Mit einer knappen Mehrheit von 51,2 Prozent haben sich die Schweizer bei einem Volksentscheid für ein Verschleierungsverbot in der Öffentlichkeit ausgesprochen. Damit ist unter anderem die Vollverhüllung durch die muslimische Burka oder den Nikab verfassungsrechtlich verboten. Das Verbot gilt zwar auch für vermummte Sportfans oder Demonstranten. Allerdings hatte sich die öffentliche Debatte zügig auf die Vollverschleierung muslimischer Frauen fokussiert. Ausnahmen, etwa das Tragen von medizinischen Masken, bleiben erlaubt. An der Abstimmung hatte sich nur rund die Hälfte der Schweizer beteiligt.
Hinter der Initiative steht das „Egerkinger Komitee“, das bereits 2009 ein Bauverbot von Minaretten in der Schweiz, ebenfalls durch einen Volksentscheid, durchsetzen konnte. Das der nationalkonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP) nahe stehende Komitee gilt als islamkritisch. Der Verein führte als Gründe für das Verbot Freiheitsrechte, die Gleichstellung von Frauen und christlich-abendländische Werte an. Der islamische Extremismus soll durch das Verbot eingedämmt werden. Die Regierung, das Parlament, die meisten Parteien, aber auch Religionsvertreter und Frauenverbände hatten sich dagegen ausgesprochen. Kleidervorschriften gehörten nicht in die Verfassung. Zudem sei der Anteil der betroffenen Frauen sehr gering. Landesweit sind es nach Erhebungen des Luzerner Zentrums für Religionsforschung weniger als drei Dutzend Frauen, überwiegend tragen Touristinnen aus arabischen Ländern Vollverschleierung.
Der Islamische Zentralrat der Schweiz und die Jung-Grünen kündigten nach dem Volksentscheid Klagen dagegen an. Auch das Menschenrechtsbüro der Vereinten Nationen kritisierte das Verhüllungsverbot. Damit dürften Musliminnen in der Schweiz aktiv diskriminiert werden, so eine Sprecherin. Die Kampagne vor dem Referendum habe fremdenfeindliche Untertöne gehabt. Ein gesetzliches Verbot von Burka und Nikab schränke die Religionsfreiheit muslimischer Frauen übertrieben ein. Beschränkungen in diesem Ausmaß dürfe es nur zum Schutz von öffentlicher Sicherheit, Gesundheit, Sitte oder der Grundrechte anderer geben. Kritiker der Initiative bezeichnen das Verbot als „reine Symbolpolitik“. In der Schweiz wird seit mehreren Jahren über ein nationales Verhüllungsverbot diskutiert. Nach dem Referendum sind nun die Kantone in der Pflicht. Sie müssen das neue Gesetz innerhalb von zwei Jahren umsetzen.
In den Kantonen St. Gallen und Tessin wurde ein solches Verbot bereits 2016 beziehungsweise 2018 erlassen. In vielen anderen Kantonen wurden ähnliche Initiativen und Vorstöße bislang abgelehnt. In Basel-Stadt hatte das Parlament ein Verhüllungsverbot 2013 für rechtlich unzulässig erklärt. Durch das Referendum gilt nach Österreich, Frankreich, Dänemark und Belgien nun in einem weiteren Nachbarland Deutschlands ein Verhüllungsverbot in der Öffentlichkeit. Beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg sieht man darin keinen Verstoß gegen Menschenrechte.
Dana Kim Hansen-Strosche