Der größte Pechvogel der Weltliteratur ist Candide. An seinem Beispiel will der französische Aufklärer Voltaire zeigen, dass wir nicht in der „besten aller möglichen Welten“ leben, wie der deutsche Philosoph Leibniz behauptet hat. Um direkt am Anfang seiner satirischen Novelle klarzustellen, dass Candide vom Pech verfolgt wird, lässt er ihn im „herrlich friedlichen Westfalen“ zur Welt kommen. Der einfach gestrickte Held Candide ist der illegitime Neffe eines westfälischen Barons mit dem absonderlichen Namen Thunder-ten-tronckh und wird aus seinem westfälischen Heimatschloss verbannt, um auf eine krude Abenteuerreise durch halb Europa geschickt zu werden. Auf dieser Reise bleibt ihm das Pech treu, welches damit begonnen hat, dass er in Westfalen zur Welt gekommen ist. Der Höhepunkt der Geschichte dieses Unglücksraben ist, dass er das schreckliche Erdbeben, welches 1755 Lissabon heimsuchte, persönlich miterleben muss.
37 Jahre lang Generalvikar
Es gab tiefsitzende Vorurteile gegen die Westfalen, wo es nur dunkles, geschrotetes Brot und sinflutartigen Dauerregen gibt. Wie kam es, dass ausgerechnet Westfalen, welches man nicht unbedingt zur „Spitze der Revolution“ rechnete, eine Vorreiterrolle in der Aufklärung zukam?
Die Familie der Freiherren von Fürstenberg ist seit dem ausgehenden 13. Jahrhundert historisch bezeugt. Sie standen im Dienste des Erzbischofs von Köln. Ausgehend von ihren Sitzen in Neheim-Hüsten und in Arnsberg konnte die Familie ihre Machtstellung über die folgenden Jahrhunderte erheblich erweitern. Es gibt kaum ein Domkapitel im westlichen Deutschland, in dem der Name Fürstenberg nicht vorkam. Auch Bischöfe wurden in Paderborn und Münster gestellt. Der Bedeutendste der Familie ist jedoch ohne Zweifel Franz von Fürstenberg, der im Fürstbistum Münster von 1762 bis 1780 das Amt eines verantwortlichen Ministers bekleidete. Bischof oder Landesherr zu werden hat er trotz intensivster Bemühungen nicht geschafft.
Seine Geschichte ist schnell erzählt. Wie damals üblich, wurde er als nachgeborener, also nicht erbberechtigter Sohn schon früh zum geistlichen Stand bestimmt. Bereits im Kindesalter erhielt er die übliche Tonsur. Sein Vater hat sich intensiv, auch persönlich, um seine Ausbildung, sowie die seiner Brüder gekümmert. Bereits 1748 wurde er zum Domherrn in Paderborn und kurze Zeit später auch in Münster ernannt. Um in den Genuss der kirchlichen Pfründe zu kommen, musste er zunächst 20 Jahre alt werden und bestimmte Studien absolvieren. Weiterhin sollte er mindestens ein Jahr im Ausland studiert haben. Abschließend musste die Subdiakonatsweihe erfolgen. Deshalb ging Fürstenberg nach Salzburg, wo er Kirchenrecht studierte. Danach zog er nach Italien, um in Rom weiter Recht zu studieren. In Rom wurde er mit seinen Brüdern auch zweimal von Papst Benedikt XIV. empfangen. 1757 erfolgte die Weihe zum Subdiakon. Ab diesem Zeitpunkt stand Fürstenbergs Dienst im Fürstbistum Münster im Vordergrund seiner Aktivitäten.
Fürstenberg gelang es in geschickten Verhandlungen mit den kriegsführenden Parteien im Schlesischen Krieg zwischen Preußen und Österreich die Stadt 1759 vor der vollständigen Vernichtung zu retten. Dies war die entscheidende Tat, die Fürstenbergs Ansehen in Münster und im Domkapitel so stärkte, dass er trotz seiner Jugend bald eine allseits anerkannte Position innehatte.
