Sie ist die jüngste Präses in der Geschichte der EKD. Die 25-jährige Regensburger Studentin Anna-Nicole Heinrich wurde von der Anfang Mai im Internet tagenden Synode der EKD zur Nachfolgerin der 79-jährigen früheren Bundesministerin Irmgard Schwaetzer gewählt, die das einer Parlamentspräsidentin entsprechende, höchste Laienamt des deutschen Protestantismus seit 2013 innehatte und der neuen Synode nicht mehr angehört.
„Wie verdammt mutig ist eine Kirche, die eine junge Frau in so ein Amt wählt“, sagte Heinrich selbst vor Journalisten nach ihrer Wahl. Tatsächlich allerdings hatte die Regensburgerin bereits reichlich Gelegenheiten, die EKD von ihren Fähigkeiten zu überzeugen. Schon in der letzten Legislaturperiode der Synode gehörte sie als Jugenddelegierte ohne Stimmrecht dem Kirchenparlament an. Engagiert war sie dort unter anderem im Z-Team, das das jüngste Zukunftspapier, die zwölf Leitsätze zur Zukunft der Kirche, für die EKD entwickelte (vgl. HK, August 2020, 4–5). Online veranstaltete sie einen Hackathon, einen digitalen Ideenwettbewerb zur Zukunft der Kirche.
Dass es für sie auf das Präsesamt zulaufen könnte, war jedoch auch Heinrich selbst lange unklar. Zwei Wochen vor der Synode wurde sie erstmals von einem Mitglied des Kirchenparlaments angesprochen. „Zu Schnapsideen kurz vor Mitternacht verhalte ich mich nicht“, sagte sie damals. Doch am Dienstag vor der Synode wurde es ernst. Im pietistisch geprägten, synodalen Gesprächskreis „Lebendige Gemeinde“ fiel ihr Name, erstmals wurden in der Öffentlichkeit der Synode Gespräche über sie geführt. „Da musste ich mich dann dazu verhalten“, sagt Heinrich. „Bis zur Synode gab es dann jede Menge Gespräche.“
Von einer eigenen Agenda, die sie in den nächsten Monaten aufgreifen will, will Anna-Nicole Heinrich indes im Moment noch nicht sprechen. Klar ist aber: Die zwölf Leitsätze für die Zukunft der Kirche werden im Zentrum stehen. „Ich hoffe, dass wir den Ball aufgreifen und dieses wichtige Thema weiter bearbeiten.“
Dass es für Anna-Nicole Heinrich einmal so weit kommen könnte, war ihr nicht in die Wiege gelegt. Aufgewachsen ist Heinrich in Nittenau bei Regensburg, und zwar in einer nicht-christlichen Familie, die nach der Wende von Thüringen nach Bayern gezogen war. Ihr Vater fand dort eine Anstellung als LKW-Fahrer. Zum Glauben kam sie durch den Religionsunterricht an der Grundschule, als Kind ließ sie sich aus eigener Entscheidung taufen. „Meine Mutter hat sich damals mittaufen lassen, aber nie wirklich Halt gefunden“, sagt Heinrich. Ältere Gemeindemitglieder hätten sie damals zum Gottesdienst abgeholt, über die Jugendarbeit sei sie in die Kirche hineingewachsen – was in einem Ort, in dem der Anteil der Evangelischen bei rund 4 Prozent liegt, besonders prägte. „Das hat mich durchaus im Glauben gestärkt“, sagt Heinrich. „Man wird in so einer Situation viel öfter angefragt, über seinen Glauben Auskunft zu geben.“
Heute wohnt Heinrich in Regensburg, in einer Vierer-WG, zusammen mit ihrem Ehemann, der ebenfalls Mitglied der Synode ist. Als wissenschaftliche Hilfskraft arbeitet sie bei der katholischen Theologieprofessorin Ute Leimgruber. In ihrer Anstellung dort sieht die neue Präses auch eine Chance für die Ökumene: „Mir ist die katholische Kirche vertraut – und über die Tätigkeit in der Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend habe ich auch enge Beziehungen in den Bereich der Freikirchen“, sagt Heinrich. Auch da hoffe sie künftig auf noch mehr Zusammenarbeit.
Insgesamt freilich wird die Wahl von Heinrich für die EKD ein Wagnis bleiben. In der Vergangenheit waren es vor allem Politikerinnen und Politiker, die in das Amt der Präses gewählt wurden, etwa Katrin Göring-Eckardt (Grüne) oder der frühere Bundesminister Jürgen Schmude (SPD). Von ihrer Bekanntheit und ihren Erfahrungen konnte die Kirche profitieren. Heinrich muss sich dagegen vieles noch erarbeiten. Andererseits wäre jede oder jeder ehemalige Politiker, der auf Schwaetzer gefolgt wäre, immer an der früheren Bundesbauministerin gemessen worden. Die Gefahr, deswegen sechs Jahre lang als „mittelmäßig“ bezeichnet zu werden, wäre sehr real geworden. Mit Anna-Nicole Heinrich geht die EKD nun einen völlig neuen Weg. „Anna-Nicole Heinrich gehört zu den jungen Menschen, die konstruktive und wirklich frischen Wind in die Kirche bringende Impulse hatten“, sagt der Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm. „Es ist genau der Geist, den ich mir für die Zukunft vorstelle, dass heute eine 25-Jährige zur Präses der Synode gewählt worden ist.“