Es war schon am Abend des 11. September 2001 offenkundig, dass dieser Tag einen historischen Einschnitt bedeutet. Wie umfassend dadurch die Rahmenbedingungen für die internationale Politik, der Umgang mit dem Islam weltweit und das Thema Religion überhaupt verändert wurden, hat sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten gezeigt. Stefan Weidner schildert in seinem politischen Essay sowohl die Vor- als auch die Wirkungsgeschichte von Nine Eleven als „Urknall unserer Welt“, einschließlich der Denkmuster im Hintergrund.
Gleichzeitig stellt er die These auf, dass mit der Corona-Pandemie die „Ära 9/11“ an ein Ende gekommen ist, und es die Chance zu einem kosmopolitischen Reset gebe. Die Zukunft sei nicht im Kampf gegen den Terrorismus, sondern nur mit umfassenderen politischen Zielen zu gewinnen.
Man merkt dem Islamwissenschaftler die Trauer darüber an, dass in den vielen Ländern der islamischen Welt in den vergangenen 20 Jahren Bürgerkrieg, Terror, Gewalt und Frustration herrschen, seitdem die negativen Entwicklungen die Oberhand gewonnen haben. Letztlich tauge aber auch der „Westen“ in seiner aktuellen Verfassung nicht mehr als „glaubwürdiges globales Orientierungsmodell, als das er sich von 9/11 aus nachvollziehbaren Gründen verstanden hat“. Notwendig, so Weidner, sei ein Gedankenexperiment, bei dem man in Analogie zu John Rawls „Theorie der Gerechtigkeit“ von den eigenen Privilegien abstrahieren und sich in andere Positionen hineinversetzen sollte. Dass dieses Gedenkenexperiment vorläufig eine Utopie bleiben und überhaupt nur in der Langzeitperspektive annäherungsweise verwirklicht werden könnte, räumt der Autor freimütig ein.
Das gut zu lesende Buch ist aus dem Wunsch geboren, die ideologischen Frontstellungen rund um den 11. September zu überwinden und aus ihm ein zukunftsweisendes „Ground-Zero-Ereignis“ zu machen. Denn ansonsten, so ist Weidner überzeugt, hätte der Drahtzieher der Anschläge, Osama Bin Laden, die meisten seiner Ziele erreicht. Stefan Orth