Im Laufe der weiteren Entwicklungen wurde Fürstenberg 1762 mit nur 34 Jahren Minister des Erzbischofs von Köln für das Hochstift Münster. Er war damit so eine Art Ministerpräsident für ein Gebiet, welches etwa das heutige Münsterland, das Oldenburger Münsterland und das Emsland umfasste. Bis 1780 konnte Fürstenberg die Politik im größten geistlichen Territorium des Heiligen Römischen Reiches gestalten und hat diese in einem aufklärerischen Sinne energisch nach vorne getrieben. 1770 wurde er dann auch Generalvikar der Diözese Münster. Er konnte dieses Amt 37 Jahre und auch gegen heftigen Widerstand im Domkapitel mit seiner aufklärerischen Politik, die ihren Schwerpunkt auf die Bildungspolitik legte, ausfüllen. Eine so lange Amtszeit war nach ihm kein Generalvikar in Münster mehr im Amt.
Erziehungsfragen
Ganz unrecht hatte Voltaire nicht. Der geistige und materielle Fortschritt der letzten Jahrzehnte war an dem kleinen Staat in Westfalen weitestgehend vorübergegangen. Fürstenberg begann mit einer Neuordnung des daniederliegenden Finanzsystems, an die sich eine Neuordnung des Schulwesens anschloss, was ihm ein besonderes Anliegen war.
Die Gründung der Universität erfolgte dann 1773. Fürstenberg war ihr erster Kurator. Sukzessive wurde eine philosophische, eine theologische, eine juristische und schließlich eine medizinische Fakultät eröffnet. Begleitet wurden diese Maßnahmen durch eine ganze Anzahl von Verordnungen, um rechtliche, gesundheits- und bildungspolitische Fragen im Hochstift zu klären. Die Feiertage wurden von 42 auf 20 reduziert. Dies alles führte zu einem wirtschaftlichen Aufschwung. In der Stadt Münster, tat sich viel, es wurde die Stadtmauer geschleift und die Promenade angelegt, sowie 1775 ein neues Komödienhaus eingeweiht.
Kurfürst Maximilian Franz von Königsegg-Rothenfels von Köln schreibt über die Aussagen seines Ministers Fürstenberg: Wir „sind mit den Sätzen: allgemeine Glückseligkeit ist der Zweck, religiöse und sittliche Bildung ist das wesentliche Mittel zu diesem Zweck, jedes Individuum muss einer solchen zu seiner Glückseligkeit nothwendigen bildungsfähig seyn, der wesentliche Unterricht gehört für alle, völlig einverstanden“. Fürstenberg will also religiöse und sittliche Bildung fördern, um das aufklärerische Ziel Glückseligkeit der Menschen zu erreichen.
„Menschen bilden bleibt alle Zeit die wichtigste Staatsangelegenheit“, schreibt Franz von Fürstenberg 1780 seinem Bruder. Als Generalvikar war Fürstenberg für die Elementarschulen zuständig. Nicht ohne Stolz berichtete Fürstenberg über seine bildungspolitischen Aktivitäten an die preußische Regierung. Er schrieb vor, dass folgende Fächer unterrichtet wurden: Lesen, Schreiben, Rechnen, biblische Geschichte und Katechismus, so wie das Abfassen von Schriftstücken und etwas Sachkunde zum Thema Landwirtschaft. Neben der „Ausbildung des Verstandes“ (Naturwissenschaften) legte er großen Wert auf die „Ausbildung des Herzens“, für die die „Sittenlehre und Religion (…) der wichtigste Gegenstand“ war.
Am bekanntesten ist seine Schulordnung aus dem Jahre 1776. Wenn man sie heute liest, ist man erstaunt, wie modern sich diese erste Schulordnung Westfalens in weiten Teilen gibt. So schreibt Fürstenberg zum Beispiel: „mit körperlichen Strafen sollen die Lehrer so sparsam sein als möglich“.
1783 hat Fürstenberg in dem Priester Bernhard Overberg (1754–1826) einen Gleichgesinnten gefunden, der in den Münsteraner Kreis aufgenommen wurde und sich dem Ausbau des Volksschulwesens verschrieben hat. Er wurde zum Leiter der „Normalschule“, die nach österreichischem Vorbild als Modellschule in Münster gegründet wurde, um Lehrer aus- und fortzubilden. Die Absolventen erhielten eine Zulage zu dem von der Anzahl der Kinder abhängigen Schulgeld. Es kam zu einer merklichen Steigerung der Qualität der Elementarschullehrer. Nicht zuletzt gelang dies durch eine Reihe von Schulbüchern und einem Werk über die Ausbildung der Schulmeister, die Overberg verfasste. So empfahl er zum Beispiel, Unterrichtsgesprächen den Vorzug vor dem reinen Auswendiglernen zu geben.
