Ijoma Mangold: Der innere Stammtisch.Ein politisches Tagebuch.Rohwolt, Reinbek bei Hamburg 2020,272 S. 22,00 ¤ (D).Das Tagebuch als Kunstform, nun hat sich auch der Publizist Ijoma Mangold daran versucht. Gleich im zweiten Eintrag legt er seine Absicht offen: Er sei von Haus aus ein Trotzkopf, widerspreche gern, vor allem bei Tischgesellschaften, bei denen sich allzu schnell konsensuelle Blasen bilden. Allerdings ist sein Tagebuch kein Protokoll von solchen lustvollen Widerreden, sondern es sind Exerzitien der Selbstbeobachtung: „um den Zusammenhang zwischen Reflexen, Emotionen, Affekten, weltanschaulichen Überzeugungen und politischen Urteilen genauer zu begreifen“ (9). In pietistischen Milieus hatte das Tagebuch Konjunktur. Mangold dazu selbstironisch: Er fürchte, dass sein Tagebuch sich durch einen Mangel an Zerknirschtheit davon unterscheidet. So liest es sich auch: prall von Beobachtungen, erzählfreudig, Essensgespräche kommen nicht zu kurz. Die Lesenden werden gut unterhalten. Zwei Ereignisse prägen das Tagebuch: die Wahl von Donald Trump zum Präsidenten der USA 2016 und die Auswirkungen auf die Politik sowie der Ausbruch von Corona.
Zwei Anmerkungen zur Glaubenspraxis sollen nicht unkommentiert bleiben: Mit zwei Freunden geht er in den Gottesdienst nach St. Ludwig in Berlin-Charlottenburg. Kein Konformitätsritual, sondern eher ein Selbstversuch. Der Vorgang hat etwas Intimes, der die Beteiligten fast überfordert. Welcher soziale Code gilt im Kirchenraum? Wann muss man knien? Es wird ein schöner Sonntag, die Drei beschließen, das öfter zu machen. Allerdings nicht mehr in St. Ludwig, wo der katholische Adel Berlins versammelt ist. Man wolle Kirchenhopping ausprobieren. Diese Erfahrungen würde man gerne weiter lesen.
Eine zweite Beobachtung: seine nigerianische Schwester Ijeure hält den katholischen Glauben hoch, während Ijoma ungetauft ist. Aber an diesem Ostern 2020 schreibt er ihr, dass angesichts der Isolation die Auferstehung Jesu ein starkes Symbol sei. Und er holt sich via Fernsehen den Segen „Urbi et Orbi“. Angesichts des leeren Petersdomes ein Ereignis der Intimität und des persönlichen Angesprochenseins. Für den Journalisten wurde der päpstliche Segen in den modernen Kommunikationsmedien zu einer Erfahrung des Heiligen Geistes. Keine Bekehrung, aber eine neue Nachdenklichkeit. Erich Garhammer