Sind wir Menschen bloß Atome einer alternativlosen Naturgeschichte? Bis weit ins 18. Jahrhundert hinein sorgte die biblische Chronologie dafür, dass Menschen sich geborgen fühlten in einer von Gott gefügten Heilsgeschichte. Die radikale Abkehr von einem christlichen Weltverständnis mit dem Dekalog als moralischem Eckpfeiler wurde zuerst, kaum wahrnehmbar, auf dem Gebiet der Geologie vorbereitet. „Das Phänomen (Schnecken und Muscheln im Kalk) wurde, solange die 6000-Jahre-Weltchronologie und die biblische Geschichte als verbindlich galten, auf die Sintflut zurückgeführt.“ Was der Geologe James Hutton begonnen hatte, so Wilhelm Schmidt-Biggemann, offenbarte seine Konsequenzen in Charles Darwins „Origin of Species“: Bei ihm sind Fragen „nach Theologie und Geschichte sozusagen von innen aufgesogen. Die Natur substituiert jeden persönlichen Gott und jede Willensteleologie des Menschen. Damit ist auch der persönliche Bezug der menschlichen Individuen zu irgendeiner transzendenten Instanz sinnlos geworden“.
Die im Darwinismus kulminierende Geobiologie veränderte das Weltbild radikal: Im Licht der allerneuesten Erkenntnisse des Jahrhunderts erschien die Frage nach existenzieller Wahrheit und persönlichem Heil als lächerliches Relikt einer vorwissenschaftlichen Epoche. Mit großer Detailkenntnis zeigt der Berliner Philosoph, dass das biologische Naturgesetz des survival of the fittest unausweichlich auf andere Bereiche übergriff: So konnte sich etwa die Indogermanistik zur ideologisch-nationalistischen Leitwissenschaft entwickeln, und der Biologe Ernst Haeckel mit seinen Welträtseln zum Verkünder einer „wissenschaftlichen“ Heilsgeschichte avancieren.
Auf der Grundlage stupenden Wissens gelingt es dem Autor, die katastrophal missglückten Versuche nationalistisch-rassistischer Selbsterlösung auf die dämonische Dynamik des 19. Jahrhunderts zurückzuführen. Er zeigt, dass ein messianischer Anspruch jedem naturalistischen Absolutismus zugrunde liegt, und schließt seine Untersuchung „realpolitisch“ mit dem „mörderischen Messias“ Adolf Hitler. Der Autor erinnert an die Anwesenheit des Bösen in dieser Welt und weist damit – ex negativo – auf die Bedeutung der jüdisch-christlichen Tradition hin. Thomas Brose