Fürstenberg war praxisorientiert und nahm auch selber an den Prüfungen der Schüler im Münsteraner Gymnasium teil. Die wichtigste Aufgabe des Gymnasiums sei „die Bildung der Volkslehrer und Seelsorger“. Denn „der Lehrer des Volks musste notwendig im Volke selbst die Anstalt seiner Bildung finden“. „Der eigentliche Lehrer des Volkes sei der Seelsorger“. Mit diesen Überlegungen aus dem 18. Jahrhundert und seiner an dem Menschen und seinem individuellen Glück ausgerichteten Intention lassen sich gewisse Parallelen zur Pädagogik der Befreiung von Paulo Freire (1921–1997) und der sich daran anschließenden Theologie der Befreiung nicht übersehen. Auch in der Theologie der Befreiung gibt es den Versuch, Vernunft und Glaube miteinander zu verknüpfen, um am Reich Gottes zu bauen. An der Diskussion, inwieweit dies möglich ist und ob Seelsorge dabei systemimmanent oder revolutionär vorgehen soll, hat sich wenig geändert.
Bildung hat für Fürstenberg auch immer eine antirevolutionäre Funktion: „(D)ies scheint mir die Art von Aufklärung zu seyn, welche den öffentlichen Unruhen am meisten vorbeugt; dies trägt dazu bey, dass wenigstens der größte Theil mit seinem zu Stande zufrieden ist, aus Religion und sittlichen Gründen, weil er den Vorkehrungen der Regierung mehr Gerechtigkeit widerfahren lässt“. Fürstenberg fördert einen guten Bürgergeist und Gemeindegeist, der als Frucht der Aufklärung dazu führt, dass es zu einer „Förderung der gemeinen Glückseligkeit“ und einem sich daraus entwickelnden „wahren Patriotismus“ kommt.
Glaube und Vernunft – Katholische Aufklärung
Angesichts des Wandels in der Geisteswelt musste sich die katholische Kirche in Europa überlegen, welchen Weg sie einschlagen will. Dies ist in einer sehr heterogenen Art und Weise geschehen. Einzelne Bistümer haben die Ideale der Aufklärung aufgenommen und versucht, diese mit dem Glauben kompatibel zu machen. Dies führte zu einer Förderung der individuellen Religiosität und einer häufig auch kritischen Auseinandersetzung mit der Volksreligiosität.
Theologisch ging es zentral um die Frage, ob Vernunft und Glaube sich unversöhnlich gegenüberstehen oder harmonisch miteinander zu verbinden sind. In der französischen Aufklärung wurde der Glaube als etwas Überholtes und nicht mit der Vernunft zu Vereinbarendes betrachtet.
Anders ging die Entwicklung in Deutschland. Leibniz und Wolff verstanden Aufklärung als Bewegung der Vernunft hin zur begrifflichen Klarheit. Vernunft und Offenbarung wurden nicht als widersprüchlich angesehen. Kant betonte die Befreiung des Subjekts von Bevormundung. Aber auch bei ihm stand die Religion nicht im Widerspruch zur Vernunft. Fürstenberg positionierte sich eindeutig im Streit, ob der Glaube ein Teil der Aufklärung ist oder als etwas zu Überwindendes gilt. Er hielt den aufgeklärten Glauben, der Aberglauben überwindet, für einen Teil der Aufklärung und setzte sich konsequenterweise intensiv für eine Reform der Seelsorge ein. Dies hatte ganz konkrete Auswirkungen: Die Seelsorge in den Pfarreien wurde neu belebt. Das Amt des Pfarrers und der Predigt erhielt eine neue Wertschätzung. Es gab sowohl hohe Anforderungen an das geistliche Amt wie auch eine intensive und gründliche Ausbildung der Kleriker.
