Jürgen Habermas schreibt im Hegel-Kapitel seiner Philosophiegeschichte: „Die Philosophie kann nicht trösten. Das philosophische Denken als solches gehört nicht mehr der historischen Welt an, in der die Menschen beten.“ Herr Ostritsch, beten Sie?
Sebastian Ostritsch: Ja, ich bete. Ich bete wieder. Aber ich kann gut nachvollziehen, was Habermas da schreibt, weil ich das lange genug auch so gesehen habe. In der philosophischen Traditionslinie, der ich mich zugerechnet habe – Hegel und der deutsche Idealismus –, herrscht der Glaube vor, dass die Vernunft alles ist. Und wenn man glaubt, dass die Vernunft alles ist, dann geht einen alles jenseits der Vernunft, also der Glaube, nichts an.
Jetzt beten Sie wieder und sind trotzdem noch Philosoph. Wie geht das zusammen?
Ostritsch: Ich halte es inzwischen für eine grundlegende philosophische Einsicht, dass es Dinge gibt, die über die Vernunft hinausgehen. Das heißt nicht, dass sie unvernünftig sind, sondern übervernünftig, wenn man so will. Das Denken hat sich an der Wirklichkeit zu messen. Und es gibt eine Wirklichkeit des Glaubens. Der muss man als Philosoph gerecht werden, wenn man zum Beispiel Religionsphilosophie betreibt. Jürgen Habermas sagt von sich selbst, er sei religiös unmusikalisch. Das heißt: Ihm ist diese Wirklichkeit fremd. Wenn man aus einer solchen Perspektive über die Religion philosophiert, dann spricht man wie ein Farbenblinder über die Farbe.
Richten Sie beim Beten auch Bitten an Gott? Kant hat das Bittgebet immerhin als „abergläubischen Wahn, ein Fetischmachen“ bezeichnet. Und es gibt auch Theologen, die bekunden, Schwierigkeiten mit dem Bittgebet zu haben.
Ostritsch: Vor einigen Jahren hätte ich auch noch gesagt: Natürlich kann man an Gott keine Bitten richten. Das Wort Gott steht philosophisch für die Natur, das Ganze oder die Vernunft. Das ist ein Abstraktum, das man nicht ansprechen kann. Heute sehe ich: Beten kann man nur zu einem personalen Gegenüber. Einen solchen Gott kann man natürlich auch um etwas bitten. Alles andere ist ein Euphemismus für ein Selbstgespräch, ein Etikettenschwindel. Eine Religionsphilosophie, die das Bittgebet für unmöglich erklärt, nimmt das Phänomen nicht ernst. Insofern war wohl auch Kant religiös unmusikalisch.
Sie sind Autor einer populären Biographie über Georg Friedrich Wilhelm Hegel. Was würde er denn dazu sagen?
Ostritsch: Für Hegel ist Religion Selbstbezug des Geistes – und zwar eines weltimmanenten Geistes. Jeglicher Transzendenzbezug ist hier gekappt. Hegel ist aber ein Meister darin, Formulierungen in der Schwebe zu lassen, und so fällt es schwer, ihn festzunageln. Doch bei der Frage, ob seine Philosophie Bittgebete erlaubt, wird es dann ganz deutlich: So etwas kann es für ihn nicht geben. Gott ist für ihn keine Person, an die man sich wenden kann. Es gibt bei Hegel zwar auch Formulierungen, die in Richtung eines personalen Gottes gehen. Aber Hegel versteht unter Personalität eigentlich nur eine bestimmte logische Struktur, die er sowohl bei endlichen Personen als auch bei dem, was er den absoluten Geist nennt, erkennt.
Welchen Sinn hat dann Religion für Hegel?
