Vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie legt der Pariser Erzbischof Michel Aupetit Meditationen vor: Knapp, aber präzise und lebensnah, eine christliche Sicht auf das Leben und das Sterben. Aupetit, Jahrgang 1951, studierte zunächst Medizin und arbeitete zwölf Jahre als Arzt, bevor er ins Priesterseminar eintrat. Der Autor schildert, wie das Sterben von einem gemeinschaftlichen Vorgang zu einem individualisierten Geschehen wurde. Gräber befanden sich inmitten der Orte. Man blieb vertraut mit dem Tod. Seit dem 18. Jahrhundert sorgten Hygieneärzte für die Verlegung der Friedhöfe außerhalb der Städte. Der Blick richtete sich nicht mehr auf die eigene Sterblichkeit, sondern auf den „Tod des anderen“. Heute verlagert sich der Sterbeort in die Klinik. „Die Spuren des Todes müssen verschwinden, er ist unerträglich geworden.“ In dieser Entwicklung sieht Aupetit eine Erklärung für Verhaltensweisen in der Covid-19-Pandemie, wie etwa die „Tatsache, dass man die Sterbenden der Einsamkeit überlässt“. Die Fremdheit des Todes lässt uns „völlig aus der Fassung geraten“, wenn er so deutlich und unerwartet in unser Leben tritt. Aupetit schlägt vor, dem Tod wieder „ins Auge“ zu blicken, was auch heißt, „die Schönheit des Lebens zu betrachten“. Der Weg in die Innerlichkeit entdeckt er gerade nicht in der Leugnung, sondern in der Ehrlichkeit die Schönheit des Lebens – und seines Schöpfers. Über die Weitergabe des Lebens, das alle Wesen empfangen haben, führt der Weg zum Glaubensbekenntnis an das ewige Leben. „Es ist nicht möglich, Christ zu sein, ohne an die Auferstehung zu glauben.“ Abschließend sieht Aupetit nüchtern, dass unsere Gesellschaft angesichts der Pandemie eher versuchen wird, „sich zu schützen, als ihr Leben zu verändern“. Dabei gilt es, unser Verhältnis zur Natur zu überprüfen, die nicht endlos und folgenlos ausgebeutet werden kann. Es gilt, unser Verhältnis zum menschlichen Leben zu überprüfen: Welchen „Wert“ wir etwa denen geben, die Fürsorge und Pflege leisten. Das Buch beeindruckt durch seine Ehrlichkeit. Es lädt ein, „den Tod ins Leben zu integrieren“. Für Aupetit versteht nur derjenige ganz den Sinn des Lebens und des Todes, der Christus erkennt, in dem „der Tod zum Ort der innigsten Intimität mit dem Göttlichen“ wurde. Eugen Daigeler