Nähe und Unabhängigkeit

Je tiefer die Gräben zwischen der Kirche und säkularer Öffentlichkeit werden, desto wichtiger wird die „Herder Korrespondenz“.

Als Papst Benedikt XVI. 2011 Deutschland besuchte, durfte ich als Journalistin eine Wegstrecke im Flugzeug zusammen mit den katholischen Bischöfen zurücklegen. Nach der Landung drängten sich alle im Mittelgang und warteten, dass die Türen aufgehen – wie es so üblich ist beim Verlassen eines Flugzeuges. Die beiden Bischöfe vor mir unterhielten sich. Auf einmal drehte sich der eine zu mir um und sagte: „Frau Keller, Sie stehen hier hinter mir und belauschen uns wie die Schlange im Paradies!“ Nein, ich hatte nicht gelauscht, ich stand halt zufällig hinter ihm.

Ich arbeitete für den „Tagesspiegel“ in Berlin, schrieb viel über die Kirchen und hatte öfter den Eindruck, dass ich katholischen Geistlichen suspekt bin: als Frau, als Journalistin, die für ein säkulares Medium arbeitet, noch dazu für eine Zeitung in Berlin, dieser angeblich so „gottlosen“ Stadt. Ein Berliner Kardinal hielt mir einmal vor, ich hätte ihm „sein Bistum entfremdet“, weil ich viel über die Finanzkrise in seinem Bistum geschrieben hatte, und auch viele empörte Katholiken waren zu Wort gekommen. Von anderen bekam ich zu hören, dass ich als Evangelische sowieso nicht verstehen könne, wie die katholische Kirche ticke. Nun also war ich die Schlange aus dem Paradies.

Ich mag als evangelische Frau ein bunter Vogel unter den Kirchenberichterstattern sein, doch auch andere Kollegen und Kolleginnen spüren dieses Misstrauen, diesen Generalverdacht, dass die säkularen Medien die Kirche angeblich sowieso nur schlechtmachen wollten. Und gerade weil sich dieses Misstrauen hartnäckig hält, ist es gut, dass es die „Herder Korrespondenz“ gibt. Sie ist fest verhaftet im Katholischen, und Bischöfe, Theologen und Katholikinnen und Katholiken ohne Ämter und Weihe vertrauen ihr. Deshalb werden ihre Denkanstöße eher ernst genommen und können innerkirchlich mehr bewirken als die Leitartikel und Reportagen in der „Zeit“, in der „Süddeutschen Zeitung“ und im ZDF.

Die Kollegen von der „HK“ sind nah dran an den Entwicklungen in der Theologie, kennen die Debatten in der Bischofskonferenz und wissen, was in Rom gerade verhandelt wird. Das schafft Glaubwürdigkeit. Die Zeitschrift wird geschätzt von theologisch liberal Denkenden und hat sich auch bei eher Konservativen Respekt erworben, weil sie Debatten nicht scheut und gegensätzliche Perspektiven abbildet. Die Zeitschrift ist getragen von einer großer Sympathie für die Kirche, aber finanziell nicht von ihr abhängig. Auch das ist ein großes Pfund!

Die „Herder Korrespondenz“ kann theologische, kirchenrechtliche und kirchenpolitische Hintergründe in einer Tiefe beleuchten, die in einer Tageszeitung so nicht vermittelbar wären. Sie kann Debatten weiterverfolgen, wenn sich die säkulare Öffentlichkeit längst wieder anderen Themen zugewandt hat. Deshalb ist es auch so wichtig, dass die „Herder Korrespondenz“ kontinuierlich über sexuelle Gewalt und Machtmissbrauch im kirchlichen Raum berichtet. Als im Januar 2010 die Fälle sexuellen Missbrauchs am Berliner Canisius Kolleg öffentlich wurden und namhafte Bischöfe von systematischen Ursachen nichts wissen wollten, widersprach der Moraltheologe Konrad Hilpert in der April-Ausgabe der „HK“ entschieden und warnte vor schneller „Entlastung“. Nachdem anfänglich vor allem Theologen zu Wort kamen, wird nun auch Betroffenen viel Raum eingeräumt. Besonders freut mich, dass die Zeitschrift auch den spirituellen Missbrauch thematisiert, der in den säkularen Medien kaum aufgegriffen wird, und dass sie vermehrt Frauen einlädt, über ihre Erfahrungen von Machtmissbrauch und sexueller Gewalt zu berichten.

Natürlich gibt es unter den Bischöfen und in den bischöflichen Pressestellen etliche, die in den säkularen Medien Partner sehen und sich redlich mühen, kirchliche und theologische Spezifika ins Säkulare zu übersetzen. Wenn ich allerdings sehe, dass das Kölner Erzbistum lieber Anwaltskanzleien mit dem Ausfechten von Persönlichkeitsrechten beauftragt, statt dass die leitenden Geistlichen für Versäumnisse geradestehen, habe ich den Eindruck, dass es den Verantwortlichen (mittlerweile wieder) herzlich egal ist, was die Öffentlichkeit über die Kirche denkt. Die Bunkermentalität scheint zumindest in Köln um sich zu greifen. Je tiefer die Gräben zwischen Kirche und säkularer Öffentlichkeit werden, umso mehr brauchen Journalisten einen Vertrauensvorschuss, um Zugang zu Informationen zu bekommen. Die „Herder Korrespondenz“ hat diesen Vertrauensvorschuss und könnte deshalb in Zukunft noch wichtiger werden. Die Themen werden den Kollegen angesichts des Ausmaßes der Kirchenkrise sowieso nicht ausgehen.

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