Keine Angst

Das Kölner Modellprojekt, bei dem muslimische Gemeinden zum Freitagsgebet rufen können, verhilft dem Islam in Deutschland zu mehr Sichtbarkeit.

Minarett und Kirchturm
© KNA

Ob sich die Stadt Köln wohl vorstellen konnte, welche bundesweiten Debatten sie mit der Ankündigung ihres Modellprojektes für den Ruf zum muslimischen Freitagsgebet lostreten wird? Die Frage, ob in Köln muslimische Gemeinden unter Auflagen – zwischen 12 und 15 Uhr für maximal fünf Minuten und mit maximal 85 Dezibel – befristet für zwei Jahre zum Freitagsgebet rufen dürfen, polarisierte, bevor überhaupt nur eine Gemeinde eine solche Genehmigung beantragt hatte. Verfassungswidrig und Bevorzugung einer Minderheit sagten die einen, Recht auf freie Religionsausübung und Zeichen von Toleranz und Vielfalt die anderen. Der Umstand, dass es in Köln mehrere Ditib-Gemeinden gibt, verschärfte die Diskussion noch zusätzlich.

Deutschlandweit gibt es einige Dutzend Gemeinden, in denen der Muezzinruf erlaubt ist. Mittlerweile haben auch in Köln die ersten Gemeinden ihre Anträge eingereicht, darunter auch die Ditib-Zentralmoschee im Stadtteil Ehrenfeld. Zehn weitere muslimischen Gemeinden sollen laut Angaben der Stadt Interesse an dem Projekt bekundet haben. Im hessischen Raunheim entschied die Stadtverordnetenversammlung kürzlich, dass dieser Ruf ab jetzt ohne zeitliche Begrenzung möglich ist. Bereits seit Beginn der Corona-Pandemie ist der Gebetsruf in der Stadt, in der rund 5000 Christen und geschätzte 6000 Muslime leben, zu hören. Weil im ersten Lockdown das gemeinsame Beten untersagt war, erlaubte die Stadt den beiden Moscheegemeinden, zunächst ebenfalls befristet für zwei Jahre, den Muezzinruf, um die Gläubigen an das Gebet erinnern zu können. Diese Befristung wurde nun aufgehoben. Im Ramadan darf der Ruf sogar jeden Tag erklingen.

Die hitzigen Debatten machen deutlich, dass man sich hierzulande nach wie vor schwer damit tut, den Muslimen und dem Islam einen Platz im öffentlichen Leben zuzugestehen. Die Umfrage einer Tageszeitung im Rahmen der Muezzin-Debatte kam zu dem Ergebnis, dass es drei Viertel der Menschen in Deutschland ablehnen, dass dieser Ruf genauso selbstverständlich zu hören sein soll wie Kirchenglocken. Die zahlreichen Moscheen, Gebets- und Versammlungsräume, die abgelegen (oder abgeschoben?) in Industriegebieten liegen, verstärken diesen Eindruck zusätzlich. In einem zunehmend säkularer werdenden Umfeld wirken viele religiöse Zeichen fremd. Und mit muslimischen Traditionen tut man sich gleich doppelt schwer.

Wenn nun einmal in der Woche für fünf Minuten in Köln oder Raunheim ein Muezzinruf ertönt, könnte das ein erster Schritt in Richtung mehr Sichtbarkeit des Islam sein und zu einer friedlichen Koexistenz der Religionen und Weltanschauungen in Deutschland beitragen. Davor sollten wir keine Angst haben.

hansen-strosche@herder.de

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