Bis heute gibt es bei den Historikern eine lebendige Diskussion, inwieweit die katholische Aufklärung eher rückwärtsgewandt mit dem umfangreichen Reformprogramm des Konzils von Trient (1545–1563) verwoben oder ob sie tatsächlich Teil der Aufklärungsbewegung war. Die Situation in den deutschen Bistümern war wohl tatsächlich sehr unterschiedlich. Die Kritik, auch an den Zuständen der Westfälischen Sacra, lobt die Sorge um die weltliche Glückseligkeit der Untertanen, kritisierte aber den eigentlichen Zweck eines Fürstbistums als Sicherung der katholischen Konfessionalität als Weg zum Heil. Die Wechselwirkung zwischen Bekenntnis und sozialer Praxis war im Barockkatholizismus grundgelegt worden. Knackpunkt in der Beurteilung der katholischen Aufklärer, auch im katholischen Münster, war die Frage, wie man mit der Volksreligiosität umgehen sollte, in der oftmals der Aberglaube dem Weg zur Erkenntnis Gottes entgegenstand.
1789 antwortete zum Beispiel Pfarrer Franz Darup auf die Preisfrage im Wochenblatt: „Wie kann ein angehender Landgeistlicher gleich beym Antritte seines Ambts Aufklärung in seiner neuen Gemeinde verbreiten?“ Darup spricht davon, dass „tausendfacher Aberglauben“ „wahre Frömmigkeit und Tugend“ verhindere. Es sei das Ziel für die Seelsorge, das „Wahre, Wesentliche, Praktische, Sittliche des Christentums“ durchzusetzen. In dieser Spannung zwischen Volksfrömmigkeit und aufklärerischen Bestrebungen spielte sich die katholische Aufklärung in der Praxis ab.
Franz von Fürstenberg selbst sah die Religion als einen Teil der Aufklärung. Durch die Maßnahmen zur Bildung, zur Förderung der Industrie, zur Gesundheitsvorsorge und Armenfürsorge, die anderswo nachgeahmt wurden, sei erreicht worden, dass die Ansteckung mit dem „falschen Geist der Aufklärung“, mit dem revolutionären Geist und mit dem dadurch verursachten Taumel, der zu so viel Blutvergießen geführt und so viel Schlimmes angerichtet habe, sich in Münster nicht ausgebreitet hat. „Die Wahrheit, die Sitten, die Religionen haben über Illusionen gesiegt“. Viele Flüchtlinge aus Frankreich kamen nach Münster, so dass Goethe, der gerade zu Besuch bei Fürstenberg war, kein Gästezimmer in Münster mehr fand. Über 2000 französische Priester, zwei Kardinäle und 14 Bischöfe fanden eine bleibende Aufnahme im Bistum Münster. Aus den Begegnungen mit den Flüchtlingen begründete sich wahrscheinlich das negative Urteil Fürstenbergs über die französische Aufklärung. Wie er waren viele Zeitgenossen aus den anfangs nicht selten wohlwollenden Sympathisanten zu Gegnern der französischen Aufklärung geworden. Die Enteignung des Kirchenguts und der erzwungene Verfassungseid der Kleriker waren dabei für Fürstenberg wohl ausschlaggebend in seiner kritischen Haltung.
„Wahre Aufklärung“ war für Fürstenberg nicht gegen konfessionelle Kirchlichkeit gerichtet, sondern sie sollte einen modernen Glauben bewirken, der einen unkritischen Traditionalismus überwand. Durch die praktisch aufklärerische Politik gab es einen großen Nutzen für die Bevölkerung, um die eigene Glückseligkeit zu steigern, und zugleich einen Vorteil für den Staat, der an Zukunftsfähigkeit gewinnt. Das aufklärerische Wirken Fürstenbergs wurde von den Preußen geschätzt. Man baute darauf auf und versuchte es fortzuschreiben. Karl Freiherr von Stein schreibt 1802 über Franz von Fürstenberg: „(D)urch seine Erziehungsanstalt hat er einen großen Vorrath von Kenntnissen, ordentlichem logischen Denken und Moralität unter die Menschen gebracht, und wenn man diesen Geist nicht zertritt, sondern wirken lässt, so kann selbst unter den Trümmern dieser Verfassung sehr viel Gutes werden“.
