Stausberg Exponenten für die Vielfalt und Widersprüchlichkeit der Religionen, die das 20. Jahrhundert prägen. Der Religionswissenschaftler aus dem norwegischen Bergen erzählt Religionsgeschichte „als eine Geschichte von Personen: als ein multibiografisches Epochenporträt“. Neben allseits bekannten Persönlichkeiten berücksichtigt sein Buch auch etliche, die jedenfalls im europäischen Bildungskanon schlechterdings nicht geläufig sind, etwa den Chinesen Kang Youwei, den Inder Bhimrao Ambedkar oder den Amerikaner Norman Vincent Peale. Neben unbestrittenen Repräsentanten einer religiösen Gemeinschaft stehen wichtige Reformatoren der jeweiligen religiösen Bewegung oder eher fragwürdige Gestalten.
Wer gewohnt ist, die Welt der Religionen nur in ihren großen Blöcken wahrzunehmen, sei es das Christentum, der Islam oder Buddhismus, gewinnt bei Stausberg einen interessanten Einblick in individuell geprägte Einzelströmungen und nicht zuletzt auch pseudoreligiöse Bereiche. Auf Mao Zedong („Religionsmontage und Vergötterung“) folgt in dem Buch eine Darstellung von Martin Luther King; Bob Marley, der Apostel des Rastafarianismus, hat genauso seinen Platz wie die Ordensgründerin Mutter Teresa, die mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet und schon bald nach ihrem Tod von der katholischen Kirche seliggesprochen wurde. Die einzelnen Porträts sind gleichermaßen kompetent wie anschaulich geschrieben, verzichten auf plakative Einordnungen und würdigen den jeweiligen religiös-weltanschaulichen und gesellschaftlichen Kontext.
Als Fazit formuliert Stausberg, was normalerweise als Religion bezeichnet werde, sei voller Ungereimtheiten, Spannungen, Widersprüche und Paradoxien. Religion sei gleichzeitig „friedliebend und gewalttätig, rauschhaft und rational, egalitär und hierarchisch, revolutionär und reaktionär, asketisch und konsumorientiert, partikular und universalistisch, aggressiv und demütig, ortsgebunden und rastlos“. Die Vorstellung von einem einigermaßen stabilen Gegenstandsbereich von Religion ist für Stausberg eine Chimäre. Ulrich Ruh