Ostritsch: Religion gehört für Hegel zu einem Bereich, zu dem auch Kunst und Philosophie gehören. Es sind Praktiken der geistigen Selbstvergewisserung: Der Mensch als geistiges Wesen setzt sich dabei in Bezug zu seiner eigenen Geistigkeit. Dies geschieht sinnlich in der Kunst, in Vorstellungsbildern in der Religion, und rein denkend in der Philosophie. Die Philosophie steht also an der Spitze der Hierarchie. Die Vorstellungsbilder der Religion – etwa die Dreifaltigkeit von Vater, Sohn und Heiligem Geist – haben für ihn ihren guten, geistigen Sinn, aber es sind eben nur Vorstellungsbilder und die Philosophie benötigt sie nicht mehr, sie kommt mit rein abstrakten Begrifflichkeiten aus. Der Katholik würde natürlich etwas anderes sagen: Die Religion ist die höchste Form des Geistigen, weil sie uns an einer Wirklichkeit teilhaben lässt, die unsere bloß denkerische Erfahrung sogar noch übersteigt.
Ihr Buch zeugt von einer großen Faszination für Hegel. Wie wird man zum Hegelianer?
Ostritsch: Als Student der Philosophie hat mich an Hegel fasziniert, dass ich ihn nicht verstanden habe. Besser gesagt: Es hat mich enorm geärgert. Das hat mich herausgefordert. Und wenn man dieses Gedankengebäude einmal betreten hat, dann kommt man schwer wieder heraus. Es hat einen ungemeinen Sog, weil Hegel keine Argumente formuliert, die man auch unabhängig voneinander betrachten könnte, sondern alles miteinander zusammenhängt und aufeinander aufbaut. Man kann also gar nicht anders, als mit ihm weiterzudenken. Ich habe dann irgendwann gemerkt, dass sich auch viele Laien für Hegel interessieren, aber kaum einer ihn so recht versteht. So ist die Idee entstanden, eine Biographie zu schreiben, die versucht, das philosophische Riesenwerk aufzuschlüsseln.
Und wie hört man wieder auf, Hegelianer zu sein?
Ostritsch: Durch die Gnade Gottes natürlich. Ich habe irgendwann bemerkt, dass ich bete. Das hat mit der Geburt meines ersten Kindes angefangen. Ich spürte: Da gibt es Dinge, die ich nicht unter Kontrolle habe, ich bin angewiesen auf etwas, das mich übersteigt. Dann habe ich mich gefragt: Was machst du da eigentlich? Kann man beten, wenn man nicht gläubig ist? Ich habe dann den Drang verspürt, wieder Gottesdienste aufzusuchen, hatte dabei aber einige enttäuschende Erlebnisse. Ich hatte das Bedürfnis nach etwas, das nicht von dieser Welt ist, nach einer Erfahrung des Transzendenten, und fand das dort nicht – bis ich dann hier in Stuttgart zur Petrusbruderschaft gestoßen bin, die die Liturgie im alten Ritus feiert. Da hatte ich das Gefühl: Hier bin ich zuhause.
Warum?
Ostritsch: Hier war klar: Es geht nicht um die Welt. Die Richtung geht nach oben, zu Gott. Ich habe gemerkt, dass die Leute dort nicht nur pro forma oder aus Gewohnheit am Gottesdienst teilnehmen, sondern weil sie absolut überzeugt sind. Das hat etwas Ansteckendes. Jetzt verstand ich, warum ich bete. Es gab da eine Leerstelle in mir. Hier wurde sie gefüllt. Es ist, als ob man ein fehlendes Puzzleteil gefunden hätte. Ich war vor vielen Jahren aus der katholischen Kirche ausgetreten. Im vergangenen Jahr konnte ich meine Reversion feiern.
Dann sind Sie ja prädestiniert, ein paar Einwände von Hegel gegen den Katholizismus zu parieren. In der „Enzyklopädie“ kritisiert Hegel: „Überhaupt herrscht bei den Katholiken eine ungeistigere Wirklichkeit der Religion.“ Und in den „Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte“ moniert er, das „Prinzip des Verderbens“ in der katholischen Kirche liege darin, dass sie „das Sinnliche nicht wahrhaft, ganz ausgeschlossen hat.“ Was antworten Sie?