Aufklärung in Westfalen – der Münsteraner Kreis
Franz von Fürstenberg hatte früh versucht, gleichgesinnte Menschen um sich zu sammeln. Dies begann mit einigen Domherren und führte schließlich zum Münsteraner Kreis. Es war etwas zufällig, dass Fürstin Amalie von Gallitzin über den holländischen Philosophen Franz Hemsterhuis von Fürstenberg und der Münsteraner Schulordnung hörte. Von Gallitzin war die Ehefrau des russischen Botschafters in den Niederlanden. Nachdem sie sich von ihrem Ehemann getrennt hatte, wollte sie ihre beiden Kinder abseits der großen Gesellschaft selber erziehen. Hieraus ergab sich der Umzug nach Münster, wo sie gute Voraussetzungen zur Erziehung ihrer Kinder sah. Die Fürstin von Gallitzin war begeistert von der Schulordnung von Fürstenberg und ließ sie ins Französische übersetzen. Gallitzin und Fürstenberg waren der Kern des Münsteraner Kreises oder wie er auch von den Zeitgenossen liebevoll-ironisch genannt wurde: der „familia sacra“. Beide standen in einem überaus engen persönlichen und geistigen Austausch, der durch 1885 Briefe Fürstenbergs an Gallitzin bezeugt ist. Diese geistige Freundschaft gehört wohl zu den großen Freundschaften des 18. Jahrhunderts.
Im Münsteraner Kreis ging es bei vielen Gesprächen und Treffen um das spannungsreiche Verhältnis von philosophischer Vernunft und kirchlicher Gläubigkeit. Während Fürstenberg die Vereinbarkeit von Vernunft und Glauben verteidigte, betrachtete Gallitzin den Glauben, ganz im Stil ihrer Zeit, zunächst als überholt. Fürstenberg wollte durch seine zahlreichen Schulreformen dem „falschen Geist der Aufklärung“ und „unsinniger Regierungsstürmerei“ entgegenwirken. Daher machten Aufklärer, die auch die Religion schleifen wollten, ihm den Vorwurf des „Barockkatholizismus“. Wenn man sich die Briefwechsel des gläubigen Fürstenberg mit der nichtgläubigen Gallitzin anschaut, spricht aus diesem ein großer gegenseitiger Respekt und der Versuch, das bessere Argument gelten zu lassen. Aus den intensiven Gesprächen vollzieht die Fürstin 1786 ihre christliche Wende und macht Overberg zu ihrem „Hauskaplan“.
So wurde der Münsteraner Kreis um Amalie von Gallitzin von großer Bedeutung für die innere Erneuerung des deutschen Katholizismus. Der Münsteraner Kreis hatte Kontakte weit über Westfalen hinaus. So gab es Besuche mit Gegenbesuchen in Münster von Goethe, Herder, Wieland und Frau von Stein, um nur einige zu nennen.
Nachdem Napoleon und mit ihm die Säkularisierung durch den Reichsdeputationshauptschluss über Norddeutschland hinweggezogen war, schien die Situation für die katholische Kirche in diesen Gebieten aussichtslos. Wenn heute vom Niedergang der katholischen Kirche in Deutschland mit soziologisch gut fundierten Zahlen gesprochen wird, war doch die Situation zu Beginn des 19. Jahrhunderts wesentlich dramatischer. Es waren kaum noch Bistümer besetzt, die geistlichen Fürstentümer wurden aufgelöst, zahlreiche Klöster und Kirchen waren säkularisiert und der „Siegeszug der Vernunft“ ließ die verbliebenen Gläubigen als „Überbleibsel aus einer alten Zeit“ erscheinen. Die Zeit der Kirche als weltliche Macht mit Fürstbistümern war beendet.
Doch dann geschah in den folgenden Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts etwas tatsächlich Erstaunliches. In dieser Situation haben sich vor allem Laien auf den Weg gemacht, um ihren Glauben zu leben. Kirchliches Leben bekam auf einmal eine ganz neue Dynamik. In dieser Situation wurden zahlreiche Missionsorden und Organisationen gegründet. In Deutschland engagierten sich viele im diakonischen Bereich. Schulen, Krankenhäuser, Kindergärten erlebten in den kommenden Jahrzehnten eine wahre Gründungswelle. Das heißt, der Glaube war auf der einen Seite durch viele Gebetskreise sehr persönlich-spirituell und wurde auf der anderen Seite praktisch in gelebter Nächstenliebe.
Einer der Vorreiter für diese Entwicklung war sicherlich der Münsteraner Kreis und Franz von Fürstenberg, der wichtige Impulse für ein aufklärerisches und sozial engagiertes Christentum gegeben hat.