Die Tagesschau berichtete in den 20-Uhr-Nachrichten und auch das ZDF schickte ein Kamerateam: Öffentlich-rechtliche Aufmerksamkeit war den rund 150 Teilnehmern in Köln gewiss, die sich am 24. und 25. September zur „KirchenVolksKonferenz der Reformkräfte“ trafen. Initiiert von der Basisorganisation „Wir sind Kirche“ folgten 38 Reformgruppen, katholische Verbände und Betroffeneninitiativen sowie Einzelpersonen dem Aufruf nach Vernetzung und Zusammenarbeit. Ziel war eine Erneuerung der katholischen Kirche unter dem Titel „Wir gehen schon mal voran – für eine synodale Kirche der Zukunft“. In einem „Gemeinsamen Wort“, das sich an die Reformkräfte selbst und die Kirchenleitenden richtet und das auch die Mitwirkenden des Synodalen Weges ermutigen soll, schlossen sich die Unterzeichner „dessen unverzichtbaren Reformforderungen“ an. Ohne die „Gegenseite“ konservativer Kirchenvertreter war die Stimmung gelöst. Das gibt zu denken.
Gekommen waren etablierte Verbände und Vereine wie die „Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands“ (kfd) und die „Ökumenische Arbeitsgruppe Homosexuelle und Kirche e. V.“. Betroffene sexualisierter Gewalt waren genauso anwesend wie die „Vereinigung katholischer Priester und ihrer Frauen e.V.“. Zum ersten Mal dabei waren mehrere noch junge Bewegungen wie die „OrdensFrauen für MenschenWürde“ und der Shooting Star „Out In Church“.
Christian Weisner betonte als Sprecher des Bundesteams von „Wir sind Kirche“, dass es nicht darum gehe, „diese Kirche, so wie sie jetzt ist, zu retten“. Vielmehr gehe es darum, „den Kern des Christentums wieder freizulegen“. Die kirchlichen Strukturen insgesamt wurden massiv infrage gestellt. Maria Mesrian von „Maria 2.0“ übte heftige Kritik an einer „kleinen klerikalen Elite“ und führte das schweizerische System von Mitbestimmung und Leitungsteilung als Vorbild an. Der Theologe Hans-Joachim Höhn ermutigte dazu, angesichts einer abnehmenden Anzahl an Gläubigen in einer wachsenden Fläche auf Netzwerke zu setzen.
Insgesamt reichten die Reformansätze von „anarchisch“ im Sinne von herrschaftslosen Strukturen bis hin zu einer von den Orden und den Verbänden inspirierten Wahlämterauffassung in demokratischen Organisationsstrukturen.
Wie eine solche Kirche an der Basis aussehen kann, veranschaulichte die Abstimmung um das „Gemeinsame Wort“. Stundenlang wurde leidenschaftlich gerungen. Am Ende wurde das Papier einstimmig und ohne Enthaltung beschlossen: „Als eine breite und offene Basisbewegung“ setzen sich die Unterzeichner dafür ein, „die ‚Zeichen der Zeit‘ zu erkennen und ernst zu nehmen.“
Die Konferenz stand spürbar unter dem Eindruck der vierten Synodalvollversammlung Anfang September (vgl. HK, Oktober 2022, 4–5). Spätestens nach der Ablehnung des Grundtexts zur Sexualethik lagen dort Enttäuschung, Misstrauen, Wut, aber auch Angst in der Luft. Umso konstruktiver erschien die Atmosphäre in Köln: Es fehlte – quasi buchstäblich zur allgemeinen Erleichterung – die jede Veränderung ablehnende Seite. Die Menschen ermutigten einander in ihren Anliegen. Ihr gemeinsames Ringen gab ihnen dringend benötigte Kraft.
Finden kompromissbereite Bewahrer und Reformer Möglichkeiten, weiterhin miteinander konstruktiv zu ringen und sich gegenseitig mit Offenheit und Respekt zu begegnen, wie es beim Synodalen Weg gerade so noch funktionierte? Oder bricht die Kirche an der Front der Ultrakonservativen und Reformverweigerer auseinander?
In Köln wurden zahllose Verletzungen durch die institutionelle Kirche klar benannt. Das fast schon traditionelle Thema Gleichberechtigung zog sich konsequent durch alle Reformforderungen. Dabei meldeten sich neben den Verbänden kfd und „Katholischer Deutscher Frauenbund“ (KDFB) verstärkt Ordensfrauen zu Wort. Die queeren Gruppen verwiesen darauf, dass die – reichlich wacklige – Anerkennung von Homosexuellen nur ein erster Schritt weg von einer binären Geschlechterauffassung sein kann.
Zwei Gruppen exemplifizierten das Auseinanderdriften innerhalb der Gemeinschaft der Gläubigen: Sie finden nur noch außerhalb der Kirche seelische Stärkung. Betroffenenvertreter zeigten auf, dass das Vertrauen vieler Opfer sexualisierter Gewalt in die Kirche endgültig verloren ist. In der Gruppe „Emmaus-Wege Köln“ haben sich aus der Kirche Ausgetretene zusammengefunden, die sich weiterhin ausdrücklich zum Volk Gottes zugehörig fühlen. Beide Gruppen fordern von der institutionellen Kirche, Verletzungen und Diskriminierungen aufzuarbeiten und zu verhindern. Und wie in der Synodalversammlung wurde Wert auf Internationalität gelegt, sowohl auf weltweite Netzwerkpartner als auch auf eine externe Beobachtersicht. Der Ire Colm Holmes von „We are Church International“ sah in den deutschen Reformbemühungen eine weltweit begrüßte Chance, partizipative Formen einzufordern. Die Anliegen, die sich in Köln zeigten, verlangen demnach weltweit eine Antwort; Reformen sind weltweit notwendig.
Ein weiterer Punkt wurde offensichtlich: das fast völlige Fehlen der Jugend. Zahlreiche Engagierte haben noch bewusst das Zweite Vatikanum erlebt: „Damals war man stolz, katholisch zu sein. Es herrschte Aufbruchstimmung“, beschrieb Rotraut Röver-Barth vom KDFB die jahrzehntelang nachwirkende Motivation ihrer Generation. Diese Motivation trägt jüngere Generationen nicht mehr. Vielleicht liegt daher in der derzeitigen Reformphase tatsächlich eine letzte Chance, die institutionelle Kirche gemeinsam mit Reformern und Bewahrern zukunftsfähig aufzustellen.
ARD und ZDF bewiesen noch einmal das öffentlich Interesse an der katholischen Kirche. Es wird langfristig nur bestehen bleiben, wenn die Kirche sich nicht hauptsächlich um sich selbst dreht, sondern sie ihren so dringend gebrauchten Beitrag zum Zusammenhalt der Gesellschaft gewährleistet. Dies wird offensichtlich nur gelingen, wenn sie ihren eigenen Zusammenhalt bewerkstelligen kann.
naurath@herder.de