„In der großartigen Westfront von Westminster Abbey in London befinden sich unmittelbar über dem Portal zehn mit Baldachinen ausgestattete Nischen, die ursprünglich für Heiligenfiguren vorgesehen waren“, erklärt Jürgen Henkys unter Punkt „D“ des Bonhoeffer-Handbuchs. Der 39-jährige Häftling, der im April 1945 im Konzentrationslager Flossenbürg hingerichtet wurde, ist dort der siebente „von zehn Märtyrern des 20. Jahrhunderts, platziert zwischen Oscar Romero (El Salvador) und Ester John (Pakistan)“. Damit zeigt sich, welche geistigen Räume das Handbuch zwischen den Hauptkapiteln „A“ (Orientierung), „B“ (Person), „C“ (Werk) und „D“ (Wirkung und Rezeption) zu überbrücken hat, um der intellektuellen Tiefe und ökumenischen Weite Dietrich Bonhoeffers gerecht zu werden. Der Band, in dem international renommierte Forscherinnen und Forscher das fragmentarisch gebliebene Werk des Theologen dokumentieren und diskutieren, entgeht der Versuchung, diesen Denker der Diesseitigkeit des Glaubens zu einer Heiligenfigur zu stilisieren.
Nach dem gescheiterten Attentat vom 20. Juli 1944 schrieb Bonhoeffer: „Ich habe in den letzten Jahren mehr und mehr die tiefe Diesseitigkeit des Christentums kennen und verstehen gelernt, nicht ein homo religiosus, sondern ein Mensch schlechthin ist der Christ, wie Jesus“. Wolf Krötke erklärt dazu, sein Glaube sei mit dem von ihm abgelehnten Begriff „Religiosität“ nicht zu fassen. Der Glaube an den Gott Jesu habe ihn nicht bloß zum politischen Widerstand befähigt, sondern auch „stark gemacht, einen furchtbaren Tod anzunehmen“.
Insgesamt ist Bonhoeffers Biografie von einer Dynamik gekennzeichnet, in der Herausforderungen als Lebenselixier wirkten: den Berliner Protestanten zog es nach Rom; den begabten Wissenschaftler drängte es in die Praxis. Der Prediger blieb nicht beim Wort: Innerhalb weniger Jahre entwickelte sich der Theologe vom Mitglied der Bekennenden Kirche, das für die verfolgten Juden Partei nahm, zum Kämpfer gegen Hitlers Terrorregime.
Damit erlangt Bonhoeffers Denken eine Dimension, die ihn, wie Heinrich Bedford-Strohm zu Recht hervorhebt, zu einem Vordenker „Öffentlicher Theologie“ macht – einer „Befreiungstheologie für eine demokratische Gesellschaft“.
Thomas Brose