Das Feld, das die Dissertation bearbeitet, ist so schmal wie der Titel trocken. Sie ackert jedoch so tief und intensiv, dass fast unglaubliche Funde ans Tageslicht gelangen. Man möchte das Buch in einem Zuge lesen. Es untersucht im Wesentlichen Entstehung und Inhalt von drei dogmatisch höchstverbindlichen Dokumenten des päpstlichen Lehramts: die Eheenzyklika „Casti connubii“ sowie die Apostolischen Konstitutionen „Sacramentum ordinis“ und „Munificentissimus Deus“. Wie Vergil einst Dante durch die unübersichtliche Unterwelttopographie geleitete, so führt den jungen Kirchenhistoriker Matthias Daufratshofer der aus Aachen stammende Moraltheologe Franz Hürth durch die winkelreiche päpstliche Lehrfabrik. Sein Privatnachlass konnte zugänglich gemacht werden. Aus dem Staub der Akten ersteht ein Papst, den die eigene Enzyklika theologisch überfordert, ein anderer, der sich in der Sexualmoral als Bannerträger der vorgeblich göttlichen, daher unveränderbaren (in Wahrheit augustinischen) Tradition inszeniert, aber ebenso behauptet, die Sakramente könne die Kirche ändern. Die vom Tridentinum verbindlich dekretierte Verankerung eines Dogmas in Schrift und Tradition wird sang- und klanglos zugunsten der päpstlichen Marienfrömmigkeit aufgegeben.
Das eigentlich Erregende, um nicht zu sagen Erschütternde des hervorragend geschriebenen Werkes: Es bestehen auf dem Gebiet der dogmatischen Lehre frappierende Parallelen zu den Fehlstrukturen, die auf dem Gebiet der Moral durch den Missbrauchsskandal aufgedeckt wurden: Vertuschung, Kleinrederei, Ausblendung unliebsamer Fakten, Vergessenmachen, Ausschaltung der Kritik, vor allem Priorisierung des Erhalts der eigenen Macht (in der Doktrin vor allem durch eine schleichende Infallibiliserung der lehramtlichen Erlasse). Es zeigt sich deutlich, dass die Missgeschicke der Kirchenleitung nicht die Folge unglücklicher Betriebsunfälle sind, sondern vielmehr Schwächen im System der neuzeitlichen Kirche. Daufratshofers Recherchen räumen jeden Zweifel aus. Eine Reform der Kirche muss ganz von unten beginnen. Wem an einer Erneuerung der Glaubensgemeinschaft liegt (wie auch immer), für den ist die Lektüre des Werkes schiere Pflicht. Wolfgang Beinert