Ostritsch: Hegel findet es problematisch, dass die katholische Religion das Geistige nicht im eigentümlichen Element der Geistigkeit fasst, sondern auf sinnliche Art und Weise. Und es stimmt ja: Jeder, der eine katholische Messe besucht, kann erleben, wie Gott in der Kommunion konkrete, sinnlich erfahrbare Realität wird, wirkliche lokale Anwesenheit. Dafür hat Hegel nur Spott übrig. Dagegen könnte man aus Hegels eigenem Denken heraus einwenden, dass er hier eine seltsame Abwertung von leiblicher Konkretion vornimmt. Dabei geht Hegel eigentlich selbst immer davon aus, dass der Geist notwendigerweise leiblich, also auch raumzeitlich instanziiert sein muss. Der Katholizismus sagt nichts anderes als das: In der Kommunion ist Gott selbst in der höchsten leiblichen Konkretion anwesend.
In den „Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie“ kritisiert Hegel die katholische Transsubstantiationslehre und die Praxis der Eucharistieverehrung: „Diese Hostie gilt einerseits, als Hostie, als gegenständlich, für das Göttliche; andererseits ist sie der Gestalt nach ein ungeistiges, äußerliches Ding. Das ist aber der tiefste Punkt der Äußerlichkeit in der Kirche; denn vor dem Ding in dieser vollkommenen Äußerlichkeit muss das Knie gebeugt werden, nicht sofern es Gegenstand des Genusses ist.“ Verehren Katholiken mit der Eucharistie ein Ding in seiner „vollkommenen Äußerlichkeit“?
Ostritsch: Für Hegel kann es das, was der Katholizismus da glaubt, nicht geben, also den Einbruch einer transzendenten göttlichen Wirklichkeit ins Hier und Jetzt. Ich würde den Spieß umdrehen: Dass seine Philosophie dieses Phänomen nicht adäquat fassen kann, ist ein Armutszeugnis für seine Philosophie. Gerade in ihren antikatholischen Momenten offenbart sich die Beschränktheit von Hegels Religionsphilosophie. Als Philosophie, die behauptet, die ganze Wirklichkeit auf den Begriff bringen zu wollen, scheitert sie hier an ihrem eigenen Anspruch. Denn da gibt es etwas, das sie nicht auf den Begriff bringen kann.
Hier kommt ein letztes Hegel-Zitat. Es stammt aus den „Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte“. „Wenn aber einmal zugegeben ist, dass Gott in äußerlicher Gegenwart ist, so wird zugleich dieses Äußerliche zu einer unendlichen Mannigfaltigkeit… dass Christus da und dort, in diesem und jenen, erschienen ist…Allerorten werden also in höher begnadeten Erscheinungen, Bluteindrücken von Christus sich Vergegenwärtigungen des Himmlischen begeben…Die Kirche ist daher eine Welt voller Wunder… Das Göttliche erscheint als ein vereinzeltes Dieses, also ein Ding, eine Reliquie etwa.“ Jetzt sagen Sie nicht, dass Sie als katholisch gewordener Philosoph auch noch an Wunder glauben?
Ostritsch: Klar, ich bin Katholik, es wäre ja schlimm, wenn ich nicht von der Möglichkeit von Wundern überzeugt wäre. Hegel hat keine guten Argumente gegen Wunder. Bei ihm gibt es sie deshalb nicht, weil es keine Instanz gibt, die Wunder wirken könnte, was natürlich irgendwie trivial ist. Wenn das Wunder der Einfall des Übernatürlichen in die Natur ist und es in einer Philosophie keine übernatürliche Position gibt, dann kann es eben auch keine Wunder geben. Aber ich verweise auf etwas, was der späte Schelling und die Existenzphilosophen, die sich auf ihn berufen haben, gesehen haben: dass Hegel, so schön das System auch ist, im reinen Denken verbleibt, dass es da aber etwas gibt, ein Sein, das sich nicht denken, sondern nur erfahren lässt, das unvordenklich ist, das jedem Denken vorausgeht, das auch dem Denken des Seins vorausgeht, mit dem Hegel in seiner „Wissenschaft der Logik“ beginnt. Das ist ein Gedanke, der mich von Hegel zum ersten Mal entfernt hat. Auf der persönlichen Ebene hat sich das dann später in der Erfahrung des Glaubens bestätigt.
Der gängigste philosophische Einwand gegen die Möglichkeit von Wundern stammt von David Hume. Er argumentiert, dass die Behauptung, ein Wunder sei geschehen, immer unwahrscheinlicher ist als die Alternativen: Sinnestäuschungen, bisher unbekannte Naturvorgänge, oder was auch immer.
Ostritsch: Das überzeugt mich überhaupt nicht. Hume wurde für seine Argumentation übrigens auch von nichttheistischen Philosophen scharf kritisiert. Der Wissenschaftstheoretiker John Earman hat aufgezeigt, dass aus wahrscheinlichkeitstheoretischer Sicht das, was Hume behauptet, überhaupt nicht zutrifft. Dass ein Wunder geschehen ist, ist nur dann grundsätzlich die unwahrscheinlichere Annahme, wenn ohnehin schon feststeht, dass Wunder unmöglich sind. Wenn man in der Frage aber unentschieden ist, kann es durchaus Situationen geben, in denen es sogar wahrscheinlicher ist, dass ein Wunder geschehen ist. Ähnlich hat William Lane Craig in seinem Buch über die Auferstehung Christi argumentiert. Natürlich ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein Wunder ereignet, extrem gering. Anders ist es aber, nachdem das Ereignis eingetreten ist und es bestimmte andere Phänomene gibt, die noch miterklärt werden wollen. Dann kann das Wunder durchaus die wahrscheinlichste Erklärung sein.
Theologen bemühen sich seit der Aufklärungszeit, den christlichen Glauben in eine Welt ohne Wunder hinüberzuretten. Vom evangelischen Neutestamentler Rudolf Bultmann stammt das berühmte Zitat: „Man kann nicht elektrisches Licht und Radioapparat benutzen, in Krankheitsfällen moderne medizinische Mittel in Anspruch nehmen und gleichzeitig an die Geister- und Wunderwelt des Neuen Testaments glauben.“ Und der Linkshegelianer David Friedrich Strauß schrieb schon vor gut 200 Jahren in seinem Leben-Jesu-Buch, die Erscheinungen des auferstandenen Christus würden sich aus subjektiven, psychologischen Bedürfnissen der Jünger erklären.
Ostritsch: Dass ein Hegelianer das so sieht, ist aus seiner philosophischen Position heraus nachvollziehbar. Aber für Theologen müsste doch klar sein: Wenn Jesus Christus nicht wirklich auferstanden ist, dann ist alles dahin. Dann ist die Grundlage des Glaubens dahin. Dann bewegen wir uns im Reich von Metaphern und rhetorischen Spielereien. Dann sind Ewigkeit, Himmel, Vergebung und so weiter nichts als menschliche Konstrukte. Man sollte dann lieber ehrlich sein und die existenzielle Situation des Menschen so ausbuchstabieren wie Albert Camus. Das ist eine konsistent und konsequent zu Ende gedachte Position ohne Gott. Denn wenn man Gott dieses zentrale Erlösungswerk, die Auferstehung, nicht zutraut, was traut man ihm dann überhaupt zu?
Gott ist solidarisch, sagen manche Theologen. Er kann nicht in den Lauf der Dinge eingreifen, aber er kann mit uns mitleiden. Er hat nur unsere Hände, um den Zustand der Welt zu verbessern. In Jesus ist die Liebe Gottes auf unüberbietbare Weise sichtbar geworden. Und an dieses Beispiel müssen wir uns halten.
Ostritsch: Ich habe mit einer solchen Sichtweise zwei Probleme. Das intellektuelle Problem dabei ist, dass dadurch philosophisch eigentlich nichts gewonnen ist: Es wird nur noch rätselhafter, wie sein Erlösungswerk an uns vonstattengeht. Aber auch auf der Glaubensseite ist dieser Ansatz völlig unbefriedigend. Die religiöse Urerfahrung besteht doch darin, dass wir nicht für diese Welt geschaffen sind. Ich habe in mir ein Bedürfnis von der Art, dass nichts in der Welt es je befriedigen kann.
Wenn das Wunder eine so große Bedeutung hat, gibt es ein Problem für die christliche Glaubensverkündigung: Im naturwissenschaftlichen Alltagsverständnis der meisten Zeitgenossen herrscht ein harter Determinismus vor.
Ostritsch: Es stimmt, dass den meisten Argumenten gegen das Wunder die Auffassung zugrunde liegt, dass die Naturgesetze lückenlos den Verlauf der Dinge bestimmen würden. Wissenschaftstheoretisch ist das aber eher die Außenseiterposition. Denn ein Naturgesetz ist plausiblerweise eigentlich nur eine Art von Zustandsbeschreibung. Naturgesetze beschreiben keine Vorgänge, sondern sie setzen bestimmte physikalische Größen miteinander ins Verhältnis, die zur Beschreibung von Vorgängen genutzt werden können. Wenn es um konkrete Ereignisse geht, dann gelten die Gesetze immer nur unter bestimmten Bedingungen. Es gibt vielfache Ursachen und Wirkungen, die intervenieren können. Es gibt auch den freien Willen. Und wir Christen glauben, dass es auch Gott gibt und dass er handeln kann.
Aber warum wirkt Gott manchmal Wunder und manchmal nicht? Nach welchen Kriterien greift er in den Lauf der Dinge ein oder unterlässt es?
Ostritsch: Wir glauben ja nicht, dass Gott nur dann wirkt, wenn wir ein Wunder sehen. Gott wirkt immer. Alles, was geschieht, ist Teil seines Heilsplans. Darum müssen wir Vertrauen in diesen Heilsplan haben, auch wenn wir ihn nicht verstehen. Die Wunder sind ein zusätzliches Geschenk, das uns daran erinnert, dass Gott untrüglicherweise da ist. Wann und wo das geschieht, ist nicht berechenbar. Das wäre Zauber. Zauber ist wie Technik: Man sagt einen Spruch auf, macht etwas mit seinem Zauberstab und dann geschieht etwas. Ich setze es ein und kann es kontrollieren. So ist Gott aber nicht. Sein Handeln ist ein freier Akt. Ich kann Gott nicht zu etwas zwingen, ich kann ihn bitten. Wir müssen uns vor einer Technisierung und Naturalisierung des Gottesbildes hüten und dürfen nicht meinen, Gott müsse irgendwie berechenbar sein und so funktionieren, wie wir uns das denken.
In der italienischen Fernsehserie „Il Miracolo“ weint eine Marienstatue literweise Blut – ein offensichtlicher, eklatanter Bruch der Naturgesetze. Aber die Leute sind völlig ratlos, was das bedeuten soll. Was heißt es, dass wir in einer Welt leben, die nicht damit rechnet, dass Gott in den Lauf der Dinge eingreift?
Ostritsch: Es gibt von atheistischer Seite das Argument: Wenn Gott wirklich existiert, warum offenbart er sich dann nicht deutlicher? Dann würden wir ja an ihn glauben. Aber ich meine nicht, dass das so wäre. Wo das eigene Weltbild die Möglichkeit einer solchen Offenbarung grundsätzlich ausschließt, könnte sonst was passieren, es gäbe immer noch eine natürliche Erklärung, die man für wahrscheinlicher hielte. Insofern sind Wunder wohl tatsächlich nur für Gläubige sichtbar.
Sie haben von Ihrer Reversion zum katholischen Glauben gesprochen. Ist das etwas, das Sie denkerisch noch nachvollziehen müssen?
Ostritsch: Auf jeden Fall. Ich hatte ein richtiges Bedürfnis, das aufzuarbeiten, habe das aber bisher nur in ein paar kleinen Artikeln getan. Im Moment schreibe ich noch ein ganz profanes Buch – es geht um die Philosophie des Computerspiels. In meiner Habilitation behandele ich philosophische Ewigkeitsbegriffe. Das ist natürlich ein Projekt, das sich auch in einer dezidiert katholisch-philosophischen Richtung weiterverfolgen lässt.
Macht Sie das in der philosophischen Landschaft nicht zum Außenseiter?
Ostritsch: Darüber mache ich mir keine Gedanken. Ich habe bisher in der Philosophie immer das gemacht, worauf ich Lust hatte. Meistens war es das, wozu mir die Leute nicht geraten haben. Es ist ein Privileg, mit Denken, Schreiben und Unterrichten sein Geld verdienen zu dürfen. Ich will meine Zeit nicht damit verschwenden, aus Opportunismus Dinge zu tun, die ich nicht gut finde. Das ist ja auch das Befreiende, wenn man Christ ist: Man braucht keine Angst mehr